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Schöpft aus der Musik. Pianist Menahem Pressler.

© picture alliance / dpa

Konzertpianist Menahem Pressler: Leben ist wunderbar

Der älteste Konzertpianist der Welt: Menahem Pressler tritt mit dem Schumann Quartett in Berlin auf. Eine Begegnung.

Vom Fenster aus sieht man die Themse nicht, aber man kann sie riechen. Ein kleiner, feiner Wind weht immer vom Ufer her. Im schicken Londoner Stadtteil Chelsea residiert der Musiker Menahem Pressler in der Wohnung seiner Lebensgefährtin, wenn er nicht gerade in seinem Haus in Bloomington ist, in den USA, wo er seit 1945, also seit 73 Jahren, an der Jacobs School of Music der Indiana University unterrichtet. Zum Tee wird er geführt, aber am Klavier ist der legendäre Pianist ganz der Alte. „Wenn ich unterrichte, fühle ich mich wie 40, spiele ich, fühle ich mich wie 50, aber wenn ich hier die Treppe hochsteige, dann merke ich, wie alt ich wirklich bin“, sagt Pressler.

Tatsächlich hat er, der als Max Pressler 1923 das Licht der Welt erblickte, das biblische Alter von 94 Jahren erreicht. „Mich hat vor Kurzem jemand gefragt, wie das zugegangen ist. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Es ist ein Gottesgeschenk, ich kann es nicht anders sagen.“ Pressler spricht auf jene galante Art, wie es nur noch ein Mann seines Alters vermag – distinguiert, aber ohne jeden Anflug von Hochmut oder Überspanntheit. Es ist gestochenes Hochdeutsch, aber mit einem unverkennbar magdeburgischen Schlenker, einem Überbleibsel seiner alten Heimat, die er 1939 in Richtung Palästina verlassen musste. Noch heute ist diese Erinnerung in ihm wach, denn die Flucht aus Nazideutschland kam nur mit Glück zustande. „Wir bekamen das letzte Schiff aus Triest nach Haifa, es fuhr nicht wieder zurück, denn am Tag unserer Abreise trat Italien in den Krieg ein. So zeigte mir auch unsere Emigration: ich sollte leben.“

Ohne jeden Anflug von Hochmut

Will er rekapitulieren, mit wem er in seinem langen Künstlerleben schon aufgetreten ist, benötigt er die Hilfe seiner Partnerin, seines „Sweetheart“, aber um sich zu erinnern, wie seine Partien funktionieren, muss er nur sein eigenes Gedächtnis bemühen. „Ich vergesse so manches, aber die Musik ist mir immer geblieben.“

Presslers Lieblingswort ist „wunderbar“. Er spricht es aus wie Musik. Es steht für all das, was dieser betagte Herr nach einer überreichen Lebensgeschichte noch immer wie ein heißblütiger Jüngling verehrt. Menahem Pressler kennt – abseits des anstrengenden Reisealltags zwischen Amerika, Japan und Europa – kein Hindernis. „Ich liebe das Leben, und es ist mir ein inneres Bedürfnis zu musizieren.“ Bei kaum einem anderen Musiker glaubt man diesen Worten mehr. Erlebt man Pressler am Klavier, fällt einem unvermittelt dieses Wort „wunderbar“ wieder ein. Presslers Ton ist sanft, nie auftrumpfend. Hier ist alles echt und von solcher Tiefe, wie es wohl nur mit solch einer Lebensgeschichte möglich ist. Der angenehme Nebeneffekt bleibt, dass sich dieser Pianist überhaupt nicht in Szene setzen muss. „Die Begabung, die mir geschenkt wurde, widme ich allein dem Werk.“ Und das ist tatsächlich keine Phrase. Die Auftritte sind elektrisierend, und dabei spielt das Alter gar nicht die entscheidende Rolle, sondern das organische Sich-Ergeben.

Herz und die Seele des legendären Beaux Arts Trios

Seit seinem Durchbruch beim Debussy-Wettbewerb 1946 in San Francisco steht Menahem Pressler ohne Unterlass auf der Bühne. Mit dem Beaux Arts Trio dereinst berühmt geworden, startete er 2014, als dessen letzter Primarius Daniel Hope aus Zeitgründen aufgeben musste, noch einmal als Solist durch, debütierte bei den Berliner Philharmonikern und ähnlich prominenten Orchestern als Solist. Da war er immerhin schon 90.

Seine große Leidenschaft gilt aber noch immer der Kammermusik. Neben Mozart, Beethoven und Schubert haben es ihm besonders die französischen Komponisten angetan. Sein neues Album „French Touch“ (Deutsche Grammophon) vereint Debussy, Fauré und Ravel, „Claire de Lune“ war dereinst Presslers erstes Debussy-Stück. Die Liebe für den Impressionismus weckte einst sein Lehrer Leo Kestenberg, Paul Loyonnet festigte sie, und sie hält noch immer. „Diese Werke waren damals eine neue Welt für mich, und sie sind bis heute ein unerschöpflicher Reichtum an Schönheit und Anmut.“

Der Tee ist kalt. „Ich muss jetzt üben“, sagt Menahem Pressler freundlich, aber bestimmt. Auf dem kleinen Klavier in der Wohnung seiner „Lady Annabelle“, wie er sie nennt, stehen die Noten des Klavierquintetts von César Franck. „Obwohl ich sonst fast alle seiner wunderbaren Werke kenne, habe ich dieses neu ins Repertoire aufgenommen.“ Sagt Pressler und greift in die Tasten.

Menahem Pressler spielt am heutigen Donnerstag um 20 Uhr mit dem Schumann Quartett im Kammermusiksaal der Philharmonie Werke von W. A. Mozart, Peter Tschaikowsky und César Franck.

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