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Der Pianist Martin Helmchen.

© Giorgia Bertazzi

Klavierabend mit Martin Helmchen: Rückwärts hören

Rund um Schumann: Der junge Pianist Martin Helmchen spielt im Kammermusiksaal alle acht Noveletten in der originalen Reihenfolge.

Robert Schumanns acht Noveletten werden nur von enzyklopädisch veranlagten Interpreten als Zyklus aufgeführt; eher kennt man Opus 21 als Materialsammlung, der Virtuosen wie Richter, Horowitz, Rubinstein oder Sokolov einzelne Nummern entnehmen. Tatsächlich können die nacheinander gespielten Stücke, die zusammen eine Dauer von nahezu 50 Minuten ergeben, ermüdend wirken, da zwischen ihnen wenig Querbezüge vorkommen und auch eine übergeordnete Dramaturgie kaum zu erkennen ist.

Der junge Pianist Martin Helmchen spielt nun im Kammermusiksaal alle acht Noveletten in der originalen Reihenfolge, platziert zwischen ihnen aber jeweils kurze Werke von Clara Schumann, Schönberg, Bach, Messiaen, Chopin und Liszt. Schon auf dieser gewissermaßen kuratorischen Ebene stellt der Abend eine Meisterleistung dar. Liszts rätselhafte „Nuage gris“ brechen mitten in der Bewegung ab, Schumanns folgende achte Novelette beginnt dann, als setze sie einen vorausgegangenen Gedanken fort. Die Dramaturgie der Programmfolge macht auf Details wie auf mit Vorhalten versehene Schlussakkorde aufmerksam oder illustriert die unterschiedliche Behandlung des Kontrapunkts in Barock und Romantik.

Helmchen vermittelt körperliche Dimension von Schumanns Musik

Manchmal scheint es Helmchen nicht um Ähnlichkeiten, sondern um Kontraste zu gehen: Schumanns Jagd durch die Tonarten und seiner leicht manischen Vorliebe für Wiederholungen antworten Schönbergs atonale Klavierstücke op. 19, in denen auf die Rekapitulation von Motiven vollständig verzichtet wird. Gleichzeitig wird jedoch hörbar, wie stark beide Komponisten von der Geste her denken: Die Musik endet nicht, weil das formale Schema es verlangt, sondern erst, wenn sich der Bewegungsimpuls erschöpft hat, wie in der fünften Novelette mit ihrem am Ende austrudelnden Bassmotiv. Dass Schumann, wie Adorno schrieb, in der Musik den Charakter des „Sich Erinnerns, nach rückwärts Schauens und Hörens“ entdeckt hat, verdeutlicht Helmchen durch seine Stückwahl: Die mittlere Episode der letzten Novelette „erinnert sich“ an jenes Notturno von Clara, das man zu Beginn des Abends hörte.

Helmchen bewältigt nicht nur die technischen Herausforderungen der zum Teil hoch virtuosen Kompositionen ohne Mühe (entfesselt und zugleich makellos spielt er Liszts Bagatelle ohne Tonart), er vermittelt auch die gedankliche und körperliche Dimension von Schumanns Musik auf unübertreffliche Weise. Momente des Einhaltens stehen mit Passagen des Vorwärtsdrängens in idealer Balance, immer wieder wird der Zuschauer Zeuge einer „allmählichen Verfertigung des musikalischen Gedankens beim Spielen“.

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