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Eine Sünde namens Gier. Arkadiusz Jakubik als geschäftstüchtiger Priester.

© REUTERS

Kinofilm "Kler": Der Exorzist und das Weihwasser

Wie Wojciech Smarzowskis kirchenkritischer Film „Kler“ in Polen Furore macht.

Im einzigen Multiplex meiner polnischen Heimatstadt Legnica läuft der Film „Kler“ (Klerus) von Wojciech Smarzowski zweimal pro Tag, vor vollem Haus. Seit dem Kinostart Ende September haben über drei Millionen Polen ihn gesehen. Die PiS-nahen Medien reagierten hysterisch, „Gazeta Polska“ nannte ihn einen „Aufruf zur Rebellion gegen Priester“, entstanden „in den Köpfen der Feinde Polens“. Das rechtsnationale Portal Wpolityce.pl witterte gar einen „Angriff auf Priester, der an die Propaganda der Nazis gegen die Juden erinnert“.

Im Kinosaal ist es still. Schon nach den ersten Szenen wird klar, dass alle jene nicht bedient werden, die sich gern daran ergötzen würden, wie in plumper Manier über „Schwarzkutten“ hergezogen wird. Smarzowskis Film ist weder ein grobschlächtiges antiklerikales Pamphlet noch eine Groteske – auch wenn er groteske Elemente enthält. Kein Wunder in einem Land, in dem die Verstrickungen von Kirche, Politik und Kapital absurde Ausmaße angenommen haben. Fast jeder Supermarkt, jede zweite Tiefgarage wird hier mit einem Gottesdienst eingeweiht.

Drei Priester, gefangen in der Maschinerie Kirche

„Kler“ erzählt von drei Priesterschicksalen in Polen. Ein cleverer Kurienmitarbeiter in einer Großstadt macht Karriere und träumt vom Vatikan. Ein Priester in einer mittelgroßen Stadt wird der Pädophilie beschuldigt. Der Pfarrer einer kleinen Dorfgemeinde leidet unter Einsamkeit und Alkoholproblemen und verliebt sich in eine Frau. Alle drei sind gefangen in der Maschinerie einer mächtigen Institution, die derart auf die Konservierung der bestehenden Ordnung bedacht ist, dass sie nicht davor zurückschreckt, individuelle Lebensläufe zu ruinieren.

Die Vergehen kirchlicher Funktionäre sind kein Geheimnis in Polen: Smarzowski zeigt nichts, was die Zuschauer nicht längst wüssten. Wobei in den Augen der Öffentlichkeit nicht jede Sünde gleich schwer ins Gewicht fällt. Während das Nichteinhalten des Zölibats von großen Teilen der Gesellschaft schulterzuckend geduldet wird, nehmen die meisten Katholiken die Sünde der Gier nur zähneknirschend hin.

In Polen gibt es keine Kirchensteuer. Die Kirche lebt von Spenden – die längst keine mehr sind. Praktizierende Katholiken tauschen sich in Internetforen über die Summen für eine Beerdigung oder die Erstkommunion aus. Zwar gibt es keine offizielle Preisliste, aber für eine Trauung zahlt man zwischen 500 und 2000 Zloty (116 bis 466 Euro), bei einem monatlichen Durchschnittsgehalt von rund 1000 Euro. Das undurchsichtige Spendensystem kommt der Kirche offenbar gut zupass, jedenfalls scheut sie die Diskussion über die Einführung von Kirchensteuern wie der Teufel das Weihwasser.

Die katholische Kirche bekommt in Polen immer mehr Einfluss

Die katholische Kirche vereinnahmt immer mehr Lebensbereiche, was ihr nicht zuletzt die symbiotische Beziehung zur regierenden PiS möglich macht. So wird sie zur Kirche im XXL-Format, mit immer größeren Kruzifixen, immer üppigeren Heiligenfiguren, immer pompöseren Auftritten, immer mehr Geld und mehr Einfluss. Sogar die Zahl der Exorzisten ist rapide gestiegen. In Europa kann in dieser Hinsicht nur Italien mit Polen konkurrieren. Um den Dämon des Missbrauchs zu exorzieren, der die Kirche von innen zersetzt, braucht man aber einen Teufelsaustreiber, der außerhalb der kirchlichen Ordnung agiert. Einen, der den Dämon zunächst beim Namen nennt, bevor man ihn loszuwerden versucht. Einen wie Wojciech Smarzowski. Der Regisseur hat den Mut, das Tabuthema auf der Leinwand zu zeigen.

Offizielle Statistiken über Kindesmissbrauch unter dem Dach der Kirche gibt es in Polen nicht, weder vom Justizministerium noch von den Katholiken selbst. Fälle werden vertuscht, Täter einfach in andere Gemeinden versetzt. Smarzowski macht klar, dass der Dämon weiter toben wird, solange das Problem unter dem Teppich bleibt. In den Ländern, in denen inzwischen offen berichtet wird und Täter zur Verantwortung gezogen werden, waren ebenfalls außerkirchliche Exorzisten vonnöten: Bürgerinitiativen, Kriminologen, Juristen, Psychologen, Betroffene. Und Papst Franziskus legt zwar wortgewaltige Demut an den Tag, zieht aber kaum personelle Konsequenzen.

Gutes tun geht nicht in den Strukturen dieser Institution

Eine Szene aus „Kler“ ist besonders eindrücklich. Das Pressebüro der Kurie arbeitet die ganze Nacht auf Hochtouren, um einen neuen Skandal zu vertuschen: Es wird telefoniert, erpresst und bestochen. Als am nächsten Tag die Zeitungen kommen, wird fiebrig geblättert. Halleluja! Nichts wird über Fall berichtet, man atmet auf, jubelt – und keine Spur von Verlegenheit. Schließlich geht es um die Selbsterhaltung, ums große Ganze.

Die institutionelle Kirche in Polen bietet den Gläubigen schon lange keine Zuflucht mehr. Sie funktioniert vielmehr wie ein Unternehmen mit Corporate Identity und gut geölter Marketingabteilung. Wer Gutes tun will, muss sich aus ihren Strukturen befreien, so das Fazit des Films.

Vor dem Kinobesuch wollte ich die Tickets online reservieren, doch das war nicht möglich. Die Kassenmitarbeiterin entschuldigt sich am Telefon: Die Kinoleitung sah sich gezwungen, die Online-Reservierung für „Kler“ zu deaktivieren, denn jemand reservierte wiederholt alle Tickets, holte diese aber nicht ab. Einige Vorstellungen sind deshalb ausgefallen. Ein Sabotageversuch. Von wem, das wissen sie im Kino nicht.

„Kler“ ist am Sonntag, den 21. 10., auch in Berlin zu sehen, im Cinemaxx Potsdamer Platz. 13 Uhr, 16.50 Uhr, 17 Uhr, 17.30 Uhr und 19 Uhr. OmenglU

Karolina Kuszyk

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