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Billy-Wilder-Retrospektive: Du sollst nicht langweilen!

Berliner Filmfestspiele der besonderen Art: Ab Freitag zeigt das Babylon Mitte eine komplette Retrospektive von Hollywoods Regielegende Billy Wilder.

Die witzigste Genderdebatte. Der schwärzeste Film Noir. Der melancholischste Hollywood-Abgesang. Das fragilste Happy End. Die düsterste Säufergeschichte. Die zynischste Pressestory. Die komischste Entlarvung des Kalten Kriegs. Man muss nicht lange überlegen, welche Filme gemeint sind: „Manche mögen’s heiß“, „Frau ohne Gewissen“, „Sunset Boulevard“, „Liebe am Nachmittag“, „Das verlorene Wochenende“, „Reporter des Satans“, „Eins, zwei, drei“. Und die Superlative lassen sich getrost auf die gesamte Filmgeschichte beziehen, ist der Mann, der sechs Oscars holte und 22 Nominierungen, doch selber Filmgeschichte: Billy Wilder, Reporter, Ideenlieferant und Geschichtenerzähler, Regisseur und Produzent, Profi mit preußischer Disziplin und Clown mit wienerischem Charme.

Geboren 1906 im österreichischen Galizien, aufgewachsen in Wien, ist Billy Wilder ein Jahrhundert-Filmemacher. Mit 20 war er Lokalreporter in Berlin, drei Jahre später wurde sein erstes Drehbuch verfilmt: „Der Teufelsreporter“, eine Kolportagegeschichte mit sensationell artistischem Showdown. Nachdem er über Avus und Havel gerast ist, schießt der Held die Entführer amerikanischer Millionärstöchter nieder und telefoniert mit der freien Hand seinen Bericht an die Redaktion durch. Das nächste Werk, „Menschen am Sonntag“, wird ein Klassiker der Stummfilmzeit, bei dem Wilder auf Robert und Kurt Siodmak trifft, auf Edgar G. Ulmer, Eugen Schüfftan und Fred Zinnemann. Sie alle werden sich in Hollywood wiedersehen. In manchen Szenen ist Wilders Esprit bereits deutlich zu spüren – etwa in dem satirischen Seitenhieb auf das kleinbürgerliche Paar, das sich nichts mehr zu sagen hat und missmutig die Fotos der Lieblingsstars des Partners zerreißt. Oder im Blick auf den Vorplatz des Bahnhof Zoo, auf dem ein junger Mann ein junges Mädchen umgarnt, bis sie schließlich gemeinsam weggehen.

Nun veranstaltet das Babylon in Berlin-Mitte ein Festival der besonderen Art: Ab Freitag zeigt das Kino eine vollständige Billy-Wilder-Retrospektive, bis 6. Februar – schon jetzt ein Glanzstück auf den Eventlisten für 2011! Wilders Meisterwerke möchte man sowieso immer wieder sehen, aber dann merkt man, dass die anderen ihnen kaum nachstehen.Zum Beispiel das gute Dutzend Filme, mit denen er in seinen Anfängen in nur vier Jahren das Publikum amüsierte. Wer sie heute sieht, hat das atemberaubende Vergnügen, mit dem ersten Aufblitzen von Motiven der Entstehung eines ganzen Filmuniversums beizuwohnen.

"Monroe ist wie der 2. Weltkrieg: die Hölle. Aber es hat sich gelohnt"

Tatsächlich ist jeder Film des Regisseurs im Babylon dabei. Was vom Autor Wilder fehlt, kann getrost in dessen Kategorie „Mein Name erscheint nicht mal in den Credits, Gott sei Dank!“ eingeordnet werden. Zwei echte Entdeckungen gibt es auch. Die eine nannte er einen „ernsten Film, eine Art von Cinéma Vérité, über Jugendliche, die Autos stehlen“: seine erste Regiearbeit, „Böse Brut“, gedreht in Co-Regie mit Alexander Esway nach seiner Flucht vor den Nazis 1934 in Frankreich. Und 1945 stellt er im Auftrag der amerikanischen Militärregierung aus ungeschnittenem Rohmaterial die KZ-Dokumentation „Die Todesmühlen“ fertig.

So detailversessen, wie Wilder schreibt, ist schnell klar, dass er auch selbst Regie führen will. Den Anstoß liefert das Drehbuch zu „Das goldene Tor“ (1941) mit Charles Boyer und Olivia de Havilland. Für den renitenten Boyer hat er eine subtile Strafe parat. Boyer, der in einem Hotel in Tijuana auf die Einreiseerlaubnis wartet, soll eine Kakerlake mit einem Spazierstock piesacken und sagen: „Moment mal, wo wollen Sie hin? Haben Sie ein Visum?“ Weil er sich weigert, den Satz zu sagen und die Szene gestrichen werden muss, denken sich Wilder und Co-Autor Charles Brackett für die letzten 20 Filmminuten etwas Besonderes aus. „Wir gaben ihm das Minimum an Text. Wir gaben alles Olivia de Havilland, aus reiner Wut.“

Von 1938 bis 1950 schreibt Wilder mit Brackett 14 Filme. Zwischen 1957 und 1981 ist I. A. L. Diamond sein Co-Autor bei zwölf Produktionen. Schon früh deutet sich an, was Kritiker Wilder später abzusprechen versuchen: eine eigene Handschrift. Dabei befolgt er stets seine „Zehn Gebote des Filmemachens“. Die ersten neun lauten: Du sollst nicht langweilen. Das zehnte: Du musst den Endschnitt haben. Es geht nicht um Visionen, es geht um die Figuren, wie sie reden und sich bewegen. Daraus ergeben sich Lichtregie und Kameraposition; man braucht keine wilden Fahrten oder hektische Schnitte, keine Froschperspektive oder Blicke vom Kronleuchter. Nur die richtigen Worte und die richtige Miene.

So fragt der „Reporter des Satans“ die Frau des im Bergwerk Verschütteten: „Es ist Sonntag, gehen Sie nicht in die Kirche?“ Und sie verneint: „Das Knien beult meine Nylons aus.“ Oder James Cagney, wie er in „Eins, zwei, drei“ herausbellt: „Utopie, das ist eine Welt mit der Venus von Milo, William Shakespeare und Briefmarken mit Pfefferminzgeschmack.“ Oder die zwielichtige Lady in „Eine auswärtige Affäre“, die im zerbombten Berlin die amerikanische Provinzmaus taxiert: „Sie haben ein tolles Kleid an, aber tragen sie es nicht verkehrt herum?“

Lubitsch entlarvte den schönen Schein, Wilder die raue Realität

Eine gute Tat bleibt nicht ungestraft. Auch das eine Maxime in Wilders Welt – und kein Grund, sich entmutigen zu lassen. Seine Helden schwanken zwischen Anpassung und Auflehnung, sie verheddern sich im Streben nach Glück, Geld, Macht oder Frauen und kämpfen sich durch. Sie rebellieren nicht groß, sondern fummeln an ihrer Identität herum, mit Lügen, Betrügen, Maskeraden: Männer werden zu Frauen („Manche mögen’s heiß“), eine Frau wird zum Mädchen mit Lolita-Effekt („Der Major und das Mädchen“), die Prostituierte „Irma la Douce“ wird zur Geschichtenerzählerin und der Polizist zu ihrem Zuhälter. Wilders Blick auf seine Figuren changiert zwischen Sarkasmus und Sentiment, so schafft er unvergessliche Bilder, Situationen, Pointen.

Zu Wilders Erfindungen gehören die monströseste Rückblende mit der Leiche im Swimmingpool, die die Geschichte von „Sunset Boulevard“ erzählt; die eisigste Mörderin, die „Frau ohne Gewissen“, auf deren Gesicht allein sich die Tat widerspiegelt; und natürlich die Ikone Marilyn Monroe über dem luftigen U-Bahnschacht. Mit Jack Lemmon und Walter Matthau schuf er ein Paar von Laurel & Hardy-Format. Und erst seine weiblichen Stars: Barbara Stanwyck, Marlene Dietrich, Gloria Swanson, Audrey Hepburn, Shirley MacLaine, Lilo Pulver, Kim Novak, Hildegard Knef. Jede dieser Karrieren bekam durch ihn einen Kick. Und über die größte von allen, die sich mal vier Stunden verspätete, mal zwei Tage, weil sie sich im Studio verlief, sagte er: „Es gibt über Marilyn Monroe mehr Bücher als über den Zweiten Weltkrieg. Darin besteht eine gewisse Ähnlichkeit. Es war die Hölle, aber es hat sich gelohnt.“

Frauenverbände und katholische Moralwächter haben Wilder Geschmacklosigkeit vorgeworfen. So beginnt „Sabrina“ mit einem märchenhaften „Es war einmal“, handelt dann aber von handfesten merkantilen Interessen. Liebe und Geldheirat: Da manipuliert der Bruder den Bruder so, dass der sich auf Sektgläser und damit außer Gefecht setzt für sein Rendezvous mit der Chauffeurstochter. Bogey bastelt eine Plastikhängematte mit einem Loch in der Mitte; da passt der mit 23 Stichen genähte Hintern von William Holden gut hinein. Dann rutscht er aber doch durch, plumpst auf den Boden und der Bruder verabschiedet sich grinsend: „Auf Wiedersehen, Narbengesicht“.

Geschmacklos? Die Wahrheit ist, dass Billy Wilder anders als sein Vorbild Lubitsch nicht elegant den schönen Schein entlarvt, sondern mit groben Gags auf die grobe Realität reagiert. Wenn auch noch die verspielte Lust auf ein anderes Ich die Regie übernimmt, ändert das die Welt womöglich mehr als jede Revolution.

Am Freitag, 14.1, laufen „Seitensprünge“ (17.30 Uhr, Regie: Stefan Székely) und „Eins,  Zwei, Drei“ (20 Uhr). Das komplette Programm der Retro bis 6. Februar unter www.babylonberlin.de.

Helmut Merker

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