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© Keystone/Laif

A Single Man: Christopher Isherwood: Der lange Atem

Christopher Isherwoods frühe Berlin-Romane machten ihn berühmt, in seiner neuen Heimat USA gelang ihm wenig. Dann erschien 1964 „A Single Man“, der nun als Film ins Kino kommt.

Ein schöner Anblick kann es nicht gewesen sein. Am 17. Mai 1939 notiert der Schriftsteller Christopher Isherwood in sein Tagebuch: „Gegen Abend erreichten wir Downtown Los Angeles – die vielleicht hässlichste Stadt der Welt.“ Mit dem Bus kommt der Brite an, ein 34-jähriger Nomade, der die letzten Jahre in Deutschland, Portugal, China verbracht hatte, bevor er am 19. Januar London erneut verließ , diesmal in Richtung Amerika. Er steigt als Überlandreisender aus einem der „stromlinienförmigen Geschosse vom Mars“, wie Isherwood die Greyhound-Busse beschreibt. Vorangegangen sind elf Tage quer durchs Land, von der Ost- zur Westküste, mit Stopps in Washington („für die Größe des Landes absurd klein“), New Orleans („gibt nicht viel über die Stadt zu sagen... will wie Marseille sein“) und Texas („öde und flach“).

Man muss schon ein Prophet sein, um aus diesen Worten herauszuhören, dass Isherwood sein Ziel gefunden hat und in den USA bleiben wird, beinahe 50 Jahre lang, den weitaus größten Teil seines Lebens – ausgerechnet in Kalifornien, das er als „tragisches Land, wie Palästina, wie jedes gelobte Land“ bezeichnet. In Los Angeles verfolgt er den Weltkrieg in Europa, leidet unter der größten Schaffens- und Sinnkrise, stürzt sich in Abenteuer mit viel zu jungen Männern, aber auch in die wichtigste Liebesgeschichte seines Lebens.

Von hier aus erlebt er die Umwandlung seiner „Berlin Stories“. Die Romane aus dem Berlin der frühen 30er Jahre zementierten in England seinen Ruf als literarisches Wunderkind. Aus ihnen wird erst ein Theaterstück, dann ein Musical, schließlich der mit acht Oscars gekrönte Film „Cabaret“. Aber Isherwood wird lange warten müssen, bis er in den USA einen späten literarischen Triumph erlebt, der an den Erfolg der Berlin-Romane anknüpft. Als dieser dann endlich kommt, hätte ihm den wohl keiner mehr zugetraut.

1964 veröffentlicht er den Roman „A Single Man“ (auf Deutsch: „Der Einzelgänger“) – die Geschichte eines britischen Professors an einer kalifornischen Universität, in nüchternem Ton verfasst, mit einer schwulen Hauptfigur, die unter einer Midlife-Crisis leidet. Die renommierte Zeitschrift „The Atlantic“ geißelt deshalb den Protagonisten als „Gefangenen seines perversen physischen Appetits“. Der bekannte Schriftsteller Graham Greene hingegen schreibt begeistert, das sei der wohl beste Roman von Isherwood. Aber wie bei den Berlin Stories dauert es lange, bis daraus ein Film wird: Erst in dieser Woche kommt „A Single Man“ in die deutschen Kinos, die Verfilmung von Tom Ford. Der Modedesigner und Regie-Debütant engagierte Colin Firth und Julianne Moore für die Hauptrollen, auf dem Filmfestival in Venedig gewann Firth den Preis für den besten Hauptdarsteller, außerdem erhielt er eine Golden-Globe- und Oscar-Nominierung.

Als Isherwood mit dem „Einzelgänger“ ein Erfolg gelingt, endet damit die vielleicht längste Schreibblockade der Literaturgeschichte – oder das langsame Ankommen eines Widerspenstigen. Isherwood büßt nämlich seit seiner Ankunft in den USA, im Winter 1939, an Produktivität ein. Davor galt er als Darling der Londoner Gesellschaft, als eine Art früher Pop-Literat. In mehr als zehn Jahren schrieb er fünf semi-autobiografische Romane und mit W. H. Auden drei Theaterstücke. In New York glaubt er plötzlich, sein Talent als Schriftsteller aufgebraucht zu haben, in Los Angeles wächst sein Unsicherheitsgefühl. Wie furchtbar er diese Zeit empfand, schreibt er in sein Tagebuch. Tatsächlich veröffentlicht er in den USA vor „A Single Man“ nur einen einzigen Roman: „Praterveilchen“ im Jahre 1945.

Die ersten Jahre in den USA, sie sind Zeiten der Reflektion. Isherwood sucht Halt, seit er nach Amerika emigriert ist. In England will er nicht mehr leben, die puritanische Gesellschaft grenzt ihn ein, während der tagelangen Überfahrt entscheidet er sich, Pazifist zu werden, ausgerechnet kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Im Sommer 1939 kommt er dank Gerald Heard, einem befreundeten Autoren, in Kontakt mit dem Hinduismus. Er trifft Swami Prabhavananda, das Oberhaupt der religiös-philosophischen Vedanta-Gruppe in Los Angeles – eine Begegnung, die Isherwoods Leben verändert.

Was ihn an der indischen Religion reizt: das Fehlen der Sünde und der damit verbundenen Schuld, die ihm die christliche Religion so verleidet, sowie die vorbehaltlose Anerkennung seiner Person. Der Swami schert sich nicht um die Homosexualität von Isherwood, ein ständiger Konfliktherd in der englischen und auch amerikanischen Gesellschaft. Die nächsten fünf Jahre beschäftigt sich der Sinnsucher intensiv mit der Vedanta-Lehre, übersetzt einige Schriften, verbringt Monate im Kloster an der Ivar Avenue, versucht sich sogar als Mönch.

Der Swami wird zu einer Vaterfigur, eine Erinnerung an den eigenen Vater, der im Ersten Weltkrieg starb, als Isherwood zehn Jahre alt war. Im Februar 1944 notiert er nach einem Nachmittag in seiner Gegenwart: „Wir spielen, gedankenlos wie Kinder, in der als selbstverständlich hingenommen Gewissheit, vom Vater geliebt zu werden. Falls wir uns in den Finger schneiden, werden wir uns an sie erinnern und sofort zu ihm rennen... Natürlich ist er für uns da, wird er für uns da sein – jetzt, morgen, wann immer wir entscheiden, dass wir ihn brauchen.“ Zwei Monate später zieht er trotzdem aus dem Kloster aus. Er kann nicht enthaltsam leben. Dem Swami und der Vedanta-Lehre bleibt er ein Leben lang verbunden. Er meditiert bis zu seinem Tod 1986, verfasst später sogar eine Biografie des Swami.

Im Gegensatz zum meditativen steht das hektische Hollywood-Leben Isherwoods. In den Studios verdient er Geld, wie viele europäische Emigranten in der Filmindustrie – neben den Buchtantiemen, Vortragsgagen und Zeitschriftenhonoraren ist das eine wichtige Geldquelle. Bereits im Sommer 1939 erhält er seinen ersten Job. Mit Berthold Viertel, einem Regisseur, den er aus London kennt, schreibt er an einem Drehbuch für einen Anti-Hitler-Film. Der Titel lautet „The Mad Dog of Europe“ („Europas verrückter Hund“), aus dem Projekt wird nichts. Ein Jahr später steht er in Diensten des Studios MGM, als Skriptschreiber für „Rage in Heaven“, der Film mit Ingrid Bergman kommt unter dem Titel „Gefährliche Liebe“ 1950 in die deutschen Kinos.

Zur selben Zeit trifft die Emigranten-Elite aus Deutschland ein. Die Manns residieren in Los Angeles, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht und viele andere. Mit Klaus Mann verbindet Isherwood seit seiner Berlin-Zeit Ende der 20er Jahre eine Freundschaft, Erika Mann vermittelte er 1935 eine Scheinehe mit dem Dichter W. H. Auden und verhalf ihr so zu einem britischen Pass. Die Wiederbegegnung verläuft nicht ganz harmonisch. Die politisierten Literaten tun sich mit dem Pazifismus des exilierten Briten schwer, der immer wieder erklärt, es sei ihm nicht möglich, auf die Deutschen zu schießen, wenn auch nur einer von ihnen sein früherer Liebhaber Heinz sein könnte.

Und so findet Isherwood „die alten Schlachtrösser, die Hitler von Beverly Hills aus bekämpfen“, nur lächerlich. Von Bertolt Brecht muss er sich anhören, seine Hinwendung zum Hinduismus sei faschistischer und abergläubischer Nonsens. Im Tagebuch revanchiert er sich: Brecht sehe aus wie ein „Zuchthäusler auf dem Weg zum elektrischen Stuhl“, seine Frau Helene Weigel wie eine „chinesische Bäuerin“.

Aber Isherwood bleibt nicht untätig in Hollywood sitzen. Er hilft auf seine Weise, arbeitet vom Herbst 1940 bis zum Frühjahr 1942 immer wieder in einem Flüchtlingslager der Quäker-Gemeinden, weit weg in Pennsylvania. Jüdischen Einwanderern, die meisten sind Deutsche, erleichtert er das Ankommen in der Fremde, gibt ihnen Sprachunterricht und erklärt ihnen das neue Land aus europäischer Sicht. Die Erfahrungen im Lager nutzt er später für seine Geschichtensammlung „Down There On a Visit“, die 1962 erscheint.

In Hollywood trifft Christopher Isherwood weiter die Stars: Greta Garbo, Charles Laughton, Montgomery Clift. Das Kino scheint ihn nicht loszulassen, auch nach dem Krieg. Er bleibt bis ins hohe Alter ein gern gesehener Premierengast, bis 1965 schreibt er an Drehbüchern für die große Leinwand mit, im Drama „Die wilden Reichen“ (mit dem ersten Auftritt von Meg Ryan) von 1981 hat er sogar einen kleinen Auftritt als „Partygast in Malibu“. Und in Hollywood feiert er 1972 den Höhepunkt seiner Berühmtheit: Als „Cabaret“ mit Liza Minelli in der Hauptrolle ein Kassenschlager wird, erleben seine „Berlin Stories“ noch einmal einen enormen Popularitätsschub.

Neben dem öffentlichen gibt es den privaten Christopher Isherwood. Auch ihm gelingt die Ankunft in der Neuen Welt nur mit Mühe. Immer wieder taumelt er in Beziehungen mit jüngeren Männern. Mit dem 17 Jahre jüngeren Fotografen Bill Caskey – mit ihm ist er zwischen 1945 und 1951 zusammen – reist er nach New York, Massachusetts und Südamerika. Ende der 40er Jahre ziehen sie nach Santa Monica, Caskey streicht, zimmert, räumt das Haus um, Isherwood fragt sich bitter: „Was wird passieren, wenn das Haus fertig ist?“ Im November 1948 gibt er zu: „Keine Frage, das Leben in Santa Monica Canyon ist leer, eitel, trivial, tragisch.“

Isherwood wird selbst zu einer tragischen Figur, gefangen im häuslichen Alltag zwischen Jung und Alt. Er beschwert sich über die laute Musik von Caskey, die nächtlichen Partys im Haus – und notiert: „Aber wohin soll ich gehen?“ Im Mai 1951 zieht Isherwood dennoch aus, das Leben ist für ihn „unerträglich“ geworden.

Das bleibt so bis zum Valentinstag 1953. Am Venice Beach lernt der 48-Jährige den gerade 18-jährigen Don Bachardy kennen. „Er besitzt so eine großartige Offenheit mit seinem Mausgesicht, mit seinen braunen Augen und der Zahnlücke und dem Bürstenhaarschnitt, die jeden trifft, der ihn sieht. Wenn man mit 40 Jahren noch so sein könnte, wäre man ein Heiliger“, schreibt er. Ungewöhnlich rasch ziehen beide zusammen, die Freunde nehmen Bachardy zunächst als Übergangslösung wahr, „als eine Art Kinder-Prostituierte“, erinnert sich Bachardy.

Sie irren sich. Isherwood und Bachardy bleiben 33 Jahre zusammen, bis der Brite stirbt. Ihre Beziehung hält, weil Isherwood Bachardy ermutigt, den eigenen Weg zu gehen – eine eigene Karriere als bildender Künstler einzuschlagen. Dazwischen kommt es immer wieder zu Turbulenzen. Eine Tagebuchaufzeichnung von Bachardy aus dem Mai 1956: „Wieder eine plötzliche und unerklärliche Szene mit Chris gestern. Ich weiß wirklich nicht, warum ich solche Szenen mache – die kleinste Kleinigkeit regt mich auf ... Er sah so alt aus und fühlte sich so schlecht und redete so zynisch, dass ich ihn für einen Moment hasste. Ich verließ den Balkon und machte mich für den Strand fertig.“

Die Auseinandersetzungen lösen jene Verlustängste aus, die Christopher Isherwood in seinem Buch „Der Einzelgänger“ beschrieb. Der verstorbene Lebensgefährte, die Pein mit der Einsamkeit, diese Themen projizierte Isherwood aus seinem Leben in das des erfundenen Universitätsprofessors. Es ist die Furcht des beinahe 60-Jährigen, plötzlich ohne Bachardy zu leben.

Erst als Bachardy in den 60er Jahren erste Ausstellungen hat, einen Ruf als eigenständiger Künstler gewinnt, mit zerbrechlich wirkenden Bleistiftzeichnungen, verschwinden die Reibereien – und manifestieren sich die Marotten. Wenn Don Bachardy Isherwood zu einem Termin fährt, liegt der Schriftsteller stets auf der Rückbank des Volkswagens. Isherwoods Begründung: Er könne es einfach nicht ertragen, Bachardy beim Fahren zuzusehen. Der Maler David Hockney porträtiert das Paar 1968. Er erinnert sich an ihre Sitzungen für das Gemälde so: „Immer wenn ich sie aufforderte, zu entspannen, setzte sich Christopher mit einem Fuß auf das Knie gestützt hin – und immer sah er Don an. Don schaute nie in seine Richtung, er guckte immer mich an.“ Bis heute ist das Paar mit diesen Blicken verewigt.

„The first Couple“, nennt der Schriftsteller Armistead Maupin die beiden später - mit Hinblick auf die Vorbildwirkung der beiden, eine öffentlich gelebte Beziehung, zwischen Männern, die auch noch über Jahrzehnte hielt, war damals ohne Beispiel. Ab den 70er Jahren nehmen Isherwood und Bachardy an den Umzügen der ersten Gay-Pride-Paraden teil, der Schriftsteller nennt die Schwulenbewegung die einzige Bewegung, in der er sich engagiere, er gibt Fernseh- und Radio-Interviews, immer mit seinem beinahe militärischen Seitenscheitel-Haarschnitt, den er seit den 30er Jahren pflegt.

Am 4. Januar 1986 stirbt Christopher Isherwood an Krebs, Bachardy hat ihn kurz zuvor auf dem Totenbett gezeichnet. Es ist das Bild eines alten Mannes, das Gesicht verzerrt. Am Ende hat sich Isherwood mit Amerika versöhnt, mit der hässlichen Stadt Los Angeles. In Santa Monica hat er sich ein Haus gekauft, wo er lebt, wirkt und stirbt – abbezahlt auch von den 25 000 Dollar an Film-Tantiemen, die er für „Cabaret“ erhalten hat.

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