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Strammstehen. Die Kindheit einer Aussteigerin wird mit Motion-Capture-Technik nachgestellt.

©  Little Dream

"Kleine Germanen“ im Kino: Kinderspiele in SS-Uniform

Die Doku „Kleine Germanen“ will über autoritäre Familienbilder der Rechten aufklären, geht dabei aber naiv mit ihren Protagonisten wie Götz Kubitschek um.

Der Verleger Götz Kubitschek und die Autorin Ellen Kositza sitzen vor einer Bücherwand und einer wuchtigen Flügeltür. Ihr Wohnzimmer auf einem ehemaligen Rittergut in Sachsen-Anhalt, dem schon etliche Journalisten pittoreske Homestorys gewidmet haben, ist akkurat ausgeleuchtet. Auf diese Weise – als talking heads vor seriös wirkendem Hintergrund – werden in Fernsehdokumentationen gerne Experten inszeniert.

In „Kleine Germanen“ sprechen die beiden Akteure der „Neuen Rechten“ als Experten, so scheint es jedenfalls, für ihre eigene Bewegung. Als geübte Medienprofis machen sie das gut, formulieren vage Sätze über „Rahmung und Ordnung“ bei der Kindererziehung oder die „Eigentümlichkeit“ der deutschen Heimat. Neonazihafte Sprüche rutschen ihnen schon längst nicht mehr raus.

Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen hat es einmal so auf den Punkt gebracht: Um etwas über den Rechtsruck der Gegenwart zu erfahren, „muss man nicht mit irgendwelchen Armin-Mohler-Exegeten auf deren Bauernhöfen rumsumpfen“. Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh, die Regisseure von „Kleine Germanen“, aber sumpfen auf Bauernhöfen herum, auf realen wie auf animierten. Der Film glaubt daran, dass sich Rechtsextreme selber entlarven. Zumindest dann, wenn man eine Geschichte über eine Aussteigerin und kritische Stimmen von Wissenschaftlern mitliefert – Letztere sind nicht im Bild, sondern nur zu hören. Der Film will aufklären über autoritäre Familienbilder und manipulative Erziehungsmodelle. Mehr als das erfährt man jedoch, wie naiv manche Journalisten und Filmemacher mit Leuten wie Kubitschek umgehen und welche unreflektierten Bilder sie für rechte Themen nutzen. „Kleine Germanen“ steht beispielhaft für eine Medienöffentlichkeit, die in den letzten Jahren zur Legitimation rechter Akteure beigetragen hat.

Traumatische Folgen für Elsas Kinder

Die Interviews erscheinen hier als Notlösung für ein Dokumentaristenproblem. Denn Geiger und Farokhmanesh hatten zunächst lediglich eine Geschichte mit nur einer Stimme – und gänzlich ohne Bilder: den Erfahrungsbericht von Elsa, einer rechten Aussteigerin, die inkognito lebt und sich nicht filmen lassen wollte. Eine Schauspielerin erzählt Elsas Geschichte von den frühen siebziger Jahren bis heute; szenische Animationssequenzen, mit dem Motion-Capture-Verfahren realisiert, illustrieren, wie sie in einem rechtsextremen Mikrokosmos aufwächst. Elsa als Kind bei Kriegsspielen in SS-Uniform, Gewaltmärsche mit dem Großvater in den Bergen, später Eintritt in eine Neonazipartei, rassistische Straftaten.

Eine tragische Wendung bekommt diese Biografie, als Elsa, zusammen mit ihren Kindern aussteigen will. Die Bedrohung durch den gewalttätigen Ehemann und Vater, die Anonymität im Zeugenschutzprogramm und die ständige Angst, entdeckt zu werden, haben für Elsas Kinder traumatische Folgen.

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Wenn Elsa von ihren Sorgen um die Kinder aus dem rechten Milieu berichtet, sind merkwürdige visuelle Lückenfüller zu sehen: Kinder, ohne Bezug zur Geschichte, laufen in Zeitlupe über Spielplätze oder schauen mit unschuldigem Blick in die Kamera. Es sind Kinder („unsere Kinder“), die offenbar so sehr nach dem Klischeebild „nordischer“ Phänotypen gecastet wurden, dass man sich wundert, warum die Filmemacher zur Untermalung nicht noch die Nazi-Rockballade „Arisches Kind“ einsetzen. Später werden zu einem patriotischen O-Ton des österreichischen Identitären Martin Sellner, dem mittlerweile Verbindungen zum Christchurch-Attentäter nachgewiesen wurden, hübsche Postkartenbilder der Stadt Wien gezeigt. Es sieht ganz so aus, als hätten Rechtsextreme nicht viel zu befürchten, wenn sie sich vor die Kamera eines kritischen Dokumentarfilm-Teams setzen.

Acud (auch OmenglU), b-ware! Ladenkino, Delphi Lux, Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Tilsiter

Jan-Philipp Kohlmann

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