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Dieter Kosslick

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Kosslicks letzte Berlinale: "Berlin wird Dieter vermissen!"

Die 69. Berlinale ist die letzte von Dieter Kosslick. Wim Wenders, Nina Hoss und Co. erzählen zum Abschied ihre besten Kosslick-Geschichten.

DANIEL BRÜHL: Berlin wird Dieter vermissen, seinen Charme, seinen Witz, sein tadelloses Englisch! Was Cannes für das französische Kino und Venedig für das italienische Kino getan hat, tat er für den deutschen Film, indem er ihm einen Platz im Festival erkämpfte und damit eine internationale Plattform gab. Vielen Dank, Dieter!

Der Schauspieler Daniel Brühl ist Festival-Stammgast, zuletzt war er hier mit „7 Tage in Entebbe“ (2018) und „Jeder stirbt für sich allein“ (2016) zu sehen.

NINA HOSS: Ich freue mich jedes Mal, wenn er auf dem roten Teppich steht, mit seinem Schal und Hut, seinem Lächeln, seinem schwäbischen Witz. Dann weiß ich, jetzt geht es los. Vor allem ist da sein Enthusiasmus. Was Dieter Kosslick alles in dieses Festival integriert, auf spielerische Weise, mit Humor und dieser leichten Imperfektion, wie wir sie von seinen Moderationen kennen! Dieses Unperfekte, das menschliche Maß macht seinen Charme aus. Und den der Berlinale, so perfekt, wie das Festival sonst organisiert ist. Dabei nimmt er die Themen, die Filme, die Menschen ernst, jeder und jede fühlt sich wahrgenommen, unabhängig vom Status. Das ist ihm wichtig, dass es ein Festival fürs Publikum ist. Und er lässt Raum für das Unvorhergesehene, für das, was nicht den Regeln entspricht, da ist er angenehm undeutsch. Als ich 2011 in der Jury war, stand für den mit Reise- und Berufsverbot belegten iranischen Filmemacher Jafar Panahi als neuntes Jury-Mitglied immer ein leerer Stuhl bei unseren Sitzungen. Die Berlinale unter Dieter ist beides, ein Treffpunkt, um über Filme und die Welt zu reden, und es ist Entertainment, ein Ort zum Abtauchen. Dieter Kosslick ist für mich die Inkarnation dieser Mischung.

Nina Hoss ist Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne. Sie gewann 2007 für „Yella“ den Silbernen Bären, nahm auch mit „Elementarteilchen“ und „Barbara“ am Wettbewerb teil und saß 2011 in der Jury.

Dieter Kosslick mit Nina Hoss bei der 57. Berlinale.
Dieter Kosslick mit Nina Hoss bei der 57. Berlinale.

© picture-alliance/ dpa/Jörg Carstensen

IRIS BERBEN: Ich kenne Dieter Kosslick seit Anfang der 90er Jahre, als er die NRW-Filmstiftung in Düsseldorf leitete. Häufiger begegneten wir uns, als er im Verwaltungsrat der FFA saß, der Filmförderungsanstalt, und ich dort in der Vergabekommission tätig war. Ich war da die erste Schauspielerin überhaupt. Er musste sich oft mein Geschimpfe anhören, wenn mir eine Entscheidung nicht einleuchtete. Damals gab es dort noch reichlich Anzug- und Aktentaschenträger, die ich aus meiner etwas einsamen Position als Kreative ab und zu umstimmen konnte. Wir stellten fest, dass wir uns mögen, und fingen an, unsere Karrieren miteinander zu besprechen, er war da ein verlässlicher Partner.

Eines Tages – ich war gerade zur Präsidentin der Deutschen Filmakademie gewählt worden – war wieder Berlinale. Dann steht er da mit seinen großen ausgebreiteten Armen, drückt einen an sich, es ist keine Allüre, keine Farce. Dieter empfängt einen mit Liebe und Freude, auf Augenhöhe, und er meint es auch so. Er gratulierte mir also zum neuen Amt und ich meinte: Jetzt tragen wir beide eine große Bürde. Er, wie aus der Pistole geschossen: Ja, und zwar mit Würde. Die Bürde mit Würde, das ist unser kleines Wortspiel, das wir mit Leben zu füllen versuchen.

Die Schauspielerin Iris Berben ist Präsidentin der Deutschen Filmakademie.

CHARLOTTE RAMPLING: Dieter Kosslick ist Surrealist. Er hat diese magische Eigenschaft, die Wirklichkeit zu verdrehen, ohne sie aus den Augen zu verlieren. So kann er mit der Realität spielen, das hat große Kraft. Dieter ist anders als andere, ein Original. Das ist bemerkenswert in einer Zeit, in der jeder dem Standard entsprechen will, anders als in den 60er oder 70er Jahren, als wir alle originell sein wollten. Und er ist eine treue Seele; wen er mag, den vergisst er nicht. Wenn er in Paris ist, gehen wir immer im Le Dôme zusammen essen.

Die Schauspielerin Charlotte Rampling war 2006 Jury-Vorsitzende, sie erhielt 2015 Silber für „45 Years“. Diesmal wird sie mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet.

Dieter Kosslick holt Charlotte Rampling 2006 vom Flughafen Tegel ab.
Dieter Kosslick holt Charlotte Rampling 2006 vom Flughafen Tegel ab.

© dpa / picture-alliance / Miguel Villagran

DER JUGENDFREUND: Mit den ehemaligen Bandmitgliedern unternahmen wir 1971 mal wieder eine Ferienreise, von Pforzheim über Oslo, Nordkap, Helsinki, Leningrad, Moskau, Warschau und Berlin wieder zurück nach Pforzheim. Während langer Nächte in Blockhütten, Zelten und im VW-Bus verkündete Dieter „Alle Macht der Super 8“ und begann, einen Film über den schon deutlich sichtbaren Niedergang des Sozialismus in der Sowjetunion zu drehen. Er war der Hauptdarsteller, Regie führte er selbstverständlich auch. Nach stundenlangen Drehs an diversen Schauplätzen spielten wir die Schlusssequenz, die Verbannung von Lenin nach Sibirien, alle zusammen auf dem Roten Platz. Durch den Einsatz der Moskauer Polizei wurde Dieters Film abrupt beendet, er blieb unvollständig. Vielleicht war dies die Geburtsstunde des späteren Berlinale-Chefs.

Holger Steinle kennt Dieter Kosslick aus der Schulzeit, als sie beide in einer Rockband spielten. Bis zu seiner Pensionierung 2013 leitete Steinle die Luft- und Raumfahrtabteilung im Berliner Technikmuseum.

ALBA ROHRBACHER: Bei Premieren im Berlinale-Palast wartet das Team immer im Blauen Korridor, um hinterher auf die Bühne zu kommen. Bei der Vorführung von „Sworn Virgin“ 2015 war ich sehr nervös. Dieter Kosslick fing an, mit sanfter Stimme mit mir zu plaudern, unter anderem über Honig. Als der Abspann lief, nahm er mich an der Hand und begleitete mich auf die Bühne. Meine Angst war wie weggeblasen! Es gab mehr solcher Momente der Empathie und Großzügigkeit. Immer wieder gelang es ihm, meine Anspannung im Blauen Korridor in Luft aufzulösen, indem er die Angst, die Freude und das Lachen mit mir teilte.

Die italienische Schauspielerin Alba Rohrwacher war zuletzt 2018 im Wettbewerbsfilm„Figlia Mia“ zu sehen. 2016 saß sie in der Jury. Dieses Jahr spielt sie im Panorama-Film „Hellhole“ eine Dolmetscherin in Brüssel.

VOLKER SCHLÖNDORFF: Ihr Herren Regisseure habt ja immer so eure Sonderwünsche, sagte Dieter Kosslick, als er mich zum Italiener einlud, um über die Festivalteilnahme von „Rückkehr nach Montauk“ zu sprechen. „Was meinst du?“, fragte ich. Nun, ob ich den Film als Galavorführung wolle oder lieber im Wettbewerb oder im Rahmenprogramm. Ein in der Branche völlig unüblicher Vertrauensbeweis oder ein Falle?, fragte ich mich. Scorsese will nur NOT IN COMPETITION, die Italiener wollen nur IN COMPETITION, andere egal wo, aber unbedingt am Samstag. Also am liebsten wäre mir, wenn du es selbst entscheidest, fügte er hinzu. Natürlich im Wettbewerb, platzte es mir in Widder-Manier heraus. Hinterher habe ich die Entscheidung bedauert, denn im Jahr der Flüchtlinge war mein privater Liebeskummer auf der Berlinale fehl am Platz. Vielleicht war er überall am falschen Platz, aber Dieter Kosslick war am Potsdamer Platz am richtigen.

Volker Schlöndorff ist häufig mit seinen Filmen auf der Berlinale zu Gast, zuletzt mit „Das Meer am Morgen“, „Diplomacy“ und 2017 mit „Rückkehr nach Montauk“.

"Ein kluger, komischer, menschenfreundlicher Mann"

Wm Wenders und Dieter Kosslick bei der 65. Berlinale.
Wm Wenders und Dieter Kosslick bei der 65. Berlinale.

© imago/snapshot

WIM WENDERS: Eigentlich darf man über Dieter Kosslick nicht schreiben. Man sollte vielmehr über ihn und von ihm reden, und zwar frisch von der Leber weg, möglichst nicht von einem Zettel abgelesen, und bevorzugt nicht nur auf Deutsch, sondern mit ein paar eingestreuten englischen Brocken. Dann hat man eine gute Chance, auf seiner Wellenlänge anzukommen, wohingegen man mit Geschriebenem wie dem hier hoffnungslos danebenliegt. Dieter ist so ein spontaner und kommunikationsfreudiger Redner, mit dem man auf so gute Gedanken kommt, dass es so viel mehr Spaß macht, mit ihm ins Gespräch zu kommen, als sich schriftlich über ihn zu äußern, selbst wenn es im Tagesspiegel erscheint. Also: Ich gebe diese Mission hier lieber auf und warte auf eine nächste Gelegenheit, mit diesem klugen, komischen, menschenfreundlichen Mann zu quatschen, statt etwas über ihn zu verzapfen. Dieter, das ist ein Gutschein, lass uns den mal einlösen! Du hast ja demnächst etwas mehr Zeit. Oder nicht? Wim

Wim Wenders war zuletzt mit seinen Filmen „Pina“ und „Every Thing Will Be Fine“ auf dem Festival. 2015 erhielt er den Goldenen Ehrenbären.

EMILY ATEF: 2008 lief „Das Fremde in mir“ in Cannes, ein paar Monate später wollte sich Dieter Kosslick den Film unbedingt auf der großen Leinwand in Berlin anschauen. Diese Neugier war toll. Ich war eigentlich noch in der Hochschule, und der Festivaldirektor schaut sich den Film extra im Berlinale-Vorführkino an, obwohl der längst auf einem anderen Festival gelaufen war! Und er lädt mich und meine Co-Autorin Esther Bernstorff zum Essen ein. Dann die Wettbewerbspremiere von „3 Tage in Quiberon“ letztes Jahr: Viele hatten skeptisch auf das Projekt reagiert, und nun erfuhr der Film große Aufmerksamkeit dank der Berlinale. Noch etwas: Ich verbringe viel Zeit in Frankreich und Amerika. Im Ausland heißt es immer, die Deutschen haben keinen Humor. Dann sage ich, wir haben Dieter Kosslick.

Die Regisseurin Emily Atef zeigte 2018 im Wettbewerb den Romy-Schneider-Film „3 Tage in Quiberon“.

Trine Dryholm und Dieter Kosslick beim Europäischen Filmpreis 2013.
Trine Dryholm und Dieter Kosslick beim Europäischen Filmpreis 2013.

© picture alliance / dpa / Britta Pedersen

TRINE DYRHOLM: Seine Liebe zum Kino und den Filmemachern ist das Herz des Festivals. Seine Art, zu so vielen Menschen ein persönliches Verhältnis zu haben, ist bewundernswert. Er ist zugewandt, kümmert sich, hat einen wunderbaren Humor und ein großes Herz. Wir werden ihn vermissen.

Die dänische Schauspielerin Trine Dyrholm gewann für „Die Kommune“ 2016 einen Silbernen Bären. Diesmal ist sie in Heinrich Breloers „Brecht“ als Ruth Berlau zu sehen.

DAS MARMELADEN-EHEPAAR: Am 10. Februar 2009 habe ich Dieter Kosslick auf dem roten Teppich angesprochen. Ich fasste mir ein Herz, ging auf ihn zu und sagte, ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen dafür bedanken, wie Sie die Berlinale vorangebracht haben. Es stimmt ja, er hat die Stimmung positiv verändert, ist nie genervt, geht auf die Menschen zu. Er schaute mich verblüfft an, strahlte übers ganze Gesicht, marschierte mit mir über den roten Teppich zu den Pressefotografen und sagte: Das hier ist mein persönlicher Fan. Und alle knipsten los.

Mein Mann Jan-Eike und ich überlegten dann, womit wir ihm eine kleine Freude machen können. Gesundes Essen ist ihm ja wichtig, und da wir einen Garten voller Obstbäume haben, schenkten wir ihm bei der nächsten Gelegenheit ein Glas selbst gekochte Marmelade. Da war er wieder sprachlos. Wir bekamen ein Dankeskärtchen von ihm, handschriftlich. Seitdem bringen wir jedes Jahr ein Glas für ihn mit. Er strahlt, wir überreichen die Marmelade, und immer kommt ein Kärtchen. Letztes Jahr war mein Mann krank, wir kamen erst am letzten Tag. Er begrüßte uns mit den Worten: „Wo wart ihr denn so lange?“ Typisch Kosslick. Seit er uns einmal vor der Presse erwähnte, sind wir das Marmeladen-Ehepaar aus Falkensee.

Elisabeth und Jan-Eike Pludra besuchen jedes Jahr die Berlinale.

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