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Föhliche Farben, gedämpfte Stimmung. Gauguins "Tahitianische Frauen" aus dem Jahr 1891.

© RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay), Foto: Patrice Schmidt | Bridgeman

Kolonialismusdebatte in der Alten Nationalgalerie: Wie Gauguin gerettet werden kann

Neuer Blick auf einen Klassiker: Langsames Erwachen aus Paul Gauguins Traum von Tahiti. Das Südsee-Paradies gab es nie.

Kann man Paul Gauguin heute noch zeigen, diesen Phädophilen, Kolonisten, den alten weißen Mann? Es ist berechtigt, diese Frage zu stellen. Jahrzehntelang wurde der französische Maler gefeiert als Erneuerer der Kunst, als wichtigster Vertreter an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.

Über seinen nicht erst aus jüngster Sicht fragwürdigen Lebensstil auf Tahiti schwieg man in den meisten Fällen geflissentlich, Leben und Werk wurden säuberlich getrennt. Die Alte Nationalgalerie antwortet auf die Frage mit einem klaren Ja und noch deutlicherem Aber.

Ihre Ausstellung „Why Are You Angry?“ nach einem gleichnamigen Titel Gauguins versucht den Künstler oder zumindest seine Werke vor allem für ein jüngeres Publikum zu retten. Qualitätsvoll, innovativ, mitreißend bleiben sie auch heute noch, über ein Jahrhundert später.

Wer nun vor den beiden „Tahitianischen Frauen“ von 1891 steht aus dem Pariser Musée d’Orsay oder gleich daneben dem ein Jahr später entstandenen Pendant „Parau Apu“ (Gibt’s was Neues?) aus dem Dresdner Albertinum, kann sich dem Zauber der Figuren mit dem melancholischen Blick, den strahlenden Farben, flächigen Formen, klaren Linien kaum entziehen.

Das Brücke-Museum machte es in Berlin vor

Ältere Besucher, die hier ihren Gauguin angegriffen wähnen, mögen schlucken, müssen sie sich doch wie zuvor im Brücke-Museum bei der Ausstellung „Whose Expression? Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext“ durch viel Text hindurcharbeiten und manche Desillusionierung hinnehmen. Einfach gucken und sich delektieren, das geht heute nicht mehr, auch wenn das Brücke-Museum von seinem Stammpublikum zum Teil bittere Kritik einstecken musste. Nach dem Berliner Landesmuseum macht nun die Alte Nationalgalerie mustergültig vor, wie sich Institutionen der aktuellen Kolonialismusdebatte stellen können.

Ursprünglich geplant war das nicht. Direktor Ralph Gleis war von der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen zunächst nur um eine Leihgabe für die eigene Ausstellung gebeten worden: den „Tahitianischen Fischerinnen“ von 1891, dem einzigen Werk Gauguins in Berliner Besitz. Die genaue Tätigkeit der Frauen darauf bleibt im Unklaren, die Schwermut der Sitzenden im Vordergrund prägt die Szene – ein rätselhaftes, begehrtes Bild.

Große Teile der Ausstellung kommen aus Kopenhagen

Die Glyptotek wälzt schon länger das Gauguin-Problem, besitzt sie doch neben Bildhauerei vor allem französische Impressionisten und Postimpressionisten, darunter viele des Südsee-Malers. Gleis gefiel das dänische Konzept einer Sondierung des von Gauguin selbstgeschaffenen Mythos und der Hinterfragung seines Werks durch zeitgenössische Künstler:innen.

Der Galeriedirektor hat in weiten Teilen „Why Are You Angry?“ aus Kopenhagen übernommen. „Angry“ dürfte er selbst kaum zu sein, vielmehr froh, mit der Ausstellung zu den Wegbereitern einer neuen Museumsdidaktik zu gehören. Und er sollte gewappnet sein gegen den aufkeimenden Zorn konservativer Besucher, die nun den nächsten Helden der Moderne stürzen sehen.

Dabei gewinnen beide Seiten: das Museum und das Publikum. Über Gauguin wird kein Verdikt gesprochen, jeder kann sich ein eigenes Urteil bilden. Die Ausstellung legt die Hintergründe seiner selbst gesponnenen Saga offen. Der Maler hatte sich immer schon als „Wilder“ stilisiert, als Ruheloser, seit er die Kindheit bei Verwandten in Lima verbrachte, als junger Mann zur See ging, schließlich Börsenhändler wurde, nach dem Crash den Beruf aufgab und von der Hobbymalerei ganz ins Fach überwechselte.

Wohin auch immer es ihn fortan verschlug, er suchte überall das Ursprüngliche, die Verbindung von Kunst und Leben: in der Bretagne bei den Bauern, bei van Gogh im „Gelben Haus“ in Arles, in Panama und auf Martinique, zwei Mal auf Tahiti zwischen 1891 und 1893 sowie 1895 und 1901, die letzten beiden Lebensjahre schließlich auf der 1400 Kilometer entfernten Insel Hiva Ova, wo er 1903 mit 54 Jahren verarmt stirbt.

Von wegen harmlos. Angela Tiatias Video "Hibiscus Rosa Sinensis" von 2010.
Von wegen harmlos. Angela Tiatias Video "Hibiscus Rosa Sinensis" von 2010.

© Angela Tiatia – Sullivan+Strumpf

Geschwächt durch Malaria und Syphilis hätte er trotzdem nicht heimkehren können. Auch sein Sammlerfreund George-Daniel de Maufreid warnte ihn davor, sich in Paris blicken zu lassen: „Sie genießen die Unantastbarkeit der großen Toten. Sie sind in die Kunstgeschichte eingegangen.“ Gauguin war zum Opfer seiner eigenen Inszenierung geworden. Dabei hätte er es besser wissen können. Das von ihm gemalte Paradies gab es nicht. Für seine Künstlerlegende klaubte er sich trotzdem Teile vom Traum der Südsee zusammen.

Die Sinnlichkeit, vermeintliche Verfügbarkeit von Tahitis Frauen geht zurück auf die Eroberung 1842 durch französische Kanonenboote. Zur Besänftigung der Soldaten kamen Inselbewohnerinnen an Bord und boten sich an.

Die schwärmerischen Beschreibungen dieser Begegnung führten zur Bezeichnung Tahitis als „La Nouvelle Cythère“, der Liebesinsel der Aphrodite. Eine westliche, sexualisierte Zuschreibung, die sich bis heute aufrecht hält, wie in der Vitrineninstallation von Angela Tiatia mit Werbeprospekten und Pin-up-Nippes zu sehen ist.

Die neuseeländische Künstlerin dreht in ihrem Video „Hibiscus Rosa Sinensis“ den Spieß um. Die berühmte Blüte von Gauguins Bildern balanciert sie zu Beginn noch zwischen den Lippen. Mit Blick auf den Betrachter beginnt die Performerin die rote Pracht dann aufzuessen. Nach dem Mahl wischt sie sich den Mund, als hätte sie eine Keule verschlungen.

Das Künstlerinnenduo lässt Gauguin nachspielen

Unbehagen löst auch der Beitrag von Rosalind Nasashibi und Lucy Skaer aus. Das britische Duo verfolgt eine ähnliche Strategie mit seinem Video, das ebenfalls den Titel „Why Are You Angry?“ trägt. Tahitianerinnen setzen darin die Posen der von Gauguin Porträtierten als Tableaux vivants ein, die Objektifizierung wird mit heutigen Frauen durchgespielt. Geht gar nicht.

Die lustvolle Stimmung, das Laszive auf den Originalen ist sofort dahin – gut so. Die Künstlerinnen flößen dem Publikum eine bittere Medizin ein. Dabei war die schöne Unschuld auf Gauguins Bildern immer schon Fiktion. Fotos von Kolonistendörfern mit Kirche und gebauten Häusern könnten auf den ersten Blick auch in Frankreich entstanden sein.

Doch warum musste Gauguin den Mythos derart bedienen? Eigentlich war er doch ein kritischer Geist. In seiner auf Tahiti herausgegeben Zeitschrift „Sourire“ forderte er die Frauen sogar dazu, sich zur Wehr zu setzen. In seinen letzten Briefen gesteht er die Desillusionierung ein. Mehr als andere war der Maler von der Großstadtmüdigkeit erfasst, den Errungenschaften der Zivilisation enttäuscht.

Seit Rousseau gab es das Gegenmodell dazu: den edlen Wilden und sein Habitat. Reiseberichte von Bougainville und James Cook aus dem 18. Jahrhundert befeuerten das Ideal. Auf der Pariser Weltausstellung 1898, die dem Kolonialismus Vorschub leisten sollte, wurde es sogar ausgestellt mit Handwerkern aus Übersee, Tänzerinnen aus Java. Zu den späteren Völkerschauen von Hagenbeck war es nicht mehr weit.

Berlins Gauguin: "Tahitianische Fischerinnen" aus dem Jahr1891.
Berlins Gauguin: "Tahitianische Fischerinnen" aus dem Jahr1891.

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Leihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung / Jörg P. Anders

Gauguin begeisterte sich sofort dafür, lobte die javanische Schnitzkunst, die für ihn antike Skulptur sogar übertraf. Wie ein Schwamm saugte er die Einflüsse auf. Eine afrikanische Holzskulptur, die er auf der Weltausstellung erwarb, ergänzte er um Glasaugen und bemalte sie.

Von ihm signiert, gab er sie als sein eigenes Werk aus. In Paris bestand Bedarf an Bildern vom Südsee-Paradies, Gauguin lieferte sie. Als sein Galerist Durand-Ruel ihn aufforderte, als Ergänzung zur Kunst über sein Leben auf Tahiti zu berichten, machte er auch das.

„Noa Noa“, seine autobiographische Erzählung, schreibt das Narrativ von der Glückseligkeit nochmals fort. Die Ausstellung zeigt ausführlich Briefe, Schriften, Bücher. Inzwischen weiß man, dass er auch für „Noa Noa“ ganze Teile aus einer siebenbändigen Geschichte der Südsee übernahm.

Die Einverleibungen machen Gauguins Werk so spannend

Gerade diese Einverleibungen aber machen neben der zweifellos bahnbrechenden Malerei Gauguins Werk so spannend. Aus Kopenhagen sind gleich mehrere Keramiken mitgekommen, die sonst selten zu sehen sind: Krüge aus seiner Zeit in der Bretagne und auf Martinique mit Hirtenmädchen, Schafen, Gänsen und doch so fantastisch geformt, dass sie unbenutzbar scheinen.

Wer genau hinschaut, sieht auf einem der bauchigen Gefäße eine Landschaft von Millet geritzt. Der Maler pries mit seinen Bildern eine Generation zuvor das einfache Leben auf dem Land. Auch das war eine Lüge.

[Alte Nationalgalerie, Museumsinsel, bis 10. 7.; Di bis So 10 - 18 Uhr]

Gauguin musste weiter ausholen, weiter reisen, bunter erzählen und verschmolz seine eigene Existenz mit der Legende vom pazifischen Idyll. Seine Bilder handeln von dessen Schönheit. Die kolonialistische Realität aber dahinter, Gauguins Rolle als dessen Bewohner wird endlich sichtbar.

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