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Kirill Petrenko und sein Orchester am 29. Oktober in der Philharmonie.

© Friederike van der Straeten

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker: Wird alles gut?

Die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko spielen ihr letztes Programm vor dem erneuten Lockdown mit Werken von Strauss, Schostakowitsch und Norman.

1944 hat Richard Strauss seine „Metamorphosen“ begonnen, nachdem die Nationalsozialisten das deutsche Kulturleben lahmgelegt hatten, um ihren wahnsinnigen, „totalen Krieg“ führen zu können. Für den 80-jährigen Komponisten war dieser militärisch begründete Lockdown ein Schock, den er mit einem Werk für 23 Solostreicher zu verarbeiten versuchte. Es wurde eine Trauerrede ohne Worte, sein persönliches Lamento über den Untergang der Kulturnation – und zugleich eine spätestromantische Schwelgerei, eine allerletzte Feier der traditionellen, auf Harmonie ausgerichteten Tonsprache des Abendlandes.

Kirill Petrenko stellt die „Metamorphosen“ in den Mittelpunkt seines letzten Programms mit den Berliner Philharmonikern vor der erneuten Schließung der Konzertsäle. Doch er will nicht in die Klage des Komponisten einstimmen, er verzichtet in seiner Interpretation bewusst auf jedes Pathos, hält sich fern von Sentimentalität oder Larmoyanz. Autonome Musik ohne Botschaft dirigiert er, die frei fließt, bei der sich das Rankenwerk der verschlungenen Stimmen ganz organisch entwickelt.

Petrenko überrascht mit Schostakowitsch

Selbst in den verzweifeltesten Passagen glimmt hier immer noch ein inneres Feuer, erzählt die Musik von Lebenswillen und Widerstand. Beseelt spielten die Philharmoniker in der kleinen Besetzung, die Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabässe singen, verschmelzen zur Gemeinschaft, die sich nicht unterkriegen lässt. Und damit an den berühmten Vers aus der „Patmos“-Hymne von Friedrich Hölderlin erinnert, dessen 250. Geburtstag die Kulturwelt 2020 ja ebenso feiert wie den von Beethoven: „Aber wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

Ebenfalls überraschend ist Kirill Petrenkos Sicht auf Dmitri Schostakowitschs 9. Sinfonie von 1945. Weil er dieses dezidiert dissidentisch gemeinte Werk unpolitisch betrachtet. Heiterkeit dominiert beim Philharmoniker-Chefdirigenten, die freche Manegen-Musik des Eröffnungssatzes, mit der Schostakowitsch die russische Führung vor den Kopf stieß, die zur Feier des Siegs über Nazi-Deutschland Staatstragendes erwartet hatte, gehört hier eher zu einem Flohzirkus.

Sanfte Melancholie atmet der langsam Satz, das folgenden Presto nimmt Petrenko so wirbelwindig schnell, dass es zum brillanten Soundtrack einer Verfolgungsjagd wird. Das Largo bringt einen Moment des Innehaltens, wenn das Solofagott kurz und schmerzlich die Toten beweint, dann aber folgt nahtlos das Finale, leichtfüßig und tänzerisch, ja geradezu jovial marschierend, als wären wir beim Wiener Neujahrskonzert.

Hier wird Licht zu Musik

Am Anfang hatte ein Gruß aus den USA gestanden, wohin die Philharmoniker im November eigentlich zu einer großen Tournee aufbrechen wollten. Ein neues Werk von Andrew Norman sollte dabei im Reisegepäck sein, die Umarbeitung eines Streichtriosatzes von 2006 blieb als Notlösung übrig: Klangmalerisch beschreibt der 1979 geborene Amerikaner darin, wie er bei einer Frühmesse in der römischen Kirche Santa Sabina das Spiel des Sonnenlichts auf dem Marmorboden beobachtete. Leicht zugängliche zeitgenössische Musik ist das, bei der am Ende sogar noch ein kitschiger Choral aufscheint. Alles, scheint dieser Abend in der Philharmonie wider besseres Wissen zu sagen, wird gut.

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