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Die Opfertäter bei der Übung. Amerikanische Soldaten proben ihren Einsatz im zweiten Irakkrieg 2003, nördlich von Bagdad. Foto: AFP

© AFP

Kevin Powers' Irakkriegsroman "Die Sonne war der ganze Himmel": Engel aus Blut und Staub

Das Grauen, ein Bucherfolg: Kevin Powers war zwei Jahre als US-Soldat im Nordirak stationiert. Sein fiktives Kriegstagebuch schlug im englischsprachigen Raum kräftig ein - und erscheint jetzt im S. Fischer Verlag.

Genau zehn Jahre nach Beginn des Zweiten Irakkriegs erscheint beim S. Fischer Verlag ein Roman, der in der englischsprachigen Welt eingeschlagen hat wie eine Bombe. Ausgezeichnet mit dem First Book Award der britischen Tageszeitung „The Guardian“ und geadelt als Finalist des amerikanischen National Book Award flößt das Buch des jungen Golfkriegs-Veteranen Kevin Powers seinen Lesern und Kritikern offenbar eine Art ehrfürchtigen Schrecken ein: erschütternd, unbegreiflich schön, überwältigend. „Ein Spind voller Dynamit“, urteilt die „New York Times“ über das fiktive Kriegstagebuch.

Mit der Zündung der ersten Ladung fackelt der Autor nicht lange. Dem Roman vorangestellt ist auch in der deutschen Ausgabe der Text eines Wechselgesangs, den die amerikanische Armee angeblich beim Marschieren skandiert. Man kennt den Effekt aus Filmen von David Lynch, in denen ein kindliches Idyll in allen Regenbogenfarben der Grausamkeit in die Luft gejagt wird: „A yellow bird / With a yellow bill / Was perched upon / My windowsill“ (ein gelbes Vöglein mit einem gelben Schnabel hatte sich auf meiner Fensterbank niedergelassen) – „I lured him in / With a piece of bread / And then I smashed / His fucking head ...“ (ich lockte es mit Brotkrumen herein, und dann zerquetschte ich seinen verdammten Kopf).

Personifiziert wird diese exzessive Gewalt von „Sterling“, dem unmittelbaren Vorgesetzten des Ich-Erzählers. Der 21-jährige John Bartle („Bart“) begegnet dem Sergeanten seiner Kampfeinheit – auch wenn dieser nur wenige Jahre älter ist als er selbst – wie einem alttestamentarischen Vater mit einer Mischung aus Furcht, Hass und Faszination. Sterling ist ein hochdekorierter Kriegsheld, der nicht nur auf dem Schlachtfeld eine Spur der Verwüstung hinterlässt. In der Eingangssequenz schießt er auf Zivilisten, beim ersten Freigang nach dem Kampfeinsatz schlägt er eine Prostituierte krankenhausreif; um die Ehre eines Kameraden zu retten, jagt er einem unliebsamen Zeugen eine Kugel „mitten ins Gesicht“. „Ich hasste ihn“, sagt Bart, „weil er ein Meister des Todes und der Brutalität war ... ich hasste ihn noch mehr, weil er mich aus meiner Erstarrung reißen konnte, wenn der Feind mich töten wollte ... und ich hasste das beinahe liebevolle Gefühl, wenn das Entsetzen schwand, wenn ich das Feuer erwiderte, wenn ich sah, wie auch er schoss.“

Während die quasi sadomasochistische Bindung an seinen Vorgesetzten und Ausbilder den Text erotisch auflädt, bleibt die Freundschaft zum blutjungen Daniel Murphy und damit der eigentliche Plot des Buches seltsam schemenhaft. Der 18-jährige Murph ist ein naiver Junge aus der Provinz, noch ohne Bart im „irgendwie schiefen“ Gesicht – und damit wie gemacht für die Rolle des Opferlamms in Powers’ Kriegsballade. Bart fühlt sich verantwortlich für den Jüngeren, verspricht Murphs Mutter, den Sohn wieder heil nach Hause zu bringen. Dass ihm dies, wie sich bald herausstellt, nicht gelingt, weil der zarte Murph über die Schrecken des Krieges den Verstand verloren hat, scheint John Bartles eigentliche Schuld zu sein.

Diese Stilisierung ist nicht ganz einfach zu verkraften. Sie ist es nicht im Hinblick auf die Taten des Romanhelden, der natürlich viel Schlimmeres zu verantworten hat als ein Versprechen gebrochen zu haben, das ihm abgenötigt wurde. Für ein strafrechtlich relevantes Vergehen – er deckt einen Mord – wandert er ins Gefängnis, doch wird suggeriert, der Held sei einer über dem Gesetz stehenden Moral gefolgt und damit im eigentlichen Sinne schuldlos. Das Geschäft des Soldaten hingegen beschreibt der Ex-GI Kevin Powers schonungslos, als Dilemma des Täteropfers. Wir lernen auf über 200 Seiten, was der Krieg mit den überlebenden Kämpfern anrichtet, zumal nach ihrer Rückkehr in die Heimat. An der Front aber heißt es schießen, und sei es aus purer Angst: „Dieser Feind dort drüben hatte bestimmt Angst, aber das zählte nicht, denn auch ich hatte Angst, und dann wurde mir mit Entsetzen bewusst, dass ich auf ihn feuerte, dass ich nicht damit aufhören würde, bis er tot wäre.“

Das Buch über den Krieg - ein Medienereignis

Nun liegen die Stärken dieses Schlüsselromans gewiss weniger in Plot oder Charakterzeichnung. Was besticht, zuweilen geradezu erdrückt, ist Powers’ unbedingter Wille zur poetischen Verdichtung. Kleine Details – ein Feld voller Hyazinthen, zu einem Silberstreif verschwimmende Bäume, die Sonne, die den ganzen Himmel auszufüllen scheint – werden durch das Vergrößerungsglas seiner feingeschliffenen Rhetorik ebenso dramatisch in Szene gesetzt wie die Embleme äußerster Grausamkeit. „Dort, wo der Mann gestorben war“, beobachtet John Bartle, wies die Erde „seltsame Abdrücke von den letzten Zuckungen seiner Arme und Beine auf ... das Bild eines makellosen, aus Blut und Staub bestehenden Engels.“

Doch man darf sich schon fragen, ob diese Form der künstlerischen Bearbeitung von Kampfhandlungen und Kriegserlebnissen, die ist, die man sich wünscht. Die Frage drängt sich nicht zuletzt durch die stark autobiografische Vermarktung des Buches auf. Am 11. September 2012, dem Jahrestag des Anschlags auf die Twin Towers, kam es in den USA in den Handel. Der frischgebackene „Master of Creative Writing“ der Universität Austin Texas hat für sein Manuskript offenbar einen astronomischen Vorschuss erhalten. Und er erklärt in zahlreichen Interviews, er habe den „Leuten zu Hause“ nahebringen wollen, wie sich Krieg anfühlt. Die konkrete Geschichte sei erfunden, doch mit ihrem „emotionalen Kern“, dem Seelenleben des Protagonisten identifiziere er sich stark. Wie sein Held kämpfte der heute 32-jährige Autor von 2004 bis 2005 als Maschinengewehrschütze im Nordirak.

Powers hat seinen Stoff nun offenbar so zwingend in Romanform gegossen, dass Kritiker und Schriftstellerkollegen davon ausgehen, sein Buch werde unser Bild vom Irakkrieg in derselben Weise prägen, wie die großen Kriegs- oder Antikriegsromane der Vergangenheit unser Bild früherer Kriege geprägt haben. Ein Grund, aufmerksam zu beobachten, wie sich dieses Medienereignis zur bisherigen Vermarktung des Irakkriegs verhält.

Kevin Powers: Die Sonne war der ganze Himmel. Aus dem Englischen von Henning Ahrens; S. Fischer, Frankfurt 2013; 240 S., 19,99 €

Bettina Engels

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