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Effektive Minimalistin. Kim Gordon bei einem Sonic-Youth-Konzert Anfang der 90er Jahre.

© KiWi/Kim Gordon

Kim Gordon: Autobiografie "Girl in a Band": Für immer cool

Die Musikerin und Künstlerin Kim Gordon erzählt in ihrer Autobiografie von der Zeit mit Sonic Youth – und rechnet mit Ex-Mann Thurston Moore ab.

Im Herbst 2011 verbreitete die Plattenfirma Matador Records ein kurzes Statement: „Die seit 1984 miteinander verheirateten Musiker Kim Gordon und Thurston Moore geben bekannt, dass sie sich getrennt haben. Sonic Youth wird jedoch sämtliche Termine der für November angekündigten Südamerikatournee einhalten. Was nach dieser Tournee passiert, ist derzeit noch völlig offen. Das Paar bittet darum, seine Privatsphäre zu respektieren und möchte derzeit keine weiteren Kommentare abgeben.“

Was hier so kühl und geschäftsmäßig verkündet wurde, war nicht nur für Gordon und Moore heftig, die doppelte Trennung schockte auch den reiferen Teil der Indierock-Gemeinde zutiefst. Im Netz gab es einen regelrechten Aufschrei der Trauer („Whhhhhhhhhhhhhhy?“, „I don‘t believe in true love any more“ etc.), der noch einmal die enorme Bedeutung von Moore/Gordon und ihrer Band verdeutlichte. Die beiden waren so etwas wie das königliche Paar der Alternative-Szene und Elternfiguren für Gruppen wie Dinosaur Jr, Babes in Toyland, Sleater-Kinney und Nirvana, die sie 1991 mit auf Tour nahmen und ihnen zu einem Majordeal verhalfen. Sonic Youth selbst hatten diesen von vielen Fans als Ausverkauf verdammten Schritt bereits vor ihnen gemacht. Zwar führte er bei ihnen nie zu einem Popularitätsschub wie bei dem Grunge-Trio aus Seattle, dennoch stiegen Sonic Youth mit ihrem Krach und Melodik vereinenden Post-Punk-Sound zu einer der wichtigsten New Yorker Bands seit Velvet Underground auf.

Das Niveau ihrer Alben blieb auch nach ihrer stärksten Phase mit „Daydream Nation“ (1987), „Goo“ (1990) und „Dirty“ (1992) bis in die nuller Jahre hinein hoch. Sonic Youth waren irgendwie immer da und immer cool. Wie es dann doch zur Trennung dieses 1981 gegründeten Quartetts kam, kann man nun in Kim Gordons Autobiografie „Girl In A Band“ nachlesen, die mit dem Ende beginnt. Bei eben jener in der Plattenfirmen-Erklärung erwähnten Südamerika-Tour. Gordon hält auf der Bühne Abstand von Thurston Moore, abseits davon registriert sie voller Abscheu, wie er aufgekratzt zwischen den anderen herumwieselt und ständig auf sein Telefon eintippt. „Die Beziehung, die jeder für glücklich, normal und stabil hielt, die jüngeren Musikern Hoffnung machte, sie könnten die irrwitzige Welt des Rock’n’Roll unversehrt überleben, war jetzt nur noch ein typisches Beispiel für eine gescheiterte Ehe: ein Mann mit Midlifecrisis, eine andere Frau, ein Doppelleben“, schreibt Gordon, die in der Band den Bass spielte und manchmal sang.

Detailliert berichtet Kim Gordon von der Affäre ihres Mannes

Die Offenheit, mit der sie erzählt, überrascht ein wenig, galt sie doch stets als enigmatisch und verschlossen. Der Klassensprecher von Sonic Youth war Thurston Moore, was man etwa in der Tourdoku „1991: The Year That Punk Broke“ gut beobachten konnte, in der er dreimal mehr redet als der Rest der Band. Nur einmal – gleich in der ersten Szene – stiehlt ihm Gordon die Show: Während Moore einen Nonsensetext ins Kamera-Mikro sprechsingt, legt sie zusammen mit Kurt Cobain ein sehr süßes Tänzchen auf eine Schienentrasse. Die beiden sehen dabei aus wie Geschwister. Cobain, zu dem Gordon von Beginn an eine tiefe Verbindung spürte, tritt auch im Buch ein paar Mal auf. Quasi aus dem Jenseits verhilft er ihr zu einer kathartischen Erfahrung nach der Scheidung von Moore: Bei der Aufnahme von Nirvana in die Rock and Roll Hall of Fame ist sie als eine von vier Sängerinnen engagiert und packt in ihre Performance von „Aneurysm“ die eigene Wut und die Schmerzen der letzten Jahre – „eine vier Minuten lange Explosion der Trauer“.

Schon als Fünfjährige wusste sie, dass sie Künstlerin werden will

Zu Kim Gordons Traumabewältigung zählt auch eine Zusammenfassung der Ereignisse in ihrem Buch. So kommt sie gegen Ende noch einmal ausführlich auf Moores Affäre zurück und berichtet, wie sie ihm auf die Schliche kam, als sie „versehentlich“ eine SMS seiner Geliebten liest. Man will das alles gar nicht so genau wissen. Dieses gekränkte Nacherzählen wirkt ein wenig unwürdig – andererseits ist es aber auch verständlich: Leben und Werk waren bei Gordon und Moore, deren Tochter Coco 1994 zur Welt kam, fast drei Jahrzehnte extrem eng verknüpft, da kann der Ablösungsprozess schon mal dauern.

Ohne Thurston Moore wäre aus Kim Gordon wahrscheinlich keine Musikerin geworden. Denn ihre Leidenschaft galt und gilt immer der Kunst. Schon als Fünfjährige weiß die 1953 in Rochester geborene Gordon, dass sie einmal Künstlerin werden will, später studiert sie am Santa Monica College und beginnt als Malerin/Bildhauerin zu arbeiten. Die Beschreibung ihrer Kindheit und Jugend, die sie größtenteils in Los Angeles verbringt, gehört zu den eindrücklichsten Teilen der Autobiografie. Liebevoll charakterisiert sie ihre Eltern – einen Soziologieprofessor und eine Schneiderin – beide liberale Grüblertypen. Die Familie wohnt in einer ruhigen Mittelschichtsgegend, doch der Vater hat Beatnik-Freunde aus Venice Beach, die ihn mit Jazzplatten versorgen. Kim Gordon hört sie genauso wie die Folk- und Klassikplatten der Mutter.

Als Gordon nach New York zieht, ist die Stadt noch dreckig und hart

Sonic Youth mit Kim Gordon und Thurston Moore links.
Sonic Youth mit Kim Gordon und Thurston Moore links.

© Kim Gordon

Die prägendste Figur in Gordons Jugend ist ihr älterer Bruder Keller, ein überdurchschnittlich schlauer, kreativer Typ, der sie allerdings mit seinem beißenden Spott quält. Nach seinem Studium wird Keller mit der Diagnose Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen. In den Jahren zuvor wählt seine Schwester die innere Emigration als Abwehrstrategie gegen ihn. „Das Bild, das viele Leute von mir haben, ich sei abgeklärt, teilnahmslos oder unnahbar, ist eine Fassade, die damit zu tun hat, dass ich über Jahre für jedes Gefühl, das ich zeigte, gehänselt worden bin. Als ich jung war, wurde mir nirgendwo Aufmerksamkeit zuteil, die nicht negativ war. Die Kunst war der einzige Raum, der mir allein gehörte, wo ich jeder sein und alles tun konnte“, schreibt sie.

Als Gordon 1980 nach New York kommt, sucht sie einen Platz in der Kunstwelt. Sie trifft spätere Größen wie Cindy Sherman und Tony Oursler, Dan Graham wird ihr Mentor, und sie arbeitet für den damals noch unbedeutenden Kunsthändler Larry Gagosian. New York ist zu dieser Zeit dreckig und gefährlich, nicht das glitzernde Kommerzmonster von heute, das Gordon als „Stadt auf Speed“ bezeichnet. Sie wohnt zunächst bei Freuden, dann in einem kleinen kakerlakengeplagten Apartment in der Eldridge Street, wo bald auch der fünf Jahre jüngere Thurston Moore einzieht. Die beiden fangen an, Musik zu machen und mit Sonic Youth in Clubs wie dem CBGB aufzutreten.

Hier wirken Gordons Schilderungen wie eine Fortschreibung von „Just Kids“, in dem Patti Smith die Kreativszene von Downtown New York einige Jahre zuvor beschreibt. Und genau wie Smith hat Gordon dort als Frau eine Sonderstellung. Bewusst wird dies der Sonic Youth-Bassistin allerdings erst, als Journalisten immer wieder fragten, wie es sei, „a girl in a band“ zu sein. Sie selbst hat mehr damit zu kämpfen, dass sich ihre kalifornische Mittelschichtsherkunft kaum verleugnen lässt. Sie fühlt sich fremd in der Szene, denn sie weiß, dass sie „nie sein würde wie Lydia Lunch“ – selbst wenn sie sich extra-punkig zurechtmacht.

Diese frühe Sensibilisierung für Kleider- und Genderfragen schlägt sich auch in „Girl in a Band“ nieder, das beide Fragen immer wieder aufgreift. Einmal heißt es: „Kulturell erlauben wir Frauen nicht, so frei zu sein, wie sie es gern wären, denn das macht Angst. Entweder meiden wir diese Frauen, oder wir halten sie für verrückt.“ Gordon, die inzwischen mit Bill Nace im Experimental-Duo Body/Heat spielt, hat sich nie um derartige Urteile geschert. Sie war immer so frei und laut wie sie wollte – erst in der Kunst, dann in der Musik und jetzt auch auf Papier. Verrückt? Nein, einfach immer noch ziemlich cool.

Kim Gordon: Girl in a Band. Eine Autobiografie. Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger. Kiepenheuer & Witsch. 352 S., 19,99 €

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