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Renate Künast, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen

© dpa/Karlheinz Schindler

Kolumne „Spiegelstrich“: Der Künast-Beschluss ist ein Brandverstärker

Sprache ist politisch. Aber sie kann auch lügen, hetzen. Die Justiz muss dagegen vorgehen, schreibt unser Autor in der neuen Kolumne über Politik und Sprache.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Für den Tagesspiegel schreibt er ab sofort seine wöchentliche Kolumne „Spiegelstrich“ über Politik und Sprache.

Politik besteht aus Machtverhältnissen und anderen Beziehungen, in denen der Einsatz von Sprache zu Entscheidungen oder Kompromissen führt, und darum ist Sprache politisch. Sprache erklärt, lenkt, überzeugt, doch sie kann auch missraten, kann lügen, schreien, hetzen. Politische Grenzen werden neu gezogen, es geschieht mit dem Mittel der Sprache, und es geschieht überall.

Die Begriffe, um die es heute hier geht, schmerzen, und das sollten sie. Schon grammatikalisch quietscht es: „Drecks Fotze“. Was will solch ein Deutsch?

Kurzer Exkurs: Könnte es vielleicht ein Genitiv sein, gar einer ohne Artikel („des Dreckes Fotze“), was moderner Lyrik nahekäme? Doch nein, es kann leider kein Genitiv sein, da wir uns in der rohen, rauen Wirklichkeit befinden.

Der amerikanische Präsident legitimiert Hassreden im Netz

Da der eine Richter und die zwei Richterinnen des Berliner Landgerichts diese digitale Diffamierung Renate Künasts für eben doch nicht diffamierend hielten, konnten sie – eine Frage juristischer Logik – auch das ganze andere Sprachzeugs nicht so übel finden: „Knatter sie doch mal so richtig durch ...“, „Stück Scheiße“ und „Geisteskranke“ hielten die Richter für gerade noch sachlich, gleichfalls „Ferck du Drecksau“, was immer „Ferck“ heißen sollte. Ferkel, du Drecksau? Tja, hm. Ferrecke, du Drecksau? Hm, tja.

Von Richtern erwarte ich den Schutz der Zivilisation, nicht das Forcieren der Barbarei.

schreibt NutzerIn commentario

Der amerikanische Präsident nennt seine politischen Gegner „Sleepy Joe“ (Biden) und „Crazy Bernie"“ (Sanders), nennt Frauen „fett“ und Mexikaner „Vergewaltiger“. Rassismus und Misogynie, bis 2016 tabu, sind in den USA von ganz oben legitimiert; und was nun die Kritik an dieser Erosion sein müsste, wird von dort zu „fake news“ erklärt. Brandstifter haben es leicht, wenn alle Fakten strittig sind. Und die Justiz ihnen hilft.

„Es gibt gar nicht so wenige Urteile wie das von Berlin“, sagt der Autor Sascha Lobo via Facetime, Beleidigungen gegen Frauen würden „strukturell verharmlost.“ Die Berliner Richter verwechseln das Internet mit einem Stammtisch von 1980; sind halt alle breit, muss ja niemand hingehen, ist morgen alles vergessen.

Das Internet von 2019 beschleunigt, intensiviert und konserviert einen Hass, der in der analogen Welt noch gestern jenseits der Normen war. Dies wirkt enthemmend. Der Attentäter von El Paso sprach von einer „Invasion“ der Mexikaner, bevor er 22 Menschen ermordete; es war das Wort seines Präsidenten und der rechten Foren.

Strafverfolgung fällt oft äußerst ernüchternd aus

Thilo Sarrazin sprach bei uns als erster davon, dass Deutschland sich abschaffe, Begriffe wie „Volksverräter“ kamen online zurück, dann auf der Straße. „Das Weltbild hat sich verfestigt. Die Hassenden lösen beieinander das Gefühl aus, dass sie viele sind. Ihre Wörter fräsen sich in die Köpfe der Menschen ein. Sie delegitimieren alles, was zur Grundstruktur eines demokratischen Staates gehört“, sagt Renate Künast am Telefon.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

[Unser Kolumnist ist per E-Mail klaus.brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer erreichbar.]

Künast wehrt sich, hat mehrfach geklagt, auch schon gewonnen. Sie stellt Beleidiger bloß, wählt ihre Schlachten sorgsam aus, da sie „nicht ständig mich selbst und mein ganzes Büro lahmlegen“ will.

Lobo blockiert Hetzer sofort und versucht zu lachen, wenn der Hass ihn doch erreicht. Angezeigt hat er bislang niemanden. Die Autorin Margarete Stokowski schreibt mir, sie zeige nur noch ernsthafte „Bedrohungen an, keine Beleidigungen“, da „Strafverfolgung oft äußerst ernüchternd ausfällt, gelinde gesagt“. Auch Stokowski führt Hetzer mitunter öffentlich vor und nennt es „politische Bildung“ (für jene) und „Psycho-Hygiene“ (für sich).

Selbstschutz kann bloß punktuell helfen, solange Polizei, Plattformen wie Facebook und die Gerichte beschönigend zart gegen sprachliche Gewalt vorgehen. Deshalb ist das Berliner Urteil das Letzte, was unsere hitzigen Zeiten brauchen: ein Brandverstärker.

Klaus Brinkbäumer

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