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Saoirse Ronan als Jo March in dem Film "Little Women".

© epd

Kostümfilm "Little Women": Vier Frauen in einer Männerwelt

Greta Gerwig legt eine feministische Neuauflage des Jugendbuchklassikers vor. Der Film erzählt von vier unterschiedlichen Schwestern - und sprüht vor Leben.

Von Andreas Busche

Zwischen der Erfindung von Mädchenliteratur und den Anfängen des Feminismus liegt ein knappes halbes Jahrhundert. In der Zeit dazwischen hatte sich nur wenig getan. Louisa May Alcotts erstmals 1868 publizierter Roman „Little Women“ (deutscher Titel „Betty und ihre Schwestern“) verhandelte die Frage, ob eine junge Frau sich zwischen der Ehe und ihrer persönlichen Freiheit entscheiden darf. 50 Jahre später kämpften in England Emmeline Pankhurst und ihre Mitstreiterinnen immer noch für das Frauenwahlrecht, ihren Anspruch auf Gleichberechtigung in einer offenen Gesellschaft.

Alcotts Roman bot Mitte des 19. Jahrhunderts ein Kleeblatt an Rollenmodellen für junge Mädchen, die von der Literaturwelt gerade als neue Zielgruppe entdeckt wurden: die vier Schwestern Jo, Meg, Amy und Beth March, die im Neuengland des Sezessionskrieges mit ihrer alleinerziehenden Mutter Marmee leben. (Der Vater befindet sich an der Front.) Rückblickend lässt sich „Little Women“ höchstens im Kontext seiner Zeit als feministische Literatur begreifen, die Autorin musste sich noch in einer Männerwelt behaupten. Zwar blieb Alcott unverheiratet, doch ihrer Romanheldin Jo, die das Ideal der Liebe als einengend empfindet, konnte sie diese Freiheit nicht schenken.

Lieber tot als verheiratet

1860 schrieb die 27-jährige Alcott: „Lieber bleibe ich eine freie alte Jungfer und rudere mein eigenes Kanu.“ In ihrem Romandebüt heiratet Jo schließlich doch einen (alten) Mann. „Ihre Heldin muss am Ende entweder tot sein oder verheiratet,“ erklärt in Greta Gerwigs Verfilmung „Little Women“ der Verleger (Tracy Letts) der ambitionierten Jungautorin Jo (Saoirse Ronan). Kein Mädchen wolle Bücher über alleinstehende Frauen lesen.

In ihrem Film lässt Gerwig ihre Hauptdarstellerin Saoirse Ronan den Satz mit der alten Jungfer sagen, den die Alcott-Biografin Susan Cheever der Schriftstellerin zuschreibt. Die Biografie Alcotts und ihr Werk zu verschmelzen, ist eine gelungene Pointe Gerwigs, weil die Buchreihe um die „kleinen Frauen“ in der March-Familie besonders vor dem Hintergrund von Alcotts Privatleben und ihrer politischen Ansichten immer wieder auch als reaktionär angesehen wurde.

Jo ist das literarische Alter Ego Alcotts, die in den „Little Women“-Romanen ihre eigene Familiengeschichte, die unterschiedlichen Temperamente der Schwestern und deren künstlerische Ambitionen erzählt. Darum hinterließ das konstruierte Happy End um die freigeistige Jo, die auf den letzten Romanseiten gerade noch eine gute Partie macht, bei nachfolgenden Generationen einen leicht schalen Beigeschmack. Alcott beugte sich letztlich den gesellschaftlichen Konventionen – wobei sie später gestand, dass der väterliche Mentor Professor Friedrich Bhaer eine so lächerliche Figur abgab, dass jedes Mädchen den Trick durchschauen musste. Da Gerwig aber auch keine Zynikerin ist, gewährt sie Saoirse Ronan listigerweise den französischen Herzensbrecher Louis Garrel (mit deutschem Akzent).

Die March-Frauen: Meg (Emma Watson), Jo (Saoirse Ronan), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen)
Die March-Frauen: Meg (Emma Watson), Jo (Saoirse Ronan), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen)

© Wilson Webb/Sony

Ihre Version von „Little Women“ betreibt eine feministische Revision des Jugendbuchklassikers, ohne das Genre der historischen Gesellschaftserzählung zu entmanteln. Der Kostümfilm „Little Women“ sprüht vor Leben, was seinen leuchtenden Farben – Yorick Le Saux hüllt Neuengland und die Mädchen in den Rückblenden in ein goldenes Licht – vor allem aber den Darstellerinnen zu verdanken ist. Saoirse Ronan, die innerlich glühende Florence Pugh, die der Problemschwester Amy ein paar schöne charakterliche Nuancen abgewinnt (beide sind für Oscars nominiert), Emma Watson in der Rolle der braven Meg, die „arm“ heiratet, Eliza Scanlen (als kränkliche Beth), Laura Dern (Marmee) und Meryl Streep als spitzzüngige Tante, die noch den verblassten Bürgertumsprivilegien nachtrauert, besitzen eine umwerfende Chemie.

Die Tante ist es auch, die den Mädchen die sozioökonomische Aufwärtsmobilität einbläut, der sich Jo so vehement widersetzt. Vom aussichtsreichsten Kandidaten, dem wohlhabenden Nachbarssohn Laurie (Timothée Chalamet), der unbeschwert um die Mädchen herumscharwenzelt, zeigt sie sich in Anbetracht dessen verschenkten Potentials als Versorger enttäuscht. „Das muss der italienische Anteil in ihm sein“, bemerkt die Tante einmal mokant.

Gleichberechtigung durch finanzielle Unabhängigkeit

„Little Women“ wurde zuletzt 1994 von Gillian Armstrong verfilmt (erstmals 1933 von George Cukor, mit Katharine Hepburn), die Australierin erkannte bereits die problematische Konstellation von Biografie und Werk. In ihrer Adaption zieht Winona Ryders Jo während einer männlichen Abendgesellschaft die Parallele zwischen Emanzipation und Frauenwahlrecht. Gerwig hat einen pragmatischeren Blick auf die Gleichberechtigung, es geht um finanzielle Unabhängigkeit.

Pughs Amy erklärt Laurie, der mit dem Geld seines Vaters nichts anzufangen weiß, dass die Ehe für eine Frau nur ein ökonomisches Angebot bedeutet. Selbst das Geld, das sie als Malerin verdient, würde ihrem Mann gehören. Sie will ihre künstlerischen Ziele für eine Geldheirat aufgeben – eine eher unromantische Vorstellung von Freiheit. Saoirse Ronan hingegen klagt bei der Mutter über die soziale Konvention, dass Frauen nur in der Ehe gesellschaftliche Akzeptanz finden. Gleichzeitig realisiert sie, wie einsam ihr Kampf um Unabhängigkeit macht.

Gerwig schließt dieses ökonomische wie soziale Dilemma auf kluge Weise kurz, indem Jo sich ihre finanzielle Autonomie teuer bezahlen lässt: Ihre Romanfigur darf heiraten, sie aber behält das Urheberrecht. Ein Faustpfand der Freiheit. Am Ende hält Ronan ein handgebundenes Exemplar von Alcotts „Little Women“ in der Hand, sie lächelt wissend in die Kamera. Jo beherrscht das Spiel der Männer. Es ist vielleicht aber auch das wissende Lächeln Gerwigs, die wohl schon ahnte, dass sie dafür beim Regie-Oscar übergangen wird.

In 18 Kinos (OmU); OV: Kulturbrauerei, Rollberg, Luxe Kino Mercedes-Platz

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