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Claudio Abbado mit der Sopranistin Christine Schäfer

© Lucerne Festival, Priska Ketterer

Klassik: Schlaflos in Luzern

Stardirigent Claudio Abbado und sein Festival am Vierwaldstätter See präsentieren Nachtmusiken

Es ist immer wieder faszinierend, mit welchem Forscherdrang der mittlerweile 78- jährige Claudio Abbado in altbekannten Werken neue Facetten entdeckt. Zum neunten Mal hat er nun am Vierwaldstättersee Spitzenmusiker aus ganz Europa zum Lucerne Festival Orchester zusammengeholt. Als erstes nehmen sie sich Brahms’ 1. Klavierkonzert vor, mit Radu Lupu, der als Solist für Hélène Grimaud eingesprungen ist. Abbado nimmt das Orchester so weit zurück, dass das leidenschaftlich Aufrührerische des monumentalen Maestoso einer träumerischen Abgeklärtheit weicht. Wobei der Funke erst im langsamen zweiten Satz überspringt, das Zusammenspiel zwischen Pianist und Orchester verdichtet sich zur Klangmagie, ein Zauber, der in Radu Lupus Zugabe – einem Brahms-Intermezzo – noch einmal auflebt.

Vollends in seinem Element ist das Orchester dann in Wagners „Lohengrin“-Vorspiel und im Adagio aus Mahlers unvollendeter Zehnter. Abbado lässt einen transparenten Klangfluss von unerhörter Intensität entstehen, der bei Mahler in auswegloser Stille verebbt.

An diesem Wochenende folgten zwei weitere Konzerte mit Mozart und Bruckners fünfter Sinfonie; die Sopranistin Christine Schäfer sang Konzertarien. Wie jedes Jahr stehen Abbado neben dem vorzüglichen Mahler Chamber Orchestra vertraute Solisten zur Seite, die Klarinettistin Sabine Meyer und ihr Bläserensemble, Wolfram Christ, ehemals Erster Solobratscher bei den Berliner Philharmonikern, oder Lucas Macías Navarro, Solooboist im Amsterdamer Concertgebouworkest. Alle Musiker fühlen sich als Mitglieder einer großen Orchesterfamilie, die sich jeden Sommer wiedertrifft. Nicht wenige verdanken ihre Karriere den prägenden Erfahrungen in Abbados Gustav Mahler Jugendorchester, das nun seinen 25. Geburtstag feiert.

Passend zum Festivalthema „Nacht“ widmete sich das Mahler Chamber Orchestra unter Vladimir Jurowski gleich zweimal Shakespeares „Sommernachtstraum“, mit Mendelssohns beschwingter Bühnenmusik und Henzes Sinfonia N.8. Bis zum 18. September werden weitere Orchester und Solisten in Luzern Station machen: das Chicago Symphony Orchestra mit Riccardo Muti, die Philharmoniker unter Simon Rattle, die Sächsische Staatskapelle mit Christian Thielemann, Maurizio Pollini sowie das Hagen Quartett als „artiste étoile“ 2011.

Nächtlichabgründiges ist nicht nur im Konzertsaal zu entdecken. Das Festival wagt grenzüberschreitende Experimente, mit der Installation „Insomnia“ der Performance-Künstlerin und Bratscherin Charlotte Hug oder mit einem Abend, an dem Bläser auf den Balkonen des am See gelegenen Luxushotels Montana musizieren – eben dort, wo der Architekt Jean Nouvel einst das Luzerner Konzerthaus entwarf. Überhaupt liegt dem Intendanten Michael Haefliger daran, die Stadt am Festival teilhaben zu lassen. Am ersten Wochenende illuminierte der Lichtdesigner David Hedinger eine Fassade des Theaters zu Klängen von Verdi und Beethoven. Das Eröffnungskonzert wurde live auf Großleinwand im InseliPark übertragen, Straßenmusiker treten auf Plätzen und in Schulen auf. Das Education-Programm kümmert sich um das Publikum von morgen, und Pierre Boulez, mittlerweile 86, leitet nach wie vor die Festivalakademie, die den künstlerischen Nachwuchs an Neue Musik heranführt.

Zum internationalen Publikum gehören neben den Abbado-Anhängern aus Italien auch etliche Festivalunterstützer aus Japan. Aus Solidarität mit den Erdbebenopfern initiierten das Festival und die Konzertagentur Kajimoto ein Projekt für eine aufblasbare, mobile Konzerthalle, die bis zu 700 Zuschauer fassen kann. Die vom japanischen Stararchitekten Arata Isozaki entworfene Konstruktion soll mit Spenden finanziert werden.

Im Oktober geht das Festivalorchester wieder auf Tournee, nach Baden-Baden, Paris und in die Londoner Royal Festival Hall im Southbank Center. Dort tritt die Pianistin Mitsuko Uchida erstmals gemeinsam mit Abbado auf, mit Schumanns a-Moll-Klavierkonzert. Mit seinem Orchestra Mozart, aus dem einige Mitglieder auch im Lucerne Festival Orchestra spielen, beschreitet der Dirigent ebenfalls neue Wege. Nach zwei Konzerten im Wiener Musikverein gibt das Ensemble seine Deutschlandpremiere und eröffnet am 19. Oktober in der Alten Oper Frankfurt die Kulturtage der Europäischen Zentralbank. Corina Kolbe

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