zum Hauptinhalt
Geburtstag. An dem Tag, als Chris Lewis fünf Jahre alt wurde, begannen die Dreharbeiten zu "The Nutty Professor". Hier sind der Komiker (rechts) und sein Sohn im Studio zu sehen.

© Chris Lewis / Deutsche Kinemathek

Komikerlegende Jerry Lewis: Die Tränen des Clowns

Jerry Lewis war ein ewiger Kindskopf, ihn als Vater zu haben, nicht immer Spaß. Ein Gespräch mit seinem Sohn Chris über das Erbe des Komikers und sein Scheitern

Nach dem Tod von Jerry Lewis hieß es, er habe seine fünf noch lebenden Söhne aus erster Ehe „bewusst“ von seinem Erbe ausgeschlossen. Wie kommt es, dass Sie, Mister Lewis, als Drittgeborener trotzdem über einen Teil seines filmischen Archivs wachen?

Mein Vater war ein kluger Mann, er regelte alles, so lange er lebte. Als er im August 2017 starb, gab es keinen Nachlass mehr, der zu ordnen gewesen wäre.

Das müssen Sie erklären.

Leute wie ich, die ihm über 45 Jahre beigestanden und geholfen hatten, sein Werk zu verwalten und aufzubewahren, hatten längst erhalten, worum sie sich kümmern sollten. Vieles wäre von ihm in den letzten Jahren einfach weggeschmissen worden. Bevor er Kisten aussortieren wollte, rief er mich an, ob ich sie haben wollte. Natürlich wollte ich, fuhr nach Las Vegas und lud den Kofferraum voll. Einmal zog ich die Storyboards für „The Nutty Professor“ aus dem Müll, 315 Tafeln. Wir haben sie dem Museum of Modern Art vor zwei Jahren geschenkt.

Ihre Brüder scheinen sich zuweilen von ihrem Vater vernachlässigt gefühlt zu haben: Wie kam es, dass Sie das Privileg der Nähe genießen durften?

Eine gewisse Ähnlichkeit. Chris Lewis, 62, lebt in Las Vegas, wohin er 2011 zog, um seinem Vater nah zu sein. Er verwaltete dessen Urheberrechte und Verleihverträge und ist heute Hüter des Jerry Lewis Archivs.
Eine gewisse Ähnlichkeit. Chris Lewis, 62, lebt in Las Vegas, wohin er 2011 zog, um seinem Vater nah zu sein. Er verwaltete dessen Urheberrechte und Verleihverträge und ist heute Hüter des Jerry Lewis Archivs.

© Mike Wolff

Ich war meinem Vater bis zum Schluss nahe. Ich habe jahrelang mit ihm zusammengearbeitet. Ich war der einzige seiner Söhne, der das tat. Ab 1983 war ich sein Roadmanager, sein Inspizient, Sound- und Lichttechniker, ich leitete seine Firma Jerry Lewis Comedy Classics und wickelte ab 1995 seine Verträge mit Film- und Fernsehstudios ab. Er behielt die Kontrolle, aber Details interessierten ihn nicht. Aus Respekt informierte ich ihn über die Verleih-Deals mit Paramount oder andere Aufgaben, die anstanden. Und er sagte: Mach es.

Als Sie 1957 geboren wurden, war Ihr Vater ein Superstar. Ihr jüngerer Bruder Anthony sagte einmal, dass sie wie „Könige“ in Bel Air gelebt hätten.

Es war ein wundervolles Haus, erbaut von Mervyn LeRoy, dem Regisseur von „Quo Vadis“.  Studioboss Louis B. Mayer kaufte es ihm ab, so dass es im Salon, als wir einzogen, eine Vorrichtung gab, die die Bilder in die Wand klappen und eine Leinwand herunterfahren ließ. Im Projektorraum waren zwei 35-Milimeter-Apparate versteckt. Mayer pflegte die Tagesmuster in seinem Wohnzimmer anzuschauen, sobald sie das Kopierwerk verlassen hatten, und dasselbe taten wir auch. Wir sahen die Muster von „The Patsy“ oder „The Nutty Professor“. Sogar an „Cinderfella“ aus dem Jahr 1960 kann ich mich erinnern.

Wie war es, als Kind in einem solchen Palast aufzuwachsen?

Wir bewegten uns auf dem Anwesen, nach draußen kamen wir selten. Es gab Sicherheitsleute. Denn 1961 war der Sohn von Frank Sinatra entführt worden. Und mein Dad hatte Drohungen erhalten. Wir waren ziemlich gut bewacht. Ungeachtet dessen kämpften wir viel miteinander. Ich lernte früh, dass die einzige Art zu überleben, ist, Blut zu vergießen. Dann lässt der andere von einem ab. Oft besuchten wir Vater bei Dreharbeiten auf dem Studio-Gelände. Wenn wir am Set auftauchten, unterbrach er die Arbeiten, um sich uns zuzuwenden. Da standen wir dann als kleine Berühmtheiten für einen Moment selbst im Mittelpunkt. Während der Aufzeichnungen für „Saturday Night Live“ 1963 hockten wir in einem Kasten über seinem Tisch, so dass er sich mit uns unterhalten konnte. Wie ließen ihm Zeichnungen zukommen. Das war die beste Art, mit ihm Zeit zu verbringen. Denn nach Disneyland oder zu einem Spiel der Dodgers hätten wir nicht mit ihm gehen können. Wir haben es einige Male versucht und wären beinahe erdrückt worden. Das war kein Spaß.

Jerry Lewis verdankte seinen Ruhm der Tatsache, dass er den gutmütigen Idioten darstellte. Peter Bogdanovich meinte, dass er den „ängstlichen Neunjährigen in jedem von uns“ zum Vorschein bringe. Wie war es einen Neunjährigen zum Vater zu haben?

Wie er sich vor der Kamera verhielt, so war er wirklich. Wir lachten beim Abendessen so oft, dass meine Mutter uns ermahnen musste, weiter zu essen. Doch er hörte nicht auf, Grimassen zu schneiden. Er amüsierte sich hinter ihrem Rücken über ihre Strenge. Und wenn Sie sich zu ihm umdrehte, lächelte er sie mit unschuldiger Mine an, während wir uns wegschmissen vor Lachen. Der Familientisch bot ihm die Bühne, uns in seinen Humor hineinzuziehen. Meine Mutter freut sich mit ihren 98 Jahren immernoch, wenn wir ihr Youtube-Videos mit Sketchen des Mannes zeigen, mit dem sie 45 Jahre verheiratet war. Denn man erkennt ihn in seinen Slapsticknummern selbst.

Mann ohne Mitte. Mit "der verrückte Professor" schuf Jerry Lewis als Regisseur und Hauptdarsteller ein postmodernes Meisterwerk. Denn hier formulierte er aus, dass der Mensch nicht sein muss, als was er geboren wird.
Mann ohne Mitte. Mit "der verrückte Professor" schuf Jerry Lewis als Regisseur und Hauptdarsteller ein postmodernes Meisterwerk. Denn hier formulierte er aus, dass der Mensch nicht sein muss, als was er geboren wird.

© Berlinale

Sie haben „The Nutty Professor“ erwähnt, den vielleicht bekanntesten Jerry-Lewis-Film. Er zeigt uns Ihren Vater als den hässlichen, chaotischen Nerd oder den dominanten Gigolo. Gab es einen Persönlichkeitskern, den er vor der Welt verborgen hielt?

Ich muss ehrlicherweise sagen, dass er keine Mitte kannte. Er war entweder das Eine oder das Andere. Entweder total verrückt oder geradeheraus.

Ihre Mutter sagte einmal, dass man sich bei ihm nie sicher sein konnte, in welche Phase er sich als nächstes stürzen würde. Klingt angsteinflößend.

Das konnte es auch sein. Wenn er das Haus betrat, hörten wir die riesige Eingangstür zufallen, so dass das Gebäude erzitterte. Wenn er guter Laune war, pfiff er. Wenn wir seine Schlüssel auf den Marmortisch fallen hörten, wussten wir, dass wir uns besser verdrückten und abwarteten. Sobald er zuhause war, bildete er das Zentrum. Meine Mutter rückte ihn dahin, so dass er genötigt war, uns seine Aufmerksamkeit und Zeit zu schenken. Selbst wenn ihm irgendeine Äußerung eines Paramount-Chefs aufs Gemüt schlug, widmete er sich uns. Wir waren sehr gut darin, Bemerkungen zu vermeiden, die ihn weiter verärgert hätten. Natürlich waren diese Launen beängstigend. Andererseits gab er uns stets das Gefühl, wichtig zu sein.

Ihre Mutter Patti hat ein Duett mit Jerry Lewis in einer TV-Show gesungen. Darin klagt sie: „If you love me truly / You would not, should not, could not so selfish be“. War das ein realer Vorwurf?

Sie liebten einander. Und sie war sein Fels. Denn als sie heirateten, war er 18 und sie 23 Jahre alt. Sie sorgte dafür, dass es ziemlich normal zuging. Als hingebungsvolle Katholikin, Tochter italienischer Einwanderer, achtete sie auf unsere Manieren.

Das Buch „Total Film Maker“ widmete Jerry Lewis seiner Frau mit den Worten: „Für Patti, deren Liebe, Leidenschaft und Weisheit nie kleiner wurden, während sie darauf wartete, dass ich groß werden würde.“

KZs und Gaskammern sind nicht witzig. Jerry Lewis als der Clown Helmut in "The Day The Clown Cried".
KZs und Gaskammern sind nicht witzig. Jerry Lewis als der Clown Helmut in "The Day The Clown Cried".

© Deutsche Kinemathek, Jerry Lewis – Archiv

Richtig, sie pflegt zu sagen, dass sie ihn aufgezogen habe. Die Dynamik der beiden ist in dem Song in der Tat gut getroffen. Sie wusste, dass für ihn das Größte war, seinen Namen über dem Filmtitel stehen zu sehen. Das Besondere bei Komikern ist allerdings, dass die Komödie aus der Tragödie hervorgeht. Und die tragische Seite seines Lebens war stets präsent - von den eigenen Eltern verlassen und zur Großmutter abgeschoben worden sein. Das vergaß er nie. Er liebte das Scheinwerferlicht mehr als Menschen.

Sie entstammen einer Showbiz-Dynastie. Ihre Großeltern waren Vaudeville-Artisten, ihre Eltern Comedy-Stars, aber nur ihr ältester Bruder hat das Rampenlicht als Rockmusiker gesucht. Ist das normal?

Nun ja, ich habe es gemocht, in der High School Theater zu spielen, zu singen und zu tanzen. Aber ich brauchte das nicht. Ich hatte keine Tragödie in mir. Mein Leben war schön. Da meine Mutter uns gab, was wir brauchten, sehnte ich mich wohl nicht genug nach der Anerkennung anderer.

Ihr Vater sagte, dass seine Eltern ihm ihre Liebe nur auf eine Weise vermitteln konnten, indem sie ihn mit auf die Bühne nahmen. Später hat auch er seine Kinder auf der Bühne präsentiert. Konnte auch er nicht anders als seine Zuneigung auf diese Weise zeigen?

Gut möglich, dass es so war. Aber Gary, der Älteste von uns, mochte es auch, Dads Grimassen zu imitieren. Er sang und wollte ihm nacheifern. Außerdem war er aufgewachsen in der Zeit, als die Popularität von Dean Martin und Jerry Lews unbeschreibliche Ausmaße annahm.

Ein Hit von Gary Lewis & the Playboys hieß „Everybody Loves The Clown“ (1965). Woher hatte er das wohl?

Er war sieben, als Martin & Lewis die höchsten Gagen im Showbusiness bekamen. Das riss ihn mit.

Und Sie?

Wir wussten, wie sehr er uns verehrte, denn er sagte es ständig im Fernsehen. Bei Talkshows redete er über seine Kinder, und wir saßen zuhause und freuten uns. Sicher, wir hätten gerne mehr Zeit mit ihm verbracht. Mein Vorteil war, dass ich mit zunehmendem Alter für ihn interessant wurde als sein Reisebegleiter und Mitarbeiter. Daraus entwickelten sich wertvolle Gespräche. Zu „The Day The Clown Cries“ konnte ich ihm Fragen stellen, die er normalerweise nicht beantwortete.

Der Film ist ein legendär gescheitertes Projekt Ihres Vaters. 1971 hatte er begonnen, die Geschichte eines Clowns zu verfilmen, der wegen eines Hitlerwitzes ins KZ kommt und zur Bezugsperson der internierten jüdischen Kinder wird. Schließlich bietet ihm die SS seine Entlassung an, wenn er den Kindern die Angst nehmen und sie zur Gaskammer führen würde. Warum nahm sich Jerry Lewis, der ewige Kindskopf, bloß eines derart düsteren Stoffs an?

Es ging ihm in seiner Sicht auf die Geschichte um die Kinder. Wenn man sich nicht für ein Kind einsetzt, so seine Frage, wofür dann?

Selbstüberschätzung? Mit dem Stoff von "The Day The Clown Cried" kam Jerry Lewis lange nicht klar. Er veränderte das Drehbuch so stark, dass die Autorin der Vorlage ihre Zustimmung verweigerte.
Selbstüberschätzung? Mit dem Stoff von "The Day The Clown Cried" kam Jerry Lewis lange nicht klar. Er veränderte das Drehbuch so stark, dass die Autorin der Vorlage ihre Zustimmung verweigerte.

© Deutsche Kinemathek, Jerry Lewis – Archiv

Er wollte sich selbst als Beschützer sehen?

Das Buch, das er 1963 mit dem Titel „Being A Person“ schrieb, widmete er „dem, was ich am meisten liebe: Menschen“. Er liebte sie aufrichtig, besonders wenn sie ihn liebten.

In fast allen seiner Filme war Jerry Lewis derjenige, der beschützt werden musste. Überschätzte er seine Fähigkeit bei dem KZ-Film?

Das denke ich nicht. Am Ende scheiterte das Projekt an einem Urheberrechtsstreit, für den mein Vater nichts konnte. Den Fehler hatte der Produzent Nat Wachsberger begangen, der einfach die Rechnungen nicht bezahlte. Das geht alles aus den Dokumenten hervor, darunter die Korrespondenz meines Vaters, die in den Besitz der Kinemathek übergehen. Das Rohmaterial, auf dem gedreht wurde, entsprach überhaupt nicht den Standards. Man hatte es im Werk zurückgespult. Jerry entdeckte, dass die Arbeit mehrerer Drehtage ruiniert war, weil die Negative zerkratzt waren. Aber das Schlimmste war, dass mein Dad den Film drehte, ohne überhaupt die Rechte daran zu besitzen. Wachsberger hatte sie nie erworben.

Er versuchte doch, die Filmrechte aus eigener Tasche zu bezahlen.

Ja, das tat er. Aber das Drehbuch war von ihm so stark verändert worden, dass es kaum noch dem ursprünglichen Konzept entsprach. Da machte die Autorin nicht mit. Ich habe meinen Dad selten so niedergeschlagen erlebt. Ich erinnere mich, dass er uns eines Nachts in seiner Suite im Sahara-Hotel in Las Vegas zusammenrief, er war den Tränen nahe, als er meinte, dass man eine mit Handschlag besiegelte Vereinbarung niemals brechen dürfe. So könne man sein Leben nicht führen, wie es ihm widerfahren sei. Ich hatte nie zuvor miterlebt, dass er vor seiner ganzen Familie geweint hatte. Er war am Boden zerstört. Und er wollte, dass es uns eine Lektion war.

Inwiefern?

Er gab nichts auf unterschriebene Verträge. Es ging ihm um die Integrität einer Person, die für etwas einzustehen verspricht, was beide Seiten vereinbart haben. Und er sagte: Ihr müsst diese Person sein.

Ihr Vater hielt den Film unter Verschluss. Nur sehr wenige Auserwählte bekamen das unvollendete Werk je zu Gesicht. Glauben Sie, dass es je gezeigt werden kann?

Das kann es nicht. Die Sache ist, dass so viele Gläubiger von der Produktionsfirma um ihr Geld gebracht wurden, darunter ein Rabbi aus Los Angeles, der eine Million Dollar in das Projekt investierte, dass jeder von ihnen mit einer Klage droht. Als wir vor vier Jahren einen großen Teil der Jerry Lewis Collection an die Library of Congress gaben, erwähnte die „L.A. Times“ in einem kleinen Artikel, dass auch eine Rohfassung von „The Day the Clown Cried“ gezeigt werden könnte. Am nächsten Tag hatte mein Vater den aufgebrachten Rabbi am Apparat, der meinte, dass er jeden mit Anzeigen überziehen werde, der je mit dem Film zutun gehabt habe. Obwohl er viel Geld durch das Projekt verloren habe, würde er sein Geld nun in Prozesse stecken, um zu verhindern, dass irgendjemand von seinem Verlust profitiere. 

Warum geben Sie das Material jetzt einer deutschen Institution?

Einerseits weil Dad in dem Film einen deutschen Clown spielt. Aber auch weil die Kinemathek bereits Artefakte des Films in ihrem Besitz hat. Außerdem hat sie die technischen Möglichkeiten, die alten Kontaktabzüge zu digitalisieren. 400 Rollen an 35-Milimeter-Negativ mit ungesehenen Aufnahmen. Und schließlich war Deutschland stets sein größter Markt. In den USA heißt es zwar, dass die Franzosen Jerry Lewis als Autorenfilmer entdeckt hätten, aber hier verkaufte er sich stets am besten. Die Filme liefen länger im Kino als anderswo, der Absatz von VHS-Videos und DVDs war am höchsten. Die Berlinale war sein Lieblingsfestival.

- Das Gespräch führte Kai Müller.

Am 22.2., 11 Uhr, übergibt Chris Lewis Materialien des Jerry Lewis Archivs an die Deutsche Kinemathek (Potsdamer Str. 2, 4. OG),

„Nutty Professor“ läuft auf der Berlinale am 22.2., 13:15 (HdBF), sowie am 29.2., 17 Uhr (Akademie der Künste)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false