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Wer reitet da durch Nacht und Wind? Es ist der US-Präsident, mit seinem Smartphone.

© Evan Vucci/dpa

Kolumne „Spiegelstrich“: Wie Trumps Twitter-Exzesse die Öffentlichkeit veränderten

Er beleidigte und log rund um die Uhr. Doch seit dem Amtsenthebungsverfahren werden Trumps Tweets radikaler. Sie bedrohen die Demokratie.

In der Jugend, wenn wir ewig Zeit haben, glauben wir es noch nicht, aber bald lernen wir: Nichts bleibt im Leben, wie es jetzt und heute ist. Alles verändert sich. Es kann leiser werden. Oder lauter. Besser. Aber auch sehr viel schlimmer.

Donald Trump, der Twitter-Präsident, war zweieinhalb Jahre lang ein Extrem. Er quälte Rechtschreib- und Stilnormen, beleidigte, log, twitterte nachts, am frühen Morgen, ständig. Er entließ Minister via Twitter, sprach Strafzölle via Twitter aus, Trumps Twitterei veränderte die Spielregeln von Politik, Gesellschaft und Medien.

„Boom“, sagte Trump, er müsse nur auf Senden klicken, „und zwei Sekunden später heißt es überall: Breaking News!“

So war das, früher. Dann begannen die Ermittlungen für das Amtsenthebungsverfahren, und jetzt ist Donald Trump rasend wütend. Haben wir Beobachter unverbrauchte Worte aufgespart für solche Steigerungen?

Er wirft mit Begriffen wie „Hochverrat“ um sich, bezeichnet die Ermittlungen als „Lynchmord“, was im Land, zu dessen Geschichte Sklaverei und Lynchmorde gehören, ähnlich passend klingt wie die in kollektiver Klugheit abgeschaffte Metapher „bis zur Vergasung“ einst in Deutschland.

Kleinschreibung kennt er kaum noch: BULLSHIT ruft er durchs Internet, einen BÜRGERKRIEG wünscht er herbei, seine politische Kontrahentin Pelosi nennt er CRAZY NANCY und die Demokraten „menschlichen Abschaum“. 271 Tweets waren es in der zweiten Oktoberwoche, der tägliche Ausstoß hat sich verdreifacht.

66 Millionen Menschen folgen Trump (bis zu 20 Millionen davon könnten aber auch gefälschte und automatisierte Konten, Bots, sein).

Die „New York Times“ hat am Samstag dokumentiert: Über 2026 Mal hat Präsident Trump sich selbst gelobt, 4469 Mal hat er Demokraten, Ermittler und Medien beschimpft, und 1710 Mal hat er Verschwörungstheorien wie jene namens „QAnon“ retweetet, deren Anhänger glauben, dass pädophile Satanisten den verfilzten „deep state“ von Washington beherrschten.

„We love you, Mr. President“, das kam aus Russland, Trump schrieb „So nett, vielen Dank“ und drückte Retweet; er adelt rassistisches Zeugs, frauenfeindliches Zeugs, erfundenes Zeugs.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

[Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer @extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer]

Lustig ist das alles schon auch. „Their is nothing bipartisan about him“, schrieb er über den Demokraten Max Warner, „there“ (dort) und „their“ (ihr) verwechselnd. Dem Fox-Moderator Sean Hannity gratulierte er, weil Hannity „the number one shoe“, den Schuh Nummer eins, produziere.

Er nennt Joe Biden „Bidan“ und schreibt „wonerful“, ohne d in der Mitte. Als Zeichensetzung dran war, dürfte der Schüler Trump gefehlt haben. Seinen Verteidigungsminister Mark Esper macht er zu „Mark Esperanto“.

Es ist aber nicht ausschließlich lustig. Die ungefilterte Twitter-Kommunikation ist perfekt für Propaganda. „MAGA“ („Make America Great Again“) ist längst eine weltberühmte Marke, Misogynie und Rassismus sind von ganz oben legitimiert.

Wer Gegner derart denunziert und Medien zu „Volksfeinden“ erklärt, reißt Grenzen ein, die in einer Demokratie geschützt werden müssen, falls die Demokratie leben soll. Solches Verhalten gründete noch stets auf einem absoluten Herrschaftsanspruch.

„Lügen werden durch Moral legitimiert“, sagte mir die Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Wehling. „Wenn erst alle anderen moralisch Unrecht haben, rechtfertigt der eigene Werteabsolutismus jedwedes Vorgehen.“

Dies ist die Schwäche der Liberalen und Linken: Sie wollen progressiv, also tolerant und empathisch leben – die Rigorosität der Trumps fehlt ihnen.

In den USA werden nun zugleich der Wahlkampf und das Amtsenthebungsverfahren ernst. Wir Erwachsenen wissen: Im Leben endet alles irgendwann. Selten aber ist das Ende ein gutes.

Klaus Brinkbäumer

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