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Kultur: Kontrolle und Leidenschaft

Gillian Flynns Midwest-Thriller „Gone Girl“.

Von jeder Liebesgeschichte gibt es zwei Versionen, je nach der Anzahl der Beteiligten auch mehr. Amy hat die Version ihrer fünf Jahre dauernden Liebe zu Nick einem Tagebuch anvertraut. Nick muss seine Fassung der Geschichte der Polizei plausibel machen. Denn Amy ist verschwunden, und das Wohnzimmer des gemeinsamen Hauses in Carthage, Missouri, sieht aus, als sei sie verletzt und verschleppt worden. Detective Rhonda Boney, die Nick „unverfroren hässlich“ findet, und ihr Kollege Jim Gilpin brauchen nicht lange, um den attraktiven Mann für den Mörder seiner schönen Frau zu halten.

Sehr amerikanisch, diese Geschichte, die man abwechselnd aus Nicks und Amys Perspektive erzählt bekommt. In New York haben sie sich getroffen, der smarte Magazin-Autor und die blonde Attraktion, die ihr Geld mit dem Verfassen von Psychotests verdient und als Kind Vorbild für eine Kinderbuchreihe war. Dann verliert Nick den Job und überredet Amy zum Umzug in das Midwest-Städtchen Carthage. Sehr zeitgemäß, diese Geschichte, weil die Finanzkrise die Menschen zu radikalen Veränderungen zwingt und ihre Zerstörungskraft überall im Lande entfaltet. Das Einkaufscenter, von dem die Stadt lebte, ist eine Ruine, in der Obdachlose und Dealer hausen.

Wie der Abstieg und die gemeinsame Zeit die Liebe verändern, wäre Thema genug für eine Autorin, die so viel Sinn wie Gillian Flynn für das Problem mit den Erwartungen hat: den Erwartungen an sich selbst, an die Liebe – und an die Ehe. Und dann sind da noch die Erwartungen der anderen.

Aber „Gone Girl“, der dritte Roman der 1972 in Kansas City geborenen und heute in Chicago lebenden Autorin, ist nicht allein die Verfallsgeschichte einer Liebe in Zeiten des Krisenkapitalismus – und viel mehr als ein Whodunnit. Je mehr Nick erzählt, desto weniger bleibt von der Liebesgeschichte mit Amy. Derweil finden die Detectives Boney und Gilpin mit den Tagen nach Amys Verschwinden immer mehr Hinweise darauf, wie zerrüttet die Beziehung zwischen Nick und Amy schon war. Dann taucht auch noch Nicks kleine außereheliche Freundin auf – und „Gone Girl“ macht die erste von mehreren spektakulären Schleuderwenden. In der Liebe geht es eben immer auch um Kontrolle. Werner van Bebber

Gillian Flynn: 

Gone Girl.

Das perfekte Opfer. Aus dem Amerikanischen von Christine Strüh. Fischer Scherz, Frankfurt a. M. 2013. 576 Seiten, 16,99 €

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