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Das NEINhorn ist ein ganz spezieller Trotzkopf.

© Illustrtation: Astrid Henn

Kinderbücher: Auf dem Weg nach Nirgends

Trotzige Helden: Marc-Uwe Kling erzählt vom „NEINhorn“ und Philipp Löhle vom „NeinJa-Ritter“.

Die Bibel ist da kategorisch: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein“, fordert das Evangelium nach Matthäus. Kinder, vor allem zwischen ihrem zweiten und fünften Geburtstag, folgen dieser Handlungsanweisung. Meist lautet ihre Antwort: nein. Psychologen sprechen von einer „Autonomiephase“. Nein-Sagen ist ein Akt der Rebellion. Das NEINhorn, Held von Marc-Uwe Klings gleichnamigem Bilderbuch, sagt zum ersten Mal Nein, als es gefragt wird, ob es vom „gezuckerten Glücksklee“ essen wolle. Nein. Auch aufs Anerbieten, „auf einem Kuschelwölkchen Mittagsschlaf“ zu machen, „rosa glasierte Äpfel“ zu lutschen oder „durch den warmen Wasserfall zu flutschen“, entgegnet es stets: nein, nein, nein.

[Marc-Uwe Kling: Das NEINhorn. Illustrattionen: Astrid Henn. Carlsen Verlag, Hamburg 2019. 38 Seiten. 13 €. Ab drei Jahren.].

Das NEINhorn, von der Illustratorin Astrid Henn großäugig und spitzbeinig gezeichnet, möchte lieber nicht. Ähnlich wie das kommunistische Känguru, mit dessen inzwischen verfilmten Chroniken Marc-Uwe Kling berühmt wurde, gehört auch das NEINhorn zur Spezies der Dissidenten. Konsenssoße schmeckt ihm nicht, das zwangsharmonische Zuckerwatte-Zusammensein im Herzwald, wo seine Einhornfamilie wie im Schlaraffenland lebt, findet es zum Speien. Dominierende Farbe dort: pink, na klar.

Kling kommt aus der Lesebühnenszene, er ist ein König des Wortspiels und ein begnadeter Knittelversdichter. Das kleine Einhorn mit „seiner hübschen Gestalt“, reimt er, passe „sehr gut in den Wald“. Die anderen haben irgendwann „genug von deinem Getue“. Worauf es erwidert: „Ich will bloß meine verdammte Ruhe!“ Waghalsig türmt der Erzähler Vers auf Vers, und manchmal, wenn sein Wort-Mikado zusammenzustürzen droht, fällt er sich kurz selbst ins Wort. „Äh, ja, äh nun (…) Oder wie, oder was?“ Darauf passt dann „Spaß“.

Warum sich aufregen, wenn man es auch lassen kann

Nur das NEINhorn hat irgendwann genug vom Reimschema. Mit einem prosaischen „Tschüss dann“ verabschiedet es sich von seiner Familie. Wie im klassischen Entwicklungsroman folgt der Auszug in die Welt, auf zum Fluss, in den Wald und aufs Feld. Dabei gabelt es zuerst einen Waschbären auf, der sich als WASbär entpuppt, weil er jede Frage mit einem „Was?“ kontert. Unklar bleibt, ob er wirklich schlecht hört oder nur nicht richtig zuhören mag. Zusammen trotten sie weiter, unterwegs „nach Nirgends“.

Bockigkeit hat viele Gesichter. Tranig, mit labbrigen Hängebacken und müde heruntergezogenen Lidern liegt ein Bernhardiner auf einem Hügel in der Sonne und weigert sich, Platz zu machen. Er ist ein NAhUND, weil ihm zu jedem Satz zwei ewig gleiche Wörter einfallen: „Na und?“. Er müsste wohl eigentlich gerade in der Schule sein, er müffelt und sollte sich mal wieder waschen: „Na und?“. Seine Scheißegal-Haltung entspringt einer quasi-philosophischen Einsicht. Warum sich aufregen, wenn man es auch lassen kann?

Mit Ungehorsam findet man schneller den eigenen Weg.

Fremde werden Freunde, schließlich begegnen sie einer Prinzessin, die – wie es sich für ein Märchen gehört – ganz oben auf einem hohen Turm eingesperrt ist. Es handelt sich um die KönigsDOCHter. Ihr Vater hat sie weggeschlossen, weil sie immer Widerworte gab. Zwischen NEINhorn, WASbär, NAhUND und KönigsDOCHter entwickelt sich ein verbaler Schlagabtausch, der sich prinzipiell ins Unendliche verlängern ließe: Nein! – Doch! – Was? – Doch! – Nein! Kaum aus dem Turm befreit, möchte die KönigsDOCHter auf dem Einhorn durch ihr Reich reiten. Sie ist herrschsüchtig und glaubt, dass alle Wesen ihre Untertanen sind. Stattdessen muss dann die Prinzessin das Einhorn huckepack nehmen.

Früher endeten Geschichten, insbesondere Märchen, mit einer Moral. Soll man aus dem, was man liest oder vorgelesen bekommt, nicht etwas lernen? Das NEINhorn meint: nein. Pädagogisch wertvolles Erzählen? Marc-Uwe Kling weist dieses Ansinnen zurück: „Falls du gerne eine Moral hättest, dann denk dir einfach selbst eine aus.“ Dies wäre eine: Mit Ungehorsam findet man schneller den eigenen Weg.

Philipp Löhle: Frida und der NeinJa-Ritter.
Philipp Löhle: Frida und der NeinJa-Ritter.

© Illustration: Gloria Jasionowski

Von sprachlichen Auffälligkeiten erzählt auch Philipp Löhle in seinem Abenteuerbuch „Frida und der NeinJa-Ritter“. Frida hat einen Schneidezahn verloren und kann kein „F“ mehr aussprechen. Stattdessen kommt nur ein Pfeifen aus ihrem Mund. So will sie nicht „phor die Tür“. Zum Glück rumpelt es in ihrem Kleiderschrank, ein Ritter galoppiert ins Zimmer. Sein Schnurrbart ist prachtvoll geschwungen, die Rüstung scheppert. Ein Auftritt wie bei Karlsson vom Dach. Beiden fehlt etwas. Frida der Zahn und dem Ritter die weißen Streifen seines Pferds, das eigentlich ein Zebra ist. Deshalb brechen sie dorthin auf, „wo man alles wiederfindet, was jemand verliert“: ins Land der verlorenen Dinge.

[Philipp Löhle: Frida und der NeinJa-Ritter. Illustrationen: Gloria Jasionowski. Mixtvision, München 2020. 117 Seiten, 14 €. Ab fünf Jahren.]

Löhle ist im Hauptberuf Dramatiker, er hat ein Händchen fürs Absurde, doch den Irrsinn lässt er in seinem betulich erzählten Kinderbuch nie so richtig von der Leine. Sein Ritter ist ein Lügenbaron und Gelegenheitsaufschneider. Die Zebrastreifen habe er in einer Schlacht gegen die Vielleichts verloren. Gleich danach gibt er zu, dass die Heldensaga nicht stimmt. Man kann ihm nicht trauen, schon weil er beharrlich „Nein“ statt „Ja“ und „Ja“ statt „Nein“ sagt. Vielleicht hat er aber auch als Einziger recht. Als Frida ihn tadelt, weil er ständig die beiden Wörter vertauscht, sagt er: „Du machst das“.

Das Land, in dem sich die verlorenen Dinge finden lassen, ist selber schwer zu finden. Vom Ende der Welt reisen Frida und der Ritter zur Königin der Weisheit, durch die Blauheit in die verkehrte Welt. Es ist eine literarische Schnitzeljagd, Orte und Figuren kommen einem vertraut vor, von Gulliver, aus Alices Wunderland oder von „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Frida wird belohnt, am Ende spricht sie „Fischstäbchen“ und „Fanfarenzug“ wieder fehlerfrei. Fabelhaft.

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