zum Hauptinhalt
Ex-Bundeskanzler und CDU-Politiker Kurt-Georg Kiesinger war im Dritten Reich in Leitungsfunktion im Auswärtigen Amt tätig.

© UPI/dpa

Kontinuitäten zur NSDAP: Die CDU verklärt nach Thüringen ihre rechte Vergangenheit

Nach dem Thüringen-Debakel blendet die Partei ihre Beziehung zu rechter Ideologie und Kontinuitäten zur NSDAP aus. Ein ehrlicher Blick tut Not. Ein Kommentar.

Von Caroline Fetscher

Oft ist in diesen Tagen der Turbulenzen um Thüringen zu hören, die CDU sei seit der Republikgründung im Mai 1949 „schon immer antitotalitär“ gewesen. Man habe sich durchgängig „in Distanz zu rechts wie links“ befunden, wird vor den Mikrofonen beteuert.

Diese klare Linie gelte es durchzuhalten, wenn jetzt auf der einen Seite völkisches Getöse, auf der anderen Seite demokratische Sozialisten größere Gruppen um sich versammeln, wie derzeit in der besonderen Situation von Thüringen nach dem trickreichen Überfall der AfD auf das Landesparlament. Mithin laute die bewährte Parole: „Äquidistanz!“. Das soll nach kühlem Equilibrium, nach neutraler Überlegenheit klingen.

Es ist doch so: Der Weg, den die Union seit 1949 bewältigt hat, war lang und serpentinenreich. Die Rückschau hilft dabei, das zu sehen. Allerdings wird beim gegenwärtigen Schon-immer-Blick in die Vergangenheit das Fernrohr umgedreht: Die Figuren von Früher wirken schön, verschwommen ... und weit weg.

Kaum erkennbar sind hier die Anfänge der CDU in der Nachkriegszeit, lange vor der Ära überzeugter Demokraten und Europäer wie Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Diese Zeit war geprägt von pseudobiederen Konservativismus, der ehemalige Nationalsozialisten in den eigenen Reihen akzeptierte oder sogar begrüßte. Dreht man das Fernrohr richtig herum und stellt die Linsen scharf, rückt einiges ins Blickfeld.

Etwa der skandalöse Paradefall Hans Globke, Mitverfasser der Nürnberger „Rassegesetze“ und bis 1963 Kanzleramtschef unter Adenauer. Kurt-Georg Kiesinger, Bundeskanzler von 1966 bis 1969, war während des „Dritten Reiches“ stellvertretender Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Hans Filbinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg bis 1979, fällte als Marinerichter noch Ende des Zweiten Weltkriegs Todesurteile gegen Deserteure. Er hatte schon 1933 vor „volksfremden Kräften“ gewarnt – in Tönen, die heute von Höcke zu hören sind.

Die Geschichte nicht mitzudenken, führt in Sackgassen

Rund 65 hohe Funktionsträger der CDU, 20 der CSU und 35 Politiker der FDP, waren Mitglieder der NSDAP, ehe sie ihre Ämter in der bundesrepublikanischen Demokratie antraten, als Bürgermeister, Landtagsabgeordnete, Bundestagsabgeordnete, Fraktionsvorsitzende, Ministerpräsidenten, stellvertretende Ministerpräsidenten und hochrangige Diplomaten.

Ein ernüchternder Befund, der die wissenschaftliche Forschung zu Kontinuitäten in fast allen Bereichen der deutschen Gesellschaft, in Konzernen, Behörden, im Bildungswesen, der Medizin, dem Militär und im Kulturbetrieb, stützt. Und dieser Befund ist gut belegt. Die eigene Geschichte nicht mitzudenken, führt gerade in der aktuellen Situation in selbstgebastelte Sackgassen.

Anders sah es nach 1949 bei der SPD aus. Dort gab es Einzelfälle von Politikern, die in der NSDAP waren.

Jedoch hatte keine Partei so viele Mitglieder und Funktionsträger, die vom NS-Regime verfolgt worden waren, wie zuletzt 2015 Kristina Mayers Studie „Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945–1990“ deutlich machte. Sozialdemokraten leisteten Widerstand, kamen in Gestapo- und KZ-Haft, wurden ermordet oder gingen ins Exil.

Während allerdings die konservativen Teile der Republik damals darauf aus waren, ihre rechte Vergangenheit möglichst zu bagatellisieren, so jedenfalls Kristina Mayers Diagnose, mühten sich Sozialdemokraten im Klima der Restauration um Sympathie, indem sie bereit waren, Mitläufer zu entschuldigen und Empathie zeigten, wie aus Furcht davor, den anderen deren Kälte und Verirrung vorzuhalten und dafür noch mehr Ablehnung zu erfahren, als ohnehin.

Erst mit Willy Brandts Kanzlerschaft, der ebenfalls im Widerstand gewesen war, folgte eine selbstbewusstere Etappe.

Es ist Zeit, richtigherum ins Fernrohr schauen, auch durch das linke Okular. In Berlin taucht da zum Beispiel Ernst Reuter auf. Als junger Mann war er Kommunist, weshalb die Eltern, entsetzt, dem Studenten den Wechsel strichen.

Nach der russischen Revolution wirkte Reuter in der Sowjetunion als Volkskommissar an der Wolga. Ab 1922 war Reuter Sozialdemokrat, in der NS-Zeit wurde er in KZs gefoltert. Ihm gelang die Flucht nach Ankara, und nach dem Krieg kehrte er zurück ins zertrümmerte Deutschland.

Aus ihm wurde der legendäre erste Oberbürgermeister von Berlin von 1948 bis zu seinem Tod 1953. Für Christdemokraten, wie für alle Demokraten, gab es und gibt es weitaus mehr Grund, sich von radikalen Rechten abzugrenzen, als von idealistischen Linken.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false