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Bundespräsident Steinmeier und Präsident Duda am 80. Jahrestag des Kriegsbeginns.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

© dpa

Kontroverse um Gedenkpolitik: Bewegung im Streit um Polen-Mahnmal in Berlin

Ein Kompromiss des Polen-Instituts und der Stiftung Denkmal stößt auf heftige Kritik, kann aber den Weg zu zwei Gedenkorten für die Nazi-Opfer öffnen.

Das Ringen um ein Polen-Mahnmal im Herzen Berlins ist eine Geschichte der verpassten Gelegenheiten. Zwei historische Daten, zu denen Bundesregierung und Bundestag gerne ein beschlossenes Projekt für die überfällige Geste an die Nachbarn vorgelegt hätten, verstrichen ungenutzt: der 80. Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September 2019 und der 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 2020.

Zwei Konkurrenten verbünden sich

Nun schlagen zwei zivilgesellschaftliche Organisationen, die zunächst konkurrierende Projekte verfolgten, einen Kompromiss vor. Das Deutsche Polen-Institut (DPI) und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas wollen das Polen-Mahnmal mit einem Dokumentationszentrum für alle Opfer des Vernichtungskriegs und der Besatzungsherrschaft in Europa verbinden. Nach ersten Reaktionen namhafter Vertreter der Koalitionspartner Union und SPD sowie der Grünen zu urteilen ist dies jedoch nur ein neuer Zwischenschritt, der weiterentwickelt werden muss, um eine Mehrheit zu finden. Sachliche Einwände mischen sich mit heftigen Gefühlsausbrüchen gegen Parteifreunde und Gegner, die als „Blockierer“ gelten oder denen man vorwirft, „nicht gekämpft“ zu haben.

Dank Schäuble schien der Weg für das Mahnmal frei

Für die Öffentlichkeit kommt das überraschend. Der Plan für das Polen-Mahnmal schien nach langem Anlauf auf gutem Weg. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hatte am 80. Jahrestag mit seiner polnischen Kollegin Elzbieta Witek und vielen Unterstützern des Projekts vor der Ruine des Anhalter Bahnhofs des Überfalls auf Polen gedacht.

Die Zahl der Bundestagsabgeordneten, die das Mahnmal unterstützen, wuchs in allen Fraktionen. Die Argumente, warum Polen ein eigenes Mahnmal verdiene, schienen die Oberhand über den Einwand zu behalten, man solle alle Opfer der Naziverbrechen gemeinsam ehren, weil sonst jede Nation ihren Gedenkort fordern werde.
Der Zweite Weltkrieg hatte mit dem Angriff auf Polen begonnen. In keinem anderen Land war die Dimension der Verbrechen vergleichbar. In Polen errichteten die Nazis die meisten KZ’s und fast alle Vernichtungslager. Polen verlor 20 Prozent seiner Bevölkerung.

Polens historische Sonderstellung

Die Vernichtungspolitik in Polen war der Tiefpunkt der Nachbarschaftsgeschichte. Sie hatte aber Vorläufer in einer tief sitzenden Polen-Feindschaft der Deutschen. Gemeinsam mit den Russen hatten sie seit langem die Politik verfolgt, keinen polnischen Staat zu dulden und die Herrschaft über Polen unter sich aufzuteilen. Die historische Sonderstellung Polens verbanden die Außen- und Europapolitiker mit Polens Bedeutung für die Zukunft deutscher Europapolitik: „Polen ist und bleibt für Deutschland neben Frankreich der zentrale europäische Partner“, heißt es in einem Antrag für das Mahnmal.

Die Motive der Gegner sind vielfältig

Doch mit dem scheinbaren Durchbruch für das Mahnmal wurde der Widerstand gegen einen speziellen Gedenkort für die Verbrechen an Polen zäher. Die Zahl der Abgeordneten für das Projekt blieb bei gut 260 stehen und wuchs nicht in Richtung der nötigen 355. Die Skeptiker und Gegner bilden keine einheitliche Gruppe, ihre Motive sind so vielfältig wie die Spaltungslinien in der SPD und der Union. Darunter sind Historiker wie Wolfgang Benz und Uwe Neumärker von der Stiftung Denkmal, die ein nationenbezogene Gedenken für den falschen Weg halten und ein Dokumentationszentrum für alle Opfer vorziehen.

Einige im Bundestag spitzten die Bedenken ideologisch zu: Man müsse eine „Renationalisierung der Geschichtsbilder“ verhindern und ein „postnationales“ Gedenken pflegen. Das löste harte Repliken aus: Sei es die Aufgabe der Täter den Opfern vorzugeben, wie es gewesen ist und wie die Opfer das zu sehen haben, fragt Dieter Bingen, Mitinitiator des Mahnmals und von 1999 bis 2019 Direktor des Deutschen Polen-Instituts. Soll, böse formuliert, am postnationalen deutschen Gedenkwesen die Welt genesen?

Konkurrenz der Kultur- und der Außenpolitiker

Parallel entfaltete sich eine Konkurrenz um die Entscheidungshoheit zwischen dem Kulturausschuss, der die Federführung in der Gedenkpolitik reklamiert, und dem Auswärtigen Ausschuss sowie der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe um Manuel Sarrazin (Grüne), CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und Dietmar Nietan (SPD).

Besondere Verwunderung löste die Schärfe der Ablehnung des Mahnmals durch Marianne Schieder (SPD) und Gitta Connemann (CDU) aus. „Überraschend“, „nicht hilfreich“, „ohne sie wären wir weiter“, sagen Parteifreunde. Kein Lager konnte am Ende eine Mehrheit finden, weder die Anhänger des Mahnmals noch die Befürworter eines Dokumentationszentrums für alle Opfer. Sie blockieren sich gegenseitig.

Ein Schritt nach vorn, aber noch nicht die Lösung

Da setzt der Kompromissvorschlag von DPI und Stiftung Denkmal an. An zentraler Stelle in Berlin soll ein „Platz des 1. September“ entstehen mit einem Mahnmal für die polnischen Opfer sowie einem Dokumentationszentrum für den Vernichtungskrieg und die deutsche Besatzungsherrschaft in Europa von 1939 bis 1945. Das Schild mit dem Platznamen und die Inschrift auf dem Mahnmal sollen deutsch und polnisch sein. Das Dokumentationszentrum soll über deutsche Verbrechen „zwischen Pyrenäen und Kaukasus, zwischen Nordkap und libyscher Wüste“ informieren und durch den Vergleich den rassistischen Charakter des Vernichtungskriegs gegen Polen und die Sowjetunion deutlich machen. Eine Verwässerung oder eine Öffnung für die Einwände? „Beide Seiten mussten sich bewegen. Das ist auf jeden Fall ein Schritt nach vorn“, meint Bingen. „Nachbessern ist aber nötig.“

Es läuft wohl auf zwei räumlich getrennte Bauten hinaus

„Ich bin noch nicht überzeugt“, sagt der Grüne Sarrazin. Er befürchtet eine Relativierung der langfristigen deutschen Polenpolitik seit den polnischen Teilungen und unter Bismarck. Und heikle Situationen: Soll eine russische Delegation Kränze für russische Opfer auf dem Platz des 1. September vor dem Polen-Mahnmal ablegen, das doch an den gemeinsamen Überfall von Hitler und Stalin erinnert?

Auch Johann Wadephul (CDU) hat Zweifel: „Der Ansatz geht in die richtige Richtung. Es muss aber sichergestellt sein, dass es einen eigenständigen polnischen Ort gibt.“ Dietmar Nietan (SPD) war für das Polen-Mahnmal, würde aber „den Kompromiss aufgreifen, solange wir keinen besseren Vorschlag haben“. Die Botschaft dahinter: Es läuft auf Nachbessern hinaus. Und, der Meinung soll auch Bundestagspräsident Schäuble sein, auf zwei räumlich getrennte Bauten: ein Mahnmal mit Information für die Verbrechen in Polen und ein Dokumentationszentrum für die Verbrechen in ganz Europa.

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