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Richter-Fenster

© dpa

Kölner Dom: Gottes Würfel

Es werde Licht: Gerhard Richters Fenster für den Kölner Dom ist eingeweiht.

Und plötzlich ist der große Augenblick gekommen. Dort, wo in den letzten Monaten ein gigantischer schwarzer Vorhang das Fenster des südlichen Querhauses im Kölner Dom verbarg, strahlt plötzlich Licht, Farbe, gebrochener Sonnenschein. 11 250 gläserne Quadratfelder von 9,7 mal 9,7 Zentimetern Größe beginnen gleichzeitig zu leuchten, sobald die Wolkendecke den Himmel freigibt. Der Eindruck ist spektakulär. Ein riesiges abstraktes Bild, gehalten von den knapp 20 Meter langen Streben des gotischen Maßwerks, scheint zu schweben.

Eine bunte Pixelwand stellt nun die Verbindung zwischen Außenwelt und Kirchenraum her. Der mittelalterliche Gedanke von der Transzendenz des Lichts, der göttlichen Überhöhung durch die zunehmende Helligkeit, erweist sich als vereinbar mit Ideen des 21. Jahrhunderts, dem Computerzeitalter. Es ist ein Überraschungsmoment, denn das von Gerhard Richter gestaltete Domfenster befindet sich räumlich und inhaltlich im Schwebezustand – zwischen religiöser Aufladung durch den Kontext und gleichzeitiger Beharrung auf der Autonomie eines modernen Kunstwerks, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Gestern wurde es im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes eingeweiht, schon Stunden vorher strömten Menschen in den Dom. In der Nacht zuvor war der schwarze Vorhang gefallen.

Drei Jahre lang hat das Domkapitel, die geistliche Chefetage von Deutschlands größter Kathedrale, auf diesen Moment gewartet, mit ihm eine ganze Stadt. Denn selten ist einer künstlerische Arbeit im öffentlichen Raum mit so viel Spannung entgegengefiebert worden. Drei Jahre dauerte die Entwurfsphase, brauchten die Glasbläser in Waldsassen, die Glastechniker in Taunusstein, die ein spezielles Silikon-Gel zur Verklebung der einzelnen Quadrate erfanden. 2004 hatte Richter offiziell den Auftrag erhalten, die 113 Quadratmeter große Fläche zu gestalten, nachdem die Dombaumeistern Barbara Schock-Werner bereits zwei Jahre zuvor mit der Bitte an ihn herangetreten war.

Für den Künstler selbst war es die größte Überraschung, dass er „sofort begeistert, aber auch erschrocken“ seine Zusage gab. Nie zuvor hatte der 75-Jährige für einen Kirchenraum gearbeitet. Gleichwohl hat er sich immer wieder mit dem Thema Glas auseinandergesetzt; für ein Berliner Privathaus schuf er sogar ein ähnliches Fenster en miniature. Zudem lassen sich viele Werke des bekennenden Atheisten, der in den letzten Jahren dennoch einen Hang zum Katholizismus entwickelt hat, religiös interpretieren: die „Brennende Kerze“ etwa als Vanitas-Motiv, das Porträt seiner jungen Frau, die ihr Kind stillt, als Marienbild.

Gerade für diese „transzendente Dimension“ erhielt der Maler 2004 den Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken. Damals waren in seinem Atelier im Kölner Vorort Rodenkirchen die Entwürfe für das Domfenster bereits weit fortgeschritten. Eine immense Herausforderung, denn Kirchenkunst und Kunstbetrieb sind heute zwei völlig voneinander abgekoppelte Bereiche. Während früher die Kirche zu den wichtigsten Auftraggebern und Neuerern in der Kunst gehörte, führt heute die ästhetische Gestaltung des Sakralbaus ein Nischendasein, ist sie eine zu vernachlässigende Größe – abgesehen von gewagteren architektonischen Lösungen. Doch schließlich hatte sich das Domkapitel den besten Kandidaten für diese Aufgabe ausgewählt, wie die Dombaumeisterin sagt. Richter gilt als der bedeutendste Maler der Gegenwart – und einer der teuersten dazu. Erst Anfang des Jahres wurde ein Werk von ihm in London für vier Millionen Euro versteigert.

Die Entwürfe für den Kölner Dom sollten allerdings völlig anders aussehen, als es sich die Auftraggeber vorgestellt hatten. Gewünscht war die Darstellung von Märtyrern des 20. Jahrhunderts, darunter Edith Stein, Maximilian Kolbe, Karl Leisner, entsprechend dem Figurenprogramm auf den erhalten gebliebenen mittelalterlichen Fenstern im Querhaus, auf denen Propheten und alttestamentarische Könige dargestellt sind. Nur das 1863 eingesetzte Südfenster, eine Schenkung des Preußenkönigs Wilhelm I., zerbrach bei den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zu Scherben, da es nicht wie die anderen Fenster rechtzeitig in Kisten geschafft worden war. Da auch die Entwürfe aus der königlichen Glasmalereianstalt in Berlin-Charlottenburg im Krieg verloren gingen, war an Rekonstruktion nicht zu denken. Bei der Wiederherstellung des Domes in den Nachkriegsjahren erhielt das Südfenster eine sehr helle Verglasung, so dass die gegenüber sitzenden Gläubigen von der einfallenden Sonne regelrecht geblendet wurden und der Wunsch nach Veränderung schon lange bestand.

Richter bemühte sich zunächst noch, dem Wunsch des Domkapitels zu entsprechen, indem er zwei Entwürfe schuf, auf denen nach alten Fotografien Hinrichtungen durch Nationalsozialisten zu sehen waren. Die Brutalität des Geschehens passte für ihn jedoch nicht in den Kirchenraum. Auch die Dombaumeisterin hatte mittlerweile eingesehen, dass sich die Darstellung von Märtyrern aus dem Dritten Reich für heutige Augen zu stark mit konkreten historischen Bildern verbindet und eine Erhebung in den Kanon der Heiligen zumindest auf Kirchenfenstern nicht funktioniert.

Was den Künstler letztlich veranlasste, die Maßwerk-Schablone des Südfensters auf sein 1974 entstandenes Gemälde „4096 Farben“ zu legen, das ausschließlich aus Farbquadraten besteht, wollte er auch auf der gestrigen Pressekonferenz nicht verraten. Im Nachhinein erweist es sich als Coup, ja sogar als historisch relevant. Findige Kunsthistoriker haben entdeckt, dass die nach oben abschließenden mittelalterlichen Rundfenster im südlichen und nördlichen Teil des Langhauses wie bei Richter aus Quadraten bestehen.

Trotzdem stieß Richters rein abstrakte Gestaltung nach dem Zufallsprinzip gerade unter Klerikern auf Kritik. Gott würfelt nicht. Die Farben seines im Kölner Museum Ludwig hängenden Gemäldes, das auf die simplen Farbkarten von Malereigeschäften anspielt und die „Falschheit und Gläubigkeit“ (Richter) damaliger abstrakter Kunst kritisiert, wurde auf 72 Töne reduziert. Ein Computerprogramm bestimmte die Auswahl. Richter selbst intervenierte nur an einer Stelle, wo eine Eins zu sehen war. Außerdem verdoppelte er die Bahnen der dreigliedrigen Fenster und die rosettenförmigen Abschlüsse des Maßwerks, was für den Betrachter durch die tausenden Glasquadrate kaum zu erkennen ist.

Doch auch die Kleriker werden ihren Frieden schließen mit dem abstrakten Fenster; schließlich feiert es das göttliche Licht, so Domprobst Sauerbaum in seiner Predigt. Schon hat die Kathedrale von Rheims bei Richter angefragt. Die Sakralkunst hat durch seinen Beitrag einen enormen Impuls erfahren. Für die Kölner ist die Kombination aus ihrem geliebten Dom und einem Hauptwerk des wichtigsten lebenden deutschen Malers, der bei ihnen um die Ecke wohnt, ohnehin unschlagbar. Über 1200 Spender beteiligten sich an den Herstellungskosten für die 370 000 Euro teure Arbeit. Richter verzichtete auf ein Honorar.

Stattdessen machte sich der Künstler neu an die Farbfeldmalerei, die für ihn eigentlich als abgeschlossen galt. Im benachbarten Museum Ludwig zeigt er neben Fensterentwürfen als neuestes Werk die 6,8 Quadratmeter große Lacktafelarbeit „4900 Farben“, das ebenfalls aus Quadraten besteht und nach dem gleichen Computerwürfelprinzip entstand. Und doch ist der Eindruck ein völlig anderer als im Dom. An der Museumswand atmet das Werk vor allem Diesseits, eine geradezu kindlich-heitere Farbfreude. Im Kirchenraum verweist die gleiche künstlerische Methode auf das Jenseits, die Transsubstantiation durch Farbe.

Begleitausstellung im Museum Ludwig, bis 13. Januar. Katalog 28 Euro.

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