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Widrigkeiten im Lockdown. Das Delian Quartett hofft seit November 2020 auf eine Reimann-Uraufführung.

© Conrad Schmitz

Klassik im Lockdown: Streicher gestrichen

Uraufführung wie und wann? Das Delian Quartett auf dem langen Weg zurück ins Konzertleben.

Abgesagt, verschoben, ersatzlos gestrichen – das ist zurzeit das Schicksal der Livemusik. Streaming ist nicht jedermanns Sache, und der Hunger nach unmittelbaren Begegnungen wächst. Die Premiere des neuesten Werkes von Aribert Reimann muss selbstverständlich live sein. Viel zu sensibel ist die Klangwelt seines Arrangements von Robert Schumanns Liederzyklus „Frauenliebe und Leben“ für Sopran und Streichquartett, um in allen Feinheiten via Bildschirm wahrnehmbar zu sein.

Um diese Uraufführung aber ist ein regelrechter Kampf entbrannt, symptomatisch für die Widrigkeiten, mit denen sich Künstler im Shutdown herumschlagen müssen. „Bereits im Januar 2019 bekamen wir das Manuskript und planten die Uraufführung im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie für den 16. November 2020“, erzählt Andreas Moscho, zweiter Geiger des Delian Quartetts, das zusammen mit der Sopranistin Claudia Barainsky als Widmungsträger diese Uraufführung vorbereitet. „Dann aber war im März 2020 alles dicht, und wir konnten mit den Proben nicht beginnen.“ Das war erst im Sommer möglich. Entsprechend immer neuen Corona-Maßnahmen wurde das Berliner Konzert erst auf den 21. Dezember, dann auf den 11. Februar verschoben. Schließlich bot sich der 12. Mai für die Uraufführung an.

Ein neues Werk bei Aribert Reimann, zu zart für den Stream

Tags darauf sollte eine weitere Aufführung in Essen stattfinden. Doch auf das Datum wurde dort der Ersatztermin für das Konzert einer bekannten Sängerin verlegt, deren Auftritt im Winter verschoben werden musste.

Das Delian Quartett hat Verständnis für die Nöte und Dispositionsprobleme der Veranstalter in der Pandemie. Und es hat sich bisher mit Glück, Zuversicht und Kreativität durch die Coronakrise gekämpft. Zum Problem wurde plötzlich, dass zwei Quartettmitglieder in Italien leben und normalerweise zum gemeinsamen Proben nach Deutschland kommen. Mehrfach fuhr man nachts mit dem Auto zwischen den Ländern hin und her, anfangs auch aus Furcht vor plötzlichen Grenzschließungen. Die Probenstätte bei Freunden in Münster musste aufgegeben werden.

Heute bietet die Landesmusikakademie Heek in Nordrhein-Westfalen Asyl. Auch sonst lief es noch ganz glücklich für die Vier: „Wir konnten im August und September häufig auftreten; von diesem Polster zehren wir noch. Und die Veranstalter haben uns die Stange gehalten.“ Dafür spielten die Musiker kurze Formate, häufig zweimal, ohne zusätzliches Honorar. „Gerade für kleine Veranstalter mit interessanten Ideen war das die einzige Möglichkeit, in der Pandemie zu überleben.“

Das Publikum hilft großzügig, auch mit Geldspenden

Wichtiger als jede pekuniäre Vergütung ist die Möglichkeit, überhaupt weiterarbeiten zu können, auch wenn das Wegfallen konkreter Ziele die Motivation arg strapaziert. „Die Ungewissheit ist das Schlimmste in dieser Situation“, sagt Andreas Moscho. „Aber mit Optimismus und Zugewandtheit werden wir es schaffen.“ Sie gilt vor allem den Zuhörern, die im Sommer immer wieder ausgedrückt haben, wie wichtig ihnen die gemeinsamen Musikerlebnisse sind – Identitätsfindung, Auseinandersetzung, einfach Lebenselixier.

Deshalb möchte das Quartett sein Publikum zur Reimann-Uraufführung einladen, ihm dieses Konzert, das die „Frauenliebe“ mit Werken von William Byrd und Henry Purcell als „helle und dunkle Seite der Liebe“ flankiert, zum Geschenk machen. Statt Tickets zu kaufen muss man sich dafür nur auf der Website des Quartetts eintragen, wodurch auch Kontakte nachverfolgt werden können. Es gibt bereits zahlreiche Anmeldungen. Moscho zeigt sich überwältigt, wie viel Hilfe dem Quartett spontan angeboten wurde, sogar durch großzügige Geldzuwendungen zur Finanzierung des Berliner Konzerts.

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Der Geiger gerät ins Schwärmen, wenn er über Reimanns Schumann-Bearbeitung spricht. „Durch seinen subtilen Streichersatz gewinnt er dem Klavierpart ganz neue Farben ab und beleuchtet auch bestimmte Aspekte der Textausdeutung noch einmal neu. Er ist wirklich auf die Persönlichkeiten der einzelnen Instrumente eingegangen und bringt sie mit für sie spezifischen Themen in einen Dialog. Das entspricht auch unserer Philosophie: Alle vier Spieler sind gleichberechtigt und lösen sich trotzdem in einer Art höheren Einheit auf.“

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