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Till Kummer, Karl Schumann, Felix Kummer, Max Marschk und Steffen Tidde (v. l.) sind Kraftklub.

© Christoph Voy

Kraftklub "In Schwarz": Mein besseres Ich

Das zweite Album der Chemnitzer Band Kraftklub: Diese Musik will dich vor Fehlern bewahren, vor Selbsttäuschungen und dummen Gedanken. Sie will, dass du es richtig anpackst. Nicht so wie all die anderen.

Um diese Anderen geht es in den Songs von Kraftklub. Um den Kerl, dem sein Fahrrad geklaut wurde. Den Burschen, der volltrunken seine Ex anruft und ihr den Anrufbeantworter vollquatscht morgens um vier. Oder um die Kraftprotze, die ihre Muskeln im Freihantelbereich stählen und als Türsteher einsam durch einen hindurchsehen. All diese Menschen, denen die Chemnitzer Band Kraftklub auf ihrem neuen Album „In Schwarz“ (Vertigo/Universal) in den Kopf sieht, stehen sich selbst im Weg, sind nicht ganz auf der Höhe.

Da gibt es etwa in „Für immer“ einen Typen, dessen Freundin ihn verlassen hat, und er findet das zuerst ganz gut. Sein Leben kommt ihm luxuriöser vor danach. Doch schon im nächsten Moment setzt die Verwahrlosung ein. Er räumt die Bude nicht mehr auf, stopft Burger und Chips in sich hinein, während er seinem Fernseher beim Versenden billiger RTL-Serien zusieht. Und seine Freunde, die allesamt noch ihre Freundinnen haben, die melden sich nicht mehr bei ihm. Es braucht drei Strophen, um aus dem Jubel über die wieder gewonnene Freiheit ein bitteres Lehrstück über Einsamkeit zu machen – und es braucht vor allem erzählerisches Geschick.

Dass Kraftklub-Sänger Felix Kummer über ein solches so souverän verfügt wie sonst aus seiner Generation nur Casper und Cro, demonstriert er auf dem zweiten Album seiner Band mehrfach eindrucksvoll. Indem er sein Publikum vor Irrtümern bewahren will, führt er es erstmal in die irre. Man könnte das den erlebnispädagogischen Reflex im Kraftklub-Kosmos nennen.

Schon auf dem Debütalbum der fünf Musiker, die Anfang 2012 als Newcomer das Gefühl eines Nummer-1-Hits erlebten, hat Felix Kummer geschickt mit Worten und Gesten jongliert. Die Musik war zwar ziemlich schlicht geraten: gut gemachter Zitat-Pop, der sich bei den Strokes bediente und bei all den britischen Rockbands, die sich ab 2004 auch schon auf die Strokes bezogen. Die E-Gitarren aufgedreht, aber nicht breit, die Drums hölzern, aber nicht rustikal. Kummer spuckte seine Alltagsbeobachtungen wie ein Rapper aus, seine Texte waren glühende Positionsmeldungen („glückliche Menschen sind nicht interessant“), Geschichten erzählten sie nicht.

Kraftklub waren schlauer als die von ihnen verspotteten Hipster

Das war auch nicht nötig. Die fünf Chemnitzer hatten selbst eine Geschichte und zelebrierten nach Kräften das vermeintliche Verlierer-Image, das sie als Provinzler umgab. Ungerecht und fade fanden sie es, sich dafür rechtfertigen zu müssen, nicht in Berlin, sondern 200 Kilometer entfernt zu leben. Dabei stellten sie sich schlauer an als die Großstadt-Hipster, die sie in ihrem Song „Ich will nicht nach Berlin“ attackierten. Sie machten sich über die Ernsthaftigkeit lustig, mit der Neuberliner sich ein Leben zwischen „Undercut und Jutebeutel … und irgendwas im ,Creativ’-Bereich“ aufbauen. Der Song wurde zur Hymne eines fröhlich abseitigen Nonkonformismus, dem natürlich sogar Berliner erlegen sind.

Doch die Band hat die Falle, in die sie durch diesen Erfolg hätte stolpern können, gewittert. Alles, was ihre Fans bei Konzerten geschrieen haben, sei „gelogen“ gewesen, singt Kummer jetzt auf der neuen Single „Unsere Fans“, „die sind doch mittlerweile alle nach Berlin gezogen“. Der Song ist ein schönes Indiz für die Klugheit der Band. Sie wendet den Vorwurf, sie habe mit zunehmender Bekanntheit ihre alten Ideale verraten, kurzerhand gegen die eigene Gefolgschaft. „Ist für uns auch nicht einfach“, erklärt der Sänger, „wenn die sich ständig verändern und auf einmal arrogant werden.“

Nicht dass der Band hehrer Indie-Status je wichtig gewesen wäre. In dieser Ironie steckt vielmehr ein tief verankertes Wissen um die künstlerischen Widerspruch, den Jubel zu wollen, aber die Freiheit zu tun, was man will, eben auch.

Mit einem ähnlichen Dilemma schlugen sich schon die Eltern Kummer herum, Jan und Ina. Als Mitglieder der DDR-Band AG Geige entzogen sie sich Ende der achtziger Jahre dem Regulierungswahn des Regimes durch einen kuriosen Dadaismus, gegen den Stasi und Kulturministerium nichts vorbringen konnten. AG Geige waren auf ihre Art die Kraftwerk des Ostens, fantasievoll kostümiert, ein Gesamtkunstwerk, und Jan Kummer bei Veröffentlichung der ersten regulären LP „Trickbeat“ etwa so alt wie seine Söhne Felix und Till, der bei Kraftklub Bass spielt, heute.

Kraftklub lassen punkigen Gitarrenpop auf hitzige Rap-Dialoge treffen

Till Kummer, Karl Schumann, Felix Kummer, Max Marschk und Steffen Tidde (v. l.) sind Kraftklub.
Till Kummer, Karl Schumann, Felix Kummer, Max Marschk und Steffen Tidde (v. l.) sind Kraftklub.

© Christoph Voy

Über die Entwicklung der beiden Jungs und ihrer Schulfreunde Karl Schumann und Steffen Tidde, beide Gitarre, sowie Max Marschk am Schlagzeug, wachte von Anbeginn das kritische Auge dieses Künstlerhaushalts. Ein bisschen was von dem damit einhergehenden Druck spürt man, wenn Jan Kummer in einem Interview sagt, dass es Auseinandersetzungen mit seinem Hip-Hop liebenden Sohn Felix „über Texte und Herangehensweisen“ gab. Den Hippie-Eltern dürfte da so einiges missfallen haben.

Die Haltung muss die richtige sein –  diesem Prinzip schenken Kraftklub seit ihrer Gründung 2009 großes Gewicht. Optisch, indem sie mit ihren – zunächst weißen – Polohemden, den schmalen roten Hosenträgern, College-Jacken und weißen Sneakern Statussymbole einer linken Jugendkultur aufgreifen. Aber dann auch, indem sie als relativ unbekannte Band ihr eigenes Musikfestival in Chemnitz aus der Taufe hoben. Nicht jammern, selber was Tolles machen, lautet ihre Devise.

„In Schwarz“ schreibt diese Geschichte bruchlos fort. Dass die Band einen Farbwechsel vornimmt und nun einheitlich schwarze Shirts und Blousons trägt – geschenkt. Abermals werden die bewährten Retro-Elemente eines punkigen Gitarrenpop abgerufen, Alltagsbeobachtungen mit der Schärfe des soziologischen Blicks in hitzige Rap-Dialoge gegossen. Die Erfahrungen seit 2012, da sie aus dem Stand für einen Echo nominiert wurden, verarbeiten sie in „Zwei Dosen Sprite“, einem Song über die Leere des Ruhms, wenn er bedeutet, die Freigetränke auf den Partys zu brauchen, um sich die Leute „schön zu trinken“, mit denen man den Ruhm jetzt teilt. So weit so gut. Leider fehlen zu oft die Melodien und überraschenden Wendungen, die einen Song mal nicht nur als Geste im Alltag verankern würden, sondern als etwas, das zu hören man nicht müde wird.

Offenkundig machen Deutschlehrer in diesem Land einen besseren Job als Musiklehrer. Jedenfalls lesen sich die Songs deutschsprachiger Musiker meist besser als sie sich anhören. Einen großen Schritt hat Kraftklub dennoch getan. Spaßrebellen sind sie nicht mehr.

Da gibt es fabelhafte Zeilen über linke Jugendgewalt in „Schüsse in die Luft“, man hört diese Schüsse durch die nächtliche Stille knallen und lernt sie als Verzweiflungsgeste eines Menschen lesen, der sich eingestehen muss: „Ich ziehe in den Krieg, aber keiner zieht mit.“

Solche Sätze fallen derzeit auf einen fruchtbaren Resonanzboden. Alles um einen herum radikalisiert sich, während Kraftklub die allgemeine Orientierungslosigkeit eines letztlich problemlosen mitteleuropäischen Lebens zur Erfahrungsgrundlage für seine Musik macht. Mit „Hand in Hand“, einer an The Clash erinnernden Krawall-Nummer, wagen sie sich etwa mitten hinein ins Getümmel einer Demonstration mit dem Resultat, sich darin ziemlich absurd vorzukommen: „Polizisten stehen im Pflastersteinregen / Ich weiß nicht worum es geht / Doch wir sind anscheinend dagegen / Gegen das System / Nehm’ ich jetzt mal an / Keinen Plan / Bin nur einem Mädchen hinterher gerannt.“ Wie heißt es noch, das Private ist politisch? Nicht für diese Generation.

Seinen Zeitgenossen blickt Kraftklub ins depressive Herz in „Schöner Tag“, einem mit Heavy-Metal-Riffs eröffnenden Porträt von Leuten, die auf einen Suizid zusteuern, das jedoch hinter banalen, undurchdringlichen Ausflüchten verbergen. Im Kraftklub-Kosmos ist das Ich nicht mehr – wie noch auf dem Debütalbum „Mit K“ – ein verkanntes, dennoch potentes Wesen aus der Provinz. Es hat etwas zutiefst Verunsichertes, Ärmliches an sich.

Ausgerechnet der eine Song, der sogar mit einer prägenden Melodie aufwartet, bohrt diesen Komplex auf. „Wie ich“ ist ein Stück höchst reflexiven Powerpops, es berichtet von dem Schmerz, nicht der zu sein, der man gern wäre, auch wenn alle anderen raten: „Bleib wie du bist.“ Was tun, wenn das kein Ausweg ist?

Kraftklub hat keine Antwort darauf, aber die Band hat angefangen, die richtigen Fragen zu stellen.

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