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Keine Straffreiheit! Angehörige von Opfern protestieren gegen die kolumbianische Regierung, die den Mördern praktisch eine Amnestie gewährt hat. Szene aus „Impunity“.

© Promo

Kolumbianische Filmemacher: „Sie lachen über uns“

Der kolumbianische Filmemacher Hollman Morris erhält den Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg. In seiner Doku „Impunity“ zeigt er die verstörenden Folgen von Massakern rechter Paramilitärs.

Schier endlos fliegt die Kamera über bergige, bewaldete Gebiete. Sie zeigt die Weite Kolumbiens. Sie zeigt zugleich, wo in den vergangenen Jahrzehnten die schwersten Menschenrechtsverbrechen in dem Land stattfanden: in abgelegenen Dörfern im Dschungel, in denen die Bevölkerung den rechtsextremen Paramilitärs ausgeliefert war und ist. Gleich zu Beginn des Dokumentarfilms „Impunity“ (Straflosigkeit) erzählt in einem der Dörfer eine etwa 30 Jahre alte Frau, wie die Söldner ihrem zwölf Jahre alten Bruder den Kopf abschnitten. Sie legte sich den Körper ihres Bruders über die Schulter, um ihn nach Hause zu tragen, ihre Mutter nahm den Kopf an sich. „Das ist wie ein Film, der immer und immer wieder abläuft“, sagt die Frau schluchzend.

Diesmal soll der Film immer und immer wieder ablaufen – aus der Perspektive der Opfer, von denen man sonst selten hört und deren Bilder im kollektiven Gedächtnis des Landes kaum existieren. Für seine langjährige Arbeit als Dokumentarfilmer und Journalist, bei der er genau diese Bilder immer wieder an die Öffentlichkeit brachte, wird dem Regisseur Hollman Morris am heutigen Sonntag der Internationale Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg verliehen. Das Nürnberger Filmfestival für Menschenrechte, das am Mittwoch beginnt, zeigt aus diesem Anlass Morris’ jüngste Arbeit „Impunity“ und hat einen Schwerpunkt mit kolumbianischen Spiel- und Dokumentarfilmen eingerichtet.

Morris, heißt es aus Nürnberg, bekomme den Preis für sein Engagement zur Wahrung der Menschenrechte in dem lateinamerikanischen Land – und dafür, dass einige Verbrechen bei einer Straflosigkeit von rund 97 Prozent eben nicht ungestraft bleiben: Richter und Staatsanwälte benutzen seine Arbeiten als Beweismaterial. Der Kolumbianer arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Journalist und gilt als eine der kritischsten Stimmen Kolumbiens. In seiner ausgezeichneten Fernsehsendung „Contravía“ (Gegen den Strom) etwa, die auf politischen Druck hin eingestellt wurde, berichtete Morris über die Verbindungen des früheren Präsidenten Álvaro Uribe zu den Paramilitärs.

Bereits damals wurde der 43 Jahre alte Journalist bedroht und lebte mit seiner Familie deshalb zum Teil in Spanien und den USA. Während der Dreharbeiten zu „Impunity“ verschwanden Computer und Material, auch diesmal bekam Morris Morddrohungen. Zeitweilig verließ das Team Kolumbien. „Aber wir konnten die Aufgaben nicht delegieren“, sagt Morris. Er und der schweizerisch-kolumbianische Dokumentarfilmer Juan José Lozano begleiten einen Prozess, der vor sechs Jahren begann. Rund 33 000 Paramilitärs sollten damals zurück in die Gesellschaft finden: ihre Waffen niederlegen und ihre Taten gestehen. Dafür wurde ihnen eine Gefängnisstrafe von maximal acht Jahren in Aussicht gestellt, obwohl ihnen 150 000 Morde und knapp 50 000 Verschwundene zur Last gelegt wurden. „Obwohl es so viele Opfer gibt“, sagt Morris, der schon für „Contravía“ staatliche und polizeiliche Archive durchforstete, „kennt die Bilder von Massakern und Exhumierungen in Kolumbien kaum jemand. Kolumbien will den Konflikt vergessen.“

Chronologisch montiert der Film Archivmaterial von Besuchen der Paramilitärs in Dörfern, von ausgebrannten Häusern und Blutlachen auf dem Basketballplatz. Er zeigt, wie Leichen ausgegraben werden und Angehörige mit verzerrten Gesichtern in die Gruben starren. Und schließlich, wie Paramilitärs verhört werden und die Verhandlungen per Videoleinwand in abgelegene Dörfer übertragen werden, in Kirchen etwa. Dort sehen die Angehörigen der Opfer in brütender Hitze zu, zum Teil so schwer traumatisiert, dass sie kein Wort herausbringen, wenn sie den Angeklagten eine Frage stellen können. Diese wiederum können sich scheinbar kaum an ihre Taten erinnern. „Sie lachen über uns“, bilanziert eine Frau. Doch in den Fernsehnachrichten werden nur die Sprecher gezeigt, die die Verhandlungen flüchtig und distanziert zusammenfassen. „Wir wollten nicht, dass dies die einzigen Bilder sind, die im Gedächtnis bleiben“, sagt Morris.

Während die Regierung Uribe den Erfolg der Prozesse behauptet, sind sie für Anwälte und Menschenrechtler eine Farce: Als Straflosigkeit bezeichnen sie die maximal acht Jahre für schwerste Folter und zum Teil mehrere tausend Morde, ebenso die Auslieferung hochrangiger Paramilitärs an die USA. Dort werden sie nicht für Menschenrechtsverbrechen, sondern für Drogenhandel angeklagt, können daher über die Hintermänner in der kolumbianischen Politik schweigen.

Die Vergangenheit, die in Kolumbien aufgearbeitet werden soll, ist noch lange nicht zu Ende. Paramilitärische Strukturen bestehen weiter, nur wenige hundert Männer sind angeklagt, kaum einer ist verurteilt worden. Den Beitrag, den „Impunity“ im eigenen Land zur Aufarbeitung leisten konnte, ist geringer als erhofft. Obwohl der Film bereits mehrere internationale Preise gewonnen hat und vor Monaten in Kolumbien auf den Markt kam, fand sich kaum ein Kino, das den Film zeigen wollte. Insgesamt, so die Produktionsfirma, gab es in Kolumbien bislang „zwei oder drei“ Vorstellungen.

Am 27.9. wird „Impunity“ um 20 Uhr in Anwesenheit von Hollman Morris und Juan José Lozano in den Hackeschen Höfen Berlin gezeigt. Am 29.9. und am 1.10 läuft er auf dem Filmfestival für Menschenrechte Nürnberg.

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