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Konrad R. Müller, bekannt als „Der Kanzler-Fotograf“, macht sich seit 50 Jahren mit seiner Kamera sein Bild von Menschen. Immer in Schwarz-Weiß, immer auf Film, immer mit einer Rolleiflex. Er hat alle Kanzler der Bundesrepublik fotografiert und ist auch vielen anderen Mächtigen sehr nah gekommen. Für das Gespräch aus Anlass seines 75. Geburtstags hat der Zigarrenliebhaber Müller die Bar des traditionsreichen Berliner Savoy Hotels ausgesucht. Dort erzählte er auch die Geschichten zu den Lieblingsbildern, die er aus seinem Schatz mitbrachte. Fotos, die ihm persönlich besonders viel bedeuten. Seine Geschichten hat Ingrid Müller notiert - die nur zufällig auch diesen Nachnamen trägt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Konrad R. Müller zum Geburtstag: Er fotografierte alle Kanzler - und Wladimir Putin

Der Fotograf Konrad R. Müller hat viele Mächtige mit seiner Rolleiflex porträtiert – berühmt ist seine Serie der Bundeskanzler. In Putins Privathaus lauschte er zusammen mit dem Kreml-Chef dessen Töchtern bei der Klavierstunde.

Der Mann ist stolz, mit einigem Recht. Konrad Rufus Müller, besser bekannt als „Der Kanzlerfotograf“, hat einen veritablen Schatz: 3000 Bilder, die 50 Jahre Geschichte spiegeln, vor allem bundesdeutsche. Darunter sind alle Kanzler der Republik. Sein fotografisches Leben ist eng verbunden mit den Mächtigen der Politik. Diese Nähe zur Macht hat auch auf ihn gewirkt. Nicht zuletzt haben all die Beziehungen auf Zeit ihre Wunden hinterlassen.

Am Sonntag, den 22. März 2015, feiert Müller, der in Berlin-Wilmersdorf geboren wurde und in Marienfelde aufwuchs, seinen 75. Geburtstag. Der „freischaffende Künstler“, wie er sich selbst ausdrücklich definiert (im Gegensatz zu journalistisch arbeitenden Fotografen), versteht sich als Zeichner mit der Kamera; Malerei hat er studiert. Schwarz und Weiß sind seine Werke von Anfang an, dem blieb er treu. Wie dem natürlichen Licht und seinem Spiel.

Müller raucht gern Cohiba Siglo 2 - geschnitten, nicht gebohrt

Er sieht sich als besonderer Beobachter und möchte auch selbst besonders gesehen werden. Auf seiner Nase sitzt eine Schubert-Lesebrille, eine aus der Zeit des Komponisten. Die Bar des traditionsreichen Savoy Hotels in der Fasanenstraße, Charlottenburg, ist sein „Berliner Wohnzimmer“, hier kennen ihn alle. Genüsslich zündet er sich eine Cohiba Siglo 2 an. Er raucht sie geschnitten, nicht gebohrt. Er bläst Schwaden vor sein Gesicht, ein wenig Geheimnis soll schon sein. Fotos macht er nur mit einer Rolleiflex, Jahrgang 1975. Maximal zwölf Aufnahmen je Film, die erst in der Dunkelkammer ihr Gesicht preisgeben, sein Kunstwerk werden. Bleiben Allüren nicht aus, wenn man so lange Mächtigen so nahe kommt?

Auch einem Mann, auf dessen Absichten sich derzeit kaum jemand einen Reim machen kann, war Müller vor einigen Jahren sehr nah: Wladimir Putin. Ein Bild wirkt in der Rückschau wie eine Prognose: Putin in militärischem Flecktarn auf einem Araberhengst – ein Foto wie ein Reiterdenkmal mit Zar Peter dem Großen. Ganz wohl ist Müller bei dem Gedanken an den Kreml-Fürsten nicht mehr. „2002 ahnte doch keiner, dass der kleine Mensch aus Sankt Petersburg zu solch einem absoluten Herrscher mutieren würde.“ Müller meint klein auch im körperlichen Sinne. Putin, nur gut einen Meter siebzig groß, trage gern erhöhte Sohlen. Müller zeigt die Absatzhöhe zwischen zwei Fingern an.

Er glaubte, Putin könne Russland demokratisieren

Wie er an Putin herankam? Kanzler Schröder habe seinem russischen Gast erzählt, Müller habe schon Anwar el-Sadat und François Mitterrand fotografiert, Staatsmänner der Geschichtsbücher. Müller sprach Putin an, schenkte ihm Fotobände über die beiden: „Ich würde gern ein Buch über Sie machen.“ Unausgesprochen stand die Galerie Sadat – Mitterrand – Putin im Raum. Müller versprach: „Ich werde Ihnen ganz nahe sein, ohne indiskret zu werden.“

Putin habe spontan gefragt: „Was machen Sie nächste Woche? Kommen Sie doch mit nach Turkmenistan.“ Das Visum, normalerweise für jeden ein Problem, habe der Kreml-Chef ihm in drei Tagen besorgt. Müller sagt: „Ich glaubte, dass der Mann es schaffen würde, dieses Land zu demokratisieren. Weil er anders war als die Vorgänger. Und jünger.“

Im Gefolge des Ehepaars Schröder-Köpf , das Weihnachten bei Putin feierte, kam auch Müller in Putins Privathaus. Damals sei die bis heute unverbrüchliche Freundschaft Schröder–Putin entstanden. Dort sei bis früh um vier bei gutem französischem Rotwein gefeiert worden, erinnert sich Müller . Der Fotograf durfte im Privathaus auf der Couch sitzen, als Putin seinen beiden Töchtern bei der Klavierstunde lauschte: „Er machte den Eindruck eines treu sorgenden, liebevollen Vaters.“ Müller imponierte, dass er dort nicht fotografieren durfte.

Er hat eines seiner Putin-Porträts mitgebracht. „Ich war schon erschrocken. In diesen unglaublich kalten Augen ist vieles zu lesen. Alles, was aus dem Mann geworden ist, der da vor mir in Pullover und Hose saß.“ Er fügt hinzu: „Heute frage ich mich: Was wäre wohl passiert, wenn Putin schon mehr Macht gehabt hätte, als die DDR zugrunde ging?“

Auf seine Art ist Müller ein Besessener. „Ich wollte schon 1965 Bücher mit Schwarz-Weiß-Fotos von Leuten machen, die jeder kennt. Ich wollte Menschen, die schon tausendfach abgebildet sind, für mich entdecken.“ Im Malereistudium zeichnete er abends noch Konrad Adenauer. Den hat er auch mit der Kamera auf dem Bonner Münsterplatz angesprochen. Um Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger bemühte er sich. Willy Brandt war der erste Kanzler, der ihn auf eine Reise mitnahm. Brandt ist einer seiner Helden. Helmut Schmidt ist Müller „so fremd geblieben, wie ein Mensch sein kann“. Zu dessen aktueller Beichte sagt er: „In Bonn hat jeder gewusst, dass Schmidt Affären hatte.“ Vom distanzierten Hamburger hat er „insgesamt zehn Fotos, mehr nicht“.

Von Gerhard Schröder ist Müller enttäuscht

Allein von Gerhard Schröder, mit dem er per Du war, entwickelte Müller 300 Bilder; ihn begleitete er jahrelang. „Schröder ist der einzige Kanzler, der mich unendlich enttäuscht hat. Wie kann er direkt in die Dienste von Wladimir Putin wechseln?“ Und dann hat Schröder auch noch fürs Cover seiner Biografie das Foto eines Agenturreporters genommen, keines von Müller. Das trifft ins Mark.

Es trifft ihn auch, dass er Angela Merkel nie nahegekommen ist. Sie durfte er im Mai 2009 einmal kurz fotografieren – das Gesicht guckt die Deutschen dieser Tage von Plakaten und in Anzeigen mit dem Motto „Das Deutschland-Prinzip. Was uns stark macht“ an. Doch Angela Merkel hat die Tradition nicht weitergeführt: „Diese Frau hat diesen Teil meines Berufslebens beendet.“ Müller meint, professionell liege das daran, dass er nichts an seinen Fotos verändere, retuschiere: „Merkel ist ein absoluter Kontrollfreak.“ Sie gewähre ihm nicht einmal eine Stunde, sie zu beobachten.

Zurückweisung ist er nicht gewöhnt

Derlei Zurückweisung ist Müller nicht gewöhnt. Schon gar nicht von Frauen. Liegt ein Grund für das Nicht-Verhältnis im Jahr 1991? Da sei er mit Helmut Kohl in San Francisco gewesen, habe abends mit Merkel in Chinatown gesessen – er trank ziemlich viel Sake, erinnert er sich. „Damals war sie noch nicht die Kaiserin wie heute, sondern eine Frau mit grauenhafter Kochtopffrisur und selbst gehäkelten Kleidern.“ Seine Worte lassen Ärger spüren. „Irgendwann habe ich zu Frau Merkel gesagt, jetzt könnten wir uns doch duzen." Angela Merkel sagte nichts.

Vor ein paar Wochen hat Müller es wieder probiert. Von Hand hat er der Kanzlerin geschrieben. „Ich komme mit meinem Stativ, nur ich allein, drücke dreimal auf den Auslöser, bin nach zwei, drei Minuten wieder weg. Ich stehle ihr kein Gran ihrer Lebenszeit“, stellte Müller sich das vor. Die Reaktion, ernüchternd. „Die Absage kam telefonisch. Von einer Sekretärin des Regierungssprechers aus dem Bundespresseamt.“ Er sagt jetzt etwas nicht sehr Feines.

Müller zieht Porträtierten auch mal ein Haar aus der Nase

Müller versteht sich als Entertainer und Psychologe. Er ziehe, sagt er, den Porträtierten auch mal ein Haar aus der Nase oder spucke drauf, wenn sie unvorteilhaft glänzt. Er nennt es Täter-Opfer-Beziehung; der Täter: er. „Berühmte Menschen werden nervös und unsicher, wenn sie fotografiert werden.“ Er kenne das Gefühl selbst. Sein Credo: „Ich will die Leute nicht mit der Kamera verletzen. Ich dringe nicht in ihre Intimsphäre ein. Man fühlt sich wohl in Fotos von Konrad Rufus Müller.“

Diese Art von Wohlfühlfotografie hat ihm auch den Titel „Hofschranze“ eingetragen, was ihn wütend macht. „Das hat mir noch nie jemand ins Gesicht gesagt.“ Seine Rolle sieht er so: „Ich arbeite fakultativ, begleite die Leute eine Weile als Flaneur – da gibt es keine Abhängigkeit.“ Er sei kein Hoffotograf! „Es ist doch nicht so, dass ich bei einem Kanzler ins Büro komme und rote Ohren habe.“ Helmut Kohl etwa habe immer gewusst, dass er nicht CDU wähle.

"Ich bin kein Speichellecker"

Müller glaubt viel mehr, dass ihm sein selbstbewusstes Auftreten Respekt und so Zugang schaffte: „Wenn Sie sich klein machen und nach oben gucken, haben Sie schon verloren.“ Die Mächtigen seien so etwas wie ihn nicht gewöhnt. „Deshalb hat es Wirkung.. Ich bin kein Speichellecker.“

Leicht melancholisch nennt er sich „eine aussterbende Spezies“. Nicht zuletzt wegen der technischen Entwicklung. „Das Internet ist eine Chance für die Kreativität, aber was da millionenfach mit Photoshop entsteht, hat nichts mehr mit Fotografie zu tun. Was ich mache, kommt der Wahrheit sehr nahe.“

Recht ungern spricht Müller darüber, was die Nähe zur Macht mit ihm gemacht hat. Sicher zieht er Selbstbewusstsein daraus, auch wenn er das kaschieren möchte.

Er ist stolz auf seine „sehr besondere Stellung in der Nachkriegsgeschichte“; im nächsten Moment wirft er betont lässig hin: „Ich bin da oben rumgeturnt.“ Er möchte distanziert wirken. „Es ist doch klar: Ich kann kein Freund eines Politikers sein. Ich bin nur ein nützlicher Idiot für eine gewisse Phase.“

Er spricht auch von einer „Liaison auf Zeit“, das kommt der Sache näher. Darum sitzt wohl die Enttäuschung tief, wenn die Beziehung zerbricht, wie zu Brandt und Kohl, wofür er deren neue, jüngere Frauen verantwortlich macht. Oder die zu Schröder.

Es ist nicht nur verletzte Eitelkeit, auch wenn Müller von sich behauptet: „Ich bin nicht eitel, nein. Ich bin verletzbar.“ Es ist viel mehr. Es ist: enttäuschte Liebe.

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