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Milljöh. Heinrich Zilles Fotografie von 1901 zeigt den Bullenwinkel in der Waisenstraße.

© Kommunale Galerie Wilmersdorf

Kommunale Galerie Wilmersdorf: Poesie der Brandmauern

Von Zille über Vostell zu Rauch: Die Ausstellung „100 x Berlin“ beschwört Großstadtgefühl in Fotografien und Grafiken.

„Aus'm Hinterhaus / kieken Kinder raus, / blass und ungekämmt, / mit und ohne Hemd.“ So hat Willi Kollo 1930 in seinem „Lied vom Vater Zille“ gedichtet. Und dieses Bild von einer Stadt, die nicht nur schön ist, die zu allen Zeiten raue Kanten und hässliche Ecken hatte, will auch die Ausstellung „100 x Berlin“ in der Kommunalen Galerie am Fehrbelliner Platz transportieren.

Denn es handelt sich hier ja nicht um ein klassisches Heimatmuseum, das im Zweifelsfall lieber Postkartenansichten präsentiert, sondern um eine Einrichtung, die zwar auf bezirklicher Ebene organisiert ist, sich aber selbstverständlich als Teil der hauptstädtischen Kunstszene versteht.

Heinrich Zille ist selber zu sehen - als Schatten

Anlass des Projekts ist der finale Schritt zur Metropolenwerdung vor genau einem Jahrhundert, als sich Preußens Kapitale mit den Umlandgemeinden zur strategischen Verwaltungseinheit zusammenschloss. Und somit auch Wilmersdorf, der Standort der Galerie, von einer autonomen Kommune zum Berliner Bezirk wurde.

Mit zwei Aufnahmen von Heinrich Zille lässt Kurator Norbert Wiesneth die Schau beginnen, auf einer der beiden ist der menschenfreundliche Milljöh-Schilderer sogar selber zu sehen, als Schatten, der ins Bild ragt. Bunt gemixt sind die Techniken, neben Fotos und Schwarzweiß und Farbe gibt es Grafiken, Radierungen, Collagen, Ölgemälde.

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Ein Motiv taucht immer wieder auf: Brandwände. Als Zeugen der Kriegszerstörungen waren die nackten Mauern typisch für das Straßenbild der doppelten Halbstadt, nach der Wende symbolisierten sie dann die Freiräume, die Berlin zu bieten hatte. Mittlerweile aber sind Brandwände fast schon Raritäten, zumindest in der Innenstadt, dank der gentrifizierenden Nachverdichtung urbaner Strukturen.

Hingucker der Ausstellung ist eine Fototapete, die Karl-Ludwig Langes Blick vom Schöneberger Gasometer gen Osten zeigt. Auch dieses Relikt aus Stahl soll bald für die Zukunft umgerüstet werden, als Bürohochhaus im Euref-Innovations-Campus.

[Kommunale Galerie, Hohenzollerndamm 176, bis 16. August, Di–Fr 10–17 Uhr, Mi bis 19 Uhr, Sa/So 11–17 Uhr]

Froh stimmt dagegen ein Foto von Efraim Habermann aus den Siebzigerjahren: Ein Fahrrad, an dessen Lenker „Der Tagesspiegel“ klemmt, steht vor der Neue Nationalgalerie, in deren Fensterfront sich die Matthäikirche spiegelt. Im Rahmen der Generalsanierung des Mies-van-der-Rohe-Gebäudes sind die neuen Glasscheiben inzwischen eingesetzt, bald wird hier wieder Kunst zu sehen sein. Schräg gegenüber hängt eine Bilderserie von der Ertüchtigung der Gropius-Bau-Ruine Anfang der 1980er Jahre.

Eine Ansicht des verhüllten Reichstags fehlt nicht im Reigen von „100 x Berlin“, direkt daneben hängt Wolf Vostells Vision für einen Wolkenkratzer auf dem öden Potsdamer Platz von 1991. Passanten-Porträts von Helga Paris sind zu sehen, Architekturfotografie von Anna Lehmann-Brauns, Mila Hacke und Friederike von Rauch, Matthias Koeppels schrullige Typen, raffiniert reduzierte Zeichnungen von Matthias Beckmann.

Wer mag, kann sich Bilder übrigens vormerken lassen und nach dem Ende der Ausstellung mit nach Hause nehmen. Denn sämtliche Exponate entstammen der Artothek Charlottenburg-Wilmersdorf, jener wohltätigen Einrichtung des Bezirksamtes, die sich eine niedrigschwellige Kulturvermittlung zur Aufgabe gemacht hat, und darum seit 1974 an jedermann Kunst verleiht, zum Preis von fünf Euro für zehn Wochen.

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