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Auch eine Pandemie-Erkenntnis: Homeoffice und Hängematte vertragen sich nur mäßig.

© imago/Westend61

Kolumne Zimmerreisen (7): Beobachtungen aus der Hängematte

Auch in den eigenen vier Wänden können sich Welten auftun. Wir bleiben zu Hause – und lassen uns das Reisen nicht nehmen. Diesmal: ein Stück Brasilien.

Zuhause ist es schön. Im Urlaub ist es schöner. Oft nimmt man sich ja vor, Urlaubsangewohnheiten möglichst lange auch in heimischen Gefilden zu bewahren, weniger essen, mehr mit Leuten reden, jeden Tag schwimmen. Was auch immer. Als ich vor einiger Zeit für eine Weile nach Brasilien reiste, behielt ich lange die Gepflogenheit, mir die Fingernägel knallrot zu lackieren, so wie man es in Brasilien oft sieht. Das macht auch im tristen Berliner Winter sehr gute Laune. Außerdem lernte ich in Brasilien die praktischen und sozialen Vorzüge von Hängematten schätzen. Seitdem hängt eine quer durch mein Zimmer. Na ja, nicht immer. Man kann sie mit zwei Karabinern ein- und aushängen. Wenn sie hängt, schwinge ich damit über den Couchtisch und gefährlich nah am jetzt aufgestellten Schreibtisch vorbei. Oder ein paar Handbreit über dem Schreibtisch. Da ich mittlerweile die Hängemattenknoten einigermaßen beherrsche, kann ich sie höher und tiefer aufhängen, je nach Gusto. Ich muss allerdings zugeben: Homeoffice und Hängematte vertragen sich nur mäßig.

Die brasilianischen Hängematten haben traditionell eine häckeldeckenartiges Dekor am Rand. Das hat meine nicht. Ich fand, das passt nicht so gut in die Prenzlauer- Berg-Wohnung. Aber meine ist dennoch original aus Südamerika, handgewebt, orange-rot-lila, sehr stabil, und es können zwei Personen darin liegen, eigentlich sogar drei. In Brasilien habe ich viel über Hängematten gelernt, man kommt dort eigentlich nicht ohne eine rede aus. In manchen Unterkünften, die ich mir nahm, habe ich es vorgezogen, in der Hängematte zu nächtigen, weil das Bett zu hart oder verwanzt war. Haken dafür gibt es wirklich in jedem Raum. Außerdem bieten Hängematten mehr Privatsphäre, als man vermutet.

Bei einer Schiffsfahrt von Manaus nach Santarém buchte ich einen Platz an Deck. Kabine ist für Anfänger, dachte ich, außerdem wollte ich während der zweitägigen Fahrt ohnehin das Amazonasufer beobachten. An Deck schläft man in mitgebrachten Hängematten. Ich wurde bereits gewarnt, dass es dort sehr, sehr voll wird. Die Matten der Passagiere hingen bereits in mehreren Reihen dicht an dicht, als ich an Bord kam. Ich fand mithilfe eines Einweisers noch einen Platz für mein Schlafmodul. Links von mir baumelte ein Pärchen in einer Doppelhängematte, rechts zwei Brüder, die ihre Eltern in Belém besuchen wollten. Dutzende weitere Passagiere zu beiden Seiten links und rechts.

Nun hieß es ein Weilchen warten, weil das Schiff nicht zur angekündigten Zeit losfuhr. Immer mehr Menschen strömten an Bord. Und wo ich schon glaubte, es geht nichts mehr, quetschte sich noch eine dreiköpfige Familie zwischen mich und das zuvor benachbarte Pärchen. Die Matten hingen neben- und übereinander. Nur die Sicht nach vorne blieb frei. Ich bekam etwas Panik bei dem Gedanken, dass ich 48 Stunden auf diesem winzigen Streifen Stoff verbringen würde, mit lauter fremden, schlafenden, essenden und quatschenden Leuten um mich herum.

Aber natürlich, Sie ahnen es, wurde ich genau auf dieser Überfahrt ein wahrer Hängemattenfan. Es gibt nirgendwo mehr Privatsphäre als in einer Hängematte. Man muss nur das Tuch über dem Kopf zusammenschlagen, Luft kommt ja trotzdem rein, und schon ist man für sich. Egal, was der Nachbar tut, es stört nicht. Man sieht ja nichts, man wird auch nicht gesehen, und man kann nicht angesprochen werden. Es ist der perfekte Privatraum und bequem obendrein. Will man Kontakt, kann man den Stoff einfach wieder auseinanderklappen. Ich ging damals mit vielen neuen Freunden von Bord. Daran denke ich gerne, wenn ich in Berlin, in der Matte schaukelnd, in die Fenster der meist fremden Nachbarn linse.

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