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Christoph Hein

© Manfred Thomas

Kinderbuch von Christoph Hein: Jeden Tag der gleiche Zirkus

Worauf es im Leben ankommt: Christoph Hein gibt in seinem Kinderbuch "Alles, was du brauchst" autobiografisch grundierte Ratschläge.

Es kommt nicht darauf an, ob eine Geschichte wahr ist oder „erstunken und erlogen“. Sie muss nur „gut erzählt“ sein. Findet jedenfalls Christoph Hein, und damit hat er natürlich recht. Schließlich, so sagt er, gehen die Menschen gerne ins Kino, obwohl die Geschichten, die sie sie dort sehen, fast allesamt erfunden sind. Geschichten vertreiben die Langeweile, sie handeln von Träumen und Wünschen. Ohne Geschichten kann kein Mensch leben.

Geschichten gegen die Angst

Ihre Brisanz bekommt diese kleine Poetologie dadurch, dass der Autor gerade dafür angegriffen wurde, dass er es bei den Anekdoten, die er in seinem Buch „Gegenlauschangriff“ ausbreitet, mit der Wahrheit nicht immer so genau nehme. Allerdings denkt Hein nicht dort, sondern in seinem neuen Kinderbuch übers Geschichtenerzählen nach. Es heißt „Alles, was du brauchst“, da sind alle Geschichten wahr und meist auch ziemlich wunderbar.

Als Kind musste Hein einmal sechs Wochen in einem Krankenhaus verbringen. Er brachte vier Koffer mit, in die er alles gesteckt hatte, was er unbedingt zu brauchen glaubte. Zwei davon hat er dann nicht einmal geöffnet. Das Buch plädiert dafür, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Wirklich überlebensnotwendig sind nur wenige Dinge. Hein zählt zwanzig auf, seine Liste reicht von „Mama“ über „Eine Katze“, „Musik machen“ und „Ein schönes Kleid“ bis zu „Über den eigenen Schatten springen“. Zu jedem Stichwort liefert er eine kurze, autobiografisch grundierte Geschichte.

Dinge bewahren Erinnerungen

Wahrscheinlich hatte jeder eine Tante, die einem bei den Schulaufgaben half, wenn die Eltern keine Zeit hatten, oder mit einem „Mensch ärgere Dich nicht“ spielten. Bei Hein hieß sie Magdalena, sie war sein „Zuhörer-Mensch“, und dass sie ihn immer absichtlich gewinnen ließ, hat er damals nicht gemerkt. Geschwister zu haben, ist prinzipiell toll, auch wenn sie auf dem Schulhof nicht mit einem gesehen werden wollen. Mit ihnen zusammenzuleben, ist so, „als ob man jeden Tag in den Zirkus geht“. Dinge bewahren persönliche Erinnerungen, deshalb kann das Lieblingsessen – Grießklöße, die nach Kindheit schmecken, oder das aus Resten zusammengekochte Hoppelpoppel – für Außenstehende ungenießbar sein.

Lakonie und Witz

Christoph Hein, Jahrgang 1944, ist ein großer Lakoniker, er erzählt unaufdringlich und mit trockenem Witz. Zu einem Bett gehört für ihn neben Taschenlampe und Tagebuch unbedingt auch Knäckebrot. Knäckebrotkrümel sind sehr dauerhaft, „du hast noch wochenlang etwas zum Knabbern“. Manchmal möchte man dem Autor allerdings widersprechen. Ist die Mutter wirklich für jeden Menschen die „wichtigste Frau im Leben“? Gibt es nicht auch gestörte Mutter-Kind-Beziehungen? Und braucht ein Kind Freunde vor allem dafür, um mit ihnen über Probleme zu reden? Will es sich mitunter nicht nur zum Computerspielen mit ihnen verabreden?

Das Meer und das Plastik

Manche Weisheiten erinnern an Kalendersprüche, vielleicht ist es trotzdem wichtig, sie auszusprechen. Etwa den Hinweis darauf, dass jeder lernen muss, „mit Schmerzen und dem Verlieren zu leben“. Den Begriff Umwelt gibt es erst seit hundert Jahren. Hein schlussfolgert ironisch: „Früher mussten die Menschen ohne eine Umwelt auskommen, sie hatten nur die Welt“. Dann schwingt er sich zu einer Suada über die mit Plastikmüll verschmutzten Meere und die Erderwärmung auf, die der „Fridays for Future“-Generation gefallen dürfte.

Christoph Hein: "Alles, was du brauchst." Die 20 wichtigsten Dinge im Leben. Mit Illustrationen von Rotraut Susanne Berner. Hanser, München 2019. 82 S., 15 €. Ab fünf Jahren.

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