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König Galerie zeigt Monica Bonvicini: Wer ist schuld?

„62 Tons of Guilt“: In der Kapelle von St. Agnes beschäftigt sich die Künstlerin Monica Bonvicini mit dem existenziellen Thema Schuld.

Da macht Monica Bonvicini natürlich ein Fass auf: „Guilt“. Schuld. Das Wort hat Gewicht. Das Kunstwerk auch. „62 Tons of Guilt“. Ein goldener Anhänger, Schrifttypen an einer Halskette. Bling-Bling, wie von Hip-Hoppern geschätzt. Oder der „Nora“-Schriftzug am Hals von Thomas Anders – aber im Maßstab eines Claes Oldenburg’schen Kolossalobjekts. 20 mal 300 mal 250 Zentimeter misst der auf dem Boden liegende Anhänger, die Kette dazu sechseinhalb Meter von der Decke. 62 Tonnen? Sicher nicht ganz. Schon wegen der Statik. Der Anhänger ist auch „nur“ goldfarben lackiertes Holz. Die bei einer Seil- und Hebetechnikfirma erworbene Kette bringt gewiss etwas auf die Waage. „Die Schuld lastete schwer auf seiner Seele“, lautet eine Floskel.

Was ist Schuld überhaupt? Schuld im strafrechtlichen Sinn, nach dem normativen Schuldbegriff, ist Vorwerfbarkeit des mit Strafe bedrohten Handelns. Ist er nicht schuldfähig oder liegt ein Entschuldigungsgrund vor, kann ein Beschuldigter hierzulande nicht bestraft werden. Keine – schuldangemessene – Strafe ohne Schuld. „62 Tons of Guilt“ hängt aber nicht von der Decke eines Justizgebäudes. Vielleicht kommt das noch. Während der 15. Istanbul Biennale 2017 hatte Monica Bonvicini bereits ein anderes, sehr großes, sehr glänzendes „Guilt“-Werk ausgestellt. In einem Hammam, in dem die Sünden abgewaschen werden. In den sie auch einen aus schwarzen Ledergürteln gefertigten Nachbau der Kaaba, des größten islamischen Heiligtums, gestellt hatte. Wie die Kettenglieder sind die Gürtel in Bonvicinis Werk omnipräsent. Gerade erst fegte ein von der Decke hängender Besen aus solchen Gürteln durch die Berlinische Galerie, durch Bonvicinis „3612,54 m³ vs 0,05 m³“ betitelte Ausstellung.

Die Assoziationskette reißt nicht ab

Nach dem Islam ist das Christentum dran. „Guilt“ ist die zweite Schau der 1965 in Venedig geborenen, in Berlin lebenden Monica Bonvicini in der Kapelle von St. Agnes, keine zehn Gehminuten von der Berlinischen Galerie entfernt. St. Agnes, die katholische Kirche, der im protestantischen, wenn nicht gottlosen Berlin die Gemeindemitglieder ausgingen; die zuerst an eine evangelische Freikirche vermietet und dann in eine Kunstgalerie umgewandelt wurde. In den Religionswissenschaften hat der für zeitgemäßer befundene Begriff der „Schuld“ den der „Sünde“ inzwischen teilweise abgelöst. Der biblische Sündenfall Adams und Evas markiert den Beginn der Schuldhaftigkeit des Menschen. So kommt er nach christlichem Verständnis bereits sündig-schuldig auf die Welt. Und diese Urschuld kann im Laufe eines Lebens durch Verstöße gegen Gottes Gebote nur noch größer werden.

Im Alltag ist das zum Glück anders. Schuld ist ein Schlüsselbegriff unserer juristischen und religiösen Systeme. Aber auch gesetzestreue Atheisten kommen um das Thema nicht herum. Und wenn sie nur aus der überfüllten U-Bahn aussteigen wollen – ständig scheinen die Konventionen des Sozialverhaltens nach einer hier immerhin möglichen Tilgung der Schuld durch Entschuldigung zu verlangen. Der Teufel sitzt im (gänzlich säkularen) Detail: „Entschuldigen Sie mich – sonst tu ich es selbst!“ hieß mal eine der „Zwiebelfisch“-Kolumnen von Sebastian Sick.

Die Assoziationskette reißt so wenig ab, wie Monica Bonvicinis massive Kette von der Kirchendecke fällt. So könnte man nun seitenweise über die Schuld sinnieren, fabulieren – der in Bonvicinis Studio formulierte Waschzettel zur Ausstellung tut das übrigens ähnlich unbekümmert: „Sie kann individuell oder kollektiv sein, sie kann sich ansammeln, genau wie Kapital, und oft gehen die beiden sogar Hand in Hand …“

Baseballcaps für Bonvicini-Fans

Kapitalismuskritisch ist die Schau also auch noch. Der Schuldbegriff an sich ist so abstrakt, dass es in Istanbul natürlich auch keinerlei Probleme mit dem Regime gab. „62 Tons of Guilt“ kostet in der Galerie König 110 000 Euro. – „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt“, soll der Ablassprediger Johann Tetzel versprochen haben. Ob das auch in der entweihten Kirche noch funktioniert? Tetzels Ablassbriefe gab es für jeden Geldbeutel, bei Johann König ist das heute nicht anders. Silberne Bonvicini-Ketten mit „Guilt“-Schriftzug werden auch als Multiple und in tragbarem Maßstab offeriert, wahlweise mit oder ohne Box aus Holz und Acrylglas, entweder zu 10 000 oder 5000 Euro. Für 50 Euro bekommt der Bonvicini-Fan im galerieeigenen Souvenirshop rote und schwarze Baseballcaps mit blauem, schwarzem oder goldenem Schriftzug: „Guilt“. Ob es ein Zufall ist, dass Donald Trump (der ja nun an allem schuld ist; der gerne anderen die Schuld gibt …) seine Baseballcaps im Wahlkampf für 50 Dollar verkaufte?

Es muss noch auf den Lichtschalter hingewiesen werden. Besucher könnten ihn sonst übersehen oder einfach für einen Lichtschalter halten. Der Lichtschalter ist eine Attrappe aus weiß angemalter Bronze („The Beauty You Offer Under The Electric Light“, 15 000 Euro). Wer ganz genau hinsieht, der erkennt oben auf dem Schalter den klitzekleinen Schriftzug „NO“ (anstatt „ON“). Sollte Monica Bonvicini hier etwa auf die Braunkohleverstromung und unseren arg schuldbelasteten Umgang mit der Umwelt anspielen? Mmh.

König Galerie, Alexandrinenstr. 118–121; bis 15. 4., Di–Fr 11–19 Uhr, Sa 12–19 Uhr

Jens Müller

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