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Konstruktive Revolution. El Lissitzky richtete in Dresden 1926 einen Raum für abstrakte Kunst ein. Das Albertinum hat ihn nachgebildet.

© SKD, Alexander Paul Walther, Repro: Andreas Diesend

Konstruktivisten in Dresden: Neue Leichtigkeit

Lissitzky, Klee und Kandinsky: Das Dresdner Albertinum erinnert mit einer Schau an die abstrakte Avantgarde vor 100 Jahren.

Als das New Yorker Guggenheim-Museum 1983 eine breit angelegte Ausstellung zu Wassily Kandinsky veranstaltete, dem Hausheiligen des Museums, zierte „Im Schwarzen Quadrat“ den Katalogumschlag. Das Gemälde, Bestandteil der Sammlung seit 1937, hatte zuvor einem Dresdner Sammler gehört, Victor Rubin, der das im Juni 1923 geschaffene Werk nur Monate später vom Künstler erworben hatte. Rubin zählte in seinen Dresdner Jahren zum kleinen, aber bedeutenden Kreis Dresdner Sammler und Mäzene, die sich ganz entschieden für die Avantgarde einsetzten, das heißt: für Abstraktion und Konstruktivismus.

Man reibt sich die Augen, wenn man jetzt in der Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, „Zukunftsräume. Kandinsky, Mondrian, Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden 1919 bis 1932“, zumindest ansatzweise erfährt, was in den aufgewühlten Jahren zwischen Erstem Weltkrieg und Nazi-Diktatur alles in Dresden ausgestellt und gesammelt wurde. Diese als konservativ verschriene Stadt, die gleichwohl um 1906 die expressionistische „Brücke“ und in den zwanziger Jahren den Gesellschaftskritiker Otto Dix ermöglicht hatte, war auch ein Zentrum der nicht-gegenständlichen Moderne.

Die Konstruktivisten machten das Raumgefühl lebendig

Piet Mondrian, der Mitschöpfer der Bewegung „De Stijl“, hatte seine erst deutsche Ausstellung 1925 in der Galerie Kühl & Kühn. Eine Fotografie zeigt den Galerieraum, offenbar das Zimmer einer Wohnung, in dem ein halbes Dutzend Gemälde des kompromisslosen Holländers zu sehen ist. Zwei davon kaufte die Fabrikantengattin Ida Bienert, drei ihr Sohn Fritz, der übrigens mit der Ausdruckstänzerin Gret Palucca verheiratet war und ein Mondrian-Bild in ihren Übungsraum hängte. Die beiden Sammler unterhielten in ihren jeweiligen Villen die bedeutendsten Kollektionen der Moderne, die in Elbflorenz zu finden waren.

Vorbei – der Lauf der deutschen Geschichte hat die Sammlungen zerstreut. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war Dresden nahezu ausgelöscht, und in sozialistischen Zeiten konnte es keine Anknüpfung an die Pflege der ungegenständlichen Moderne mehr geben. Galerien und Sammler gerieten in Vergessenheit. Als die Staatlichen Kunstsammlungen 2012 den bedeutenden Dresdner Kritiker, Vermittler und Förderer Will Grohmann in den Mittelpunkt einer archivalischen Ausstellung stellten, blitzte etwas von den einstigen Zeiten auf; Grohmann war ein enger Vertrauter von Kandinsky oder auch Paul Klee.

Grohmann findet selbstverständlich in der jetzigen Ausstellung seinen Platz. Die Sammlerin Ida Bienert schrieb ihm noch im düsteren Jahr 1932 einen Satz, der wie das Leitmotiv der Veranstaltung klingt: „In meinen Augen haben die Konstruktivisten Lissitzky, Moholy, Mondrian eine sehr wichtige Rolle gespielt, sie haben das neue Raumgefühl, was die Architekten wollten, lebendig gemacht, und nahe gebracht. Alles Unnötige fiel ab. Es herrschte auf einmal Leichtigkeit im Raum und Erfülltheit.“

Fünf Mondrians aus aller Welt sind zu sehen

„Raumgefühl“ – das ist das Stichwort für diejenigen Tendenzen, die in Dresden auf wache Bereitschaft stießen. Mondrian entwarf 1926 einen abstrakten Raum für Ida Bienert, eine Raumschöpfung, die seine Malerei und die Theorie von „De Stijl“ in die dritte Dimension heben sollte. Dieser kubusförmige Raum blieb ungebaut. Anders der „Demonstrationsraum“ für abstrakte Kunst, den der russische Tausendsassa El Lissitzky im selben Jahr für die „Internationale Kunstausstellung“ in Dresden errichtete. Er wurde zum Vorbild für das „Abstrakte Kabinett“, das Lissitzky zwei Jahre darauf in Hannover realisieren konnte und das durch die Rekonstruktion im dortigen Sprengel-Museum ungleich stärker Beachtung fand.

Lissitzkys Vorführraum ist jetzt in der Ausstellung im Albertinum – der Gemäldegalerie Neue Meister – nachgebildet. In Ermangelung der authentischen Kunstwerke von 1926, die zerstört, verschollen oder für eine Ausleihe zu fragil sind, hat Ko-Kuratorin Birgit Dalbajewa russische, ungarische und rumänische Gemälde besorgt, die den damals gezeigten nahekommen. Auch die „Komposition Z VIII“ des Bauhaus-Meisters László Moholy-Nagy von 1924 aus der Berliner Nationalgalerie nimmt dort einen Platz ein.

So sinnfällig wie dieser Kubus lassen sich die weiteren damaligen Ereignisse nicht reanimieren. Wunderbar, dass fünf Mondrians – wenn auch nicht die Bienertschen – aus aller Welt ausgeliehen werden konnten, ebenso wie auf der gegenüberliegenden Wand vier Klees oder an einem anderen Wandabschnitt mehrere Kandinskys, dazu die selbstsicheren Kompositionen Lissitzkys, die er mit dem Kunstwort „Proun“ bedachte.

Der intime Charakter der Werke wird verfehlt

Doch in der langgestreckten und durch keinerlei Einbauten unterteilten Haupthalle des Albertinums verlieren sich die Werke an den Wänden, und einzelne Möbelensembles, etwa eine nachgeahmte Wohnzimmerecke mit Stahlrohrmöbeln, können dem nicht abhelfen. Vielleicht war es der Leitgedanke, die Fülle und Vielfalt der damals gezeigten und gesammelten Kunst quasi mit einem Blick erfassbar zu machen, statt sie in Themenräume zu unterteilen.

Doch diese abstrakte und konstruktive Kunst, die zwar die ganze Welt neu zu gestalten propagierte, war zugleich doch kammermusikalisch auf den überschaubaren Raum bezogen. Sie wirkte im Zimmer einer Kunsthandlung, in der Beletage der Sammlerin oder auf dem Tisch, auf dem Grafikliebhaber sich in einzelne Blätter vertiefen. Dieser intime Charakter, der geradezu paradigmatisch in den bekannten Fotografien von Mondrians bescheidenem Pariser Atelier der mittzwanziger Jahre aufscheint, wird in der jetzigen Ausstellung verfehlt. Eigentlich erstaunlich.

Umso hilfreicher der Katalog, der eher ein Begleitbuch ist und in seinem reichhaltigen Abbildungsmaterial weit über das hinausgeht, was realiter für die Ausstellung ausgeliehen werden konnte. In den Beiträgen ersteht die damalige Dresdner Kunstszene auf. Darin taucht auch der Leiter der Internationalen Ausstellung von 1926 auf, Hans Posse – eben derjenige Posse, der kurz vor Kriegsbeginn 1939 von Hitler für dem „Sonderauftrag Linz“ verpflichtet wurde, der Zusammenraffung von Kunstwerken für das geplante „Führermuseum“ in Linz. Hier aber kommt der frühere Museumsmann zur Ansicht, seit 1910 Direktor der Dresdner Gemäldegalerie und in den zwanziger Jahren einer der engagiertesten Verfechter der Avantgarde überhaupt. Was für eine gespaltene Persönlichkeit!

Die Gegenwart im Blick behalten

Die Geschichte der Rezeption von Kunst, ihrer öffentlichen Wirkung oder auch Nicht-Wirkung, ist in einer Ausstellung schwierig zu veranschaulichen. Und noch schwieriger, wenn ein künstlerischer Entwurf nicht zur Ausführung kam, wie Mondrians Raumkubus für Ida Bienert. Ihn hat der österreichische Künstler Heimo Zobernig im weiten Lichthof des Albertinums näherungsweise verwirklicht; er nennt es „eine räumliche Aneignung“. Insgesamt waren vier zeitgenössische Künstler eingeladen, den abgerissenen Faden von einst aufzunehmen und die Sammlung des Albertinums stellenweise aufzulockern.

Das sind für sich genommen lebhafte Interventionen, doch der Zusammenhang zu der historischen Ausstellung zur Avantgarde bleibt lose. Es ist jedoch das erklärte Ziel der Museums-Generaldirektorin Marion Ackermann, stets die Gegenwart im Blick zu behalten und ein junges Publikum einzubeziehen. Eher dieser Gedanke schlägt den Bogen zur damaligen Zeit, da die abstrakte und konstruktive Kunst an der Spitze der Kunstentwicklung stand und es einer kleinen Zahl von Enthusiasten bedurfte, um in Dresden wenigstens ein paar Jahre lang Fuß zu fassen.

Dresden, Albertinum, bis 2. Juni. Katalog im Sandstein Verlag, 336 S., 26 €, im Buchhandel 48 €. Mehr: www.skd.museum

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