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Schweizer Idylle. Das Davos Festival bietet nicht nur schöne Klänge.

© imago images/Westend61

Klassik am Zauberberg: So feiert das Musikfestival Davos die Gleichberechtigung

Beim Davos Festival in der Schweiz trifft klassische Musik auf besondere Landschaften. Dieses Jahr steht es unter dem Motto „Aequalis“. Ein Besuch.

Masken können getragen werden, seien aber nicht verpflichtend, weist Daniel Pérez Neulinge kurz ein. Dann geht es schon los mit Lockerungsübungen. Das „offene Singen“ steht in langer Tradition beim Musikfestival Davos und erfreut sich auch in Corona-Zeiten regen Zulaufs. Scharenweise finden sich in der kleinen Pauluskirche Singfreudige ein, die sich gern mit Liedern über Freundschaft und Liebe psychisch aufbauen lassen. Kaum einer trägt die Maske.

Hier wie auch bei sämtlichen Konzerten ist jeder ohne einen Impf-, Test- oder Genesenen-Nachweis willkommen, ohne den hierzulande in der Kultur nichts mehr geht. Das passt zu einem Festival, das mit seinem Motto „Aequalis“ die Gleichberechtigung feiert, die sich an diesem Ort politisch erst spät durchsetzte: Als eines der letzten europäischen Länder führte die Schweiz vor 50 Jahren das Frauenwahlrecht ein.

Allen voran das Luzerner Frauenquartett Famm bezog sich bei seinem Auftritt auf dieses Jubiläum, flossen doch zwischen die stimmungsvollen Volkslied-Bearbeitungen der Interpretinnen so manche Zitate von Frauenrechtlerinnen ein.

Wo es um Emanzipation geht, stehen freilich Komponistinnen im Fokus, einstudiert von jungen Talenten, denen das Festival traditionell eine Plattform bietet. Viele haben renommierte Wettbewerbe gewonnen, der Cellist Friedrich Thiele, der sich in mehreren Konzerten als vielseitiger Virtuose empfahl, hat gerade seine Soloposition in der Sächsischen Staatskapelle Dresden eingenommen.

Unter den besonderen Orten, die das Profil des Davoser Festivals prägen, erfreut sich Berghotel Schatzalp größter Beliebtheit, das mit der Entstehungsgeschichte von Thomas Manns Bildungsroman „Der Zauberberg“ assoziiert wird, auch wenn die eigentliche Quelle der Inspiration das etwas tiefer gelegene Waldhotel war, in dem sich Manns Frau Katia 1912 von einer Lungenkrankheit kurierte.

Das Festival würdigt das Werk von französischen Komponistinnen

Und weil französische Komponistinnen im 19. Jahrhundert ungleich bessere Arbeitsbedingungen als ihre Kolleginnen in Deutschland hatten, kommen sie verstärkt zu Ehren. Ganz offiziell durften sie am Pariser Konservatorium studieren, Konzertsäle und Opernbühnen standen ihnen offen, Kritiker waren sich nicht zu fein, sich mit ihren Werken zu beschäftigen. Die Gründe dafür waren wohl schwer definierbare nationaltypische Eigenschaften politischer Art, haben doch die in kurzen Abständen aufeinanderfolgenden Revolutionen 1789, 1830 und 1848 die Ideale der Gleichberechtigung in Frankreich lebendig gehalten.

Louise Farrenc (1804-1875), die bei Anton Reicha und Johann Nepomuk Hummel studierte, als eine der ersten Frauen drei Sinfonien schrieb und 1842 eine Professur am Pariser Konservatorium als Klavierpädagogin antrat, gilt zu Recht als eine der bedeutendsten Vertreterinnen. In Davos war ein Satz aus ihrem Nonett zu erleben, an dessen Uraufführung der Geiger Joseph Joachim mitwirkte. Mit seiner Eleganz und vielen reizvollen, kontrastreichen Motiven erinnerte diese, schon majestätisch eingeleitete Musik, an Schuberts Oktett. Allzu gerne hätte man davon noch mehr gehört, aber dazu reichte die Probenzeit vermutlich nicht aus, formieren sich doch die Musiker:innen nach den Vorgaben des Festivalleiters Marco Amherd traditionell erst vor Ort zu Ensembles.

Germaine Tailleferre (1892- 1983), die sich wie ihr enger Freund Darius Milaud dem neoklassizistischen Stil verschrieb und ihres Mannes wegen, der als Sozialist bei den Nationalsozialisten schwer gelitten war, 1942 nach Amerika emigrierte, kam als einzigem weiblichen Mitglied der legendären „Groupe des Six“ auf andere Weise eine Sonderstellung zu. In den Texten ihrer sechs französischen Lieder klingen jedenfalls reiflich modern anmutende emanzipatorische Gedanken an: Enttäuscht von einem „bösen Ehemann“, heißt es im dritten Lied, „werde ich es nur umso schlimmer treiben mit meinem Liebsten“. Und entsprechend keck und frech interpretiert es Jenny Högström mit ihrem schlank geführten, schönen Sopran.

Auch die Männer bleiben nicht außen vor

Die ausgeprägte Lust am Kreativen, die dem Festival sein besonderes Profil gibt, wurde speziell in diesem Konzert mit dem programmatischen Titel „Frauen am Herd“ sichtbar, weckten doch in den kurzen Umbaupausen kurze historische Werbevideos für Produkte von Dr. Oetker und Frauengold mit einem mittlerweile längst veralteten Frauenbild allemal erheiternde Erinnerungen an die 1970er Jahre.

In einer neu konzipierten Reihe von Mittagskonzerten kam schließlich auch die zeitgenössische Musik zu ihrem Recht. Eine Cello-Solosuite der russisch-österreichischen Komponisten Lera Auberbach, die Anleihen an die jüdisch-orthodoxe Musik hören lässt, aber auch markante Rhythmen und Doppelgriffe, wie man sie aus Bachs Solosuiten kennt, zählte zu den besonderen Entdeckungen.

Wo es um Gleichberechtigung geht, blieben die Männer freilich nicht draußen. Schließlich wurden auch viele von ihnen zu Unrecht vergessen. So ließ sich an einem Abend mit dem Opalia Klavierquintett überraschend entdecken, dass Ernst von Dohnányi ebenso mitreißende, leidenschaftliche Kammermusik schrieb wie Johannes Brahms.

Kirsten Liese

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