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Farbfeuerwerk. Richard Paul Lohses Bild "Fünfzehn systematische Farbreihen in progressiven Horizontalgruppen" von 1959/62.

© Ketterer Kunst

Ketterer zeigt konkrete Kunst: Flächen brechen

Visuelle Täuschungsmanöver: In den Berliner Räumen von Ketterer hängt konkrete Kunst aus dem Museum Ingolstadt.

„Och“, dachte Simone Wiechers vom Auktionshaus Ketterer, „die Arbeit ist kaputt“. Es ging um das „Kinetische Drehobjekt Nr. 3“ von Rudolf Kämmer. Eine quadratische, hochkant gehängte Leinwand mit einer sich drehenden Scheibe, deren Muster für optische Verwirrung sorgt. Tatsächlich bewegt sich die Mitte so langsam, dass die Verschiebungen im flirrenden Mix aus Schwarz und Weiß nur sichtbar werden, wenn man länger vor dem Werk von 1963 ausharrt. Eine mühsame Übung in einer Ausstellung, wo nebenan die „Fünfzehn systematischen Farbreihen“ (1950/62) von Richard Paul Lohse ein Farbfeuerwerk zünden oder Günther Ueckers frühes Nagelbild „Regen“ (1972) mit jedem Schritt in Bewegung gerät.

Alles hier verlangt nach Aufmerksamkeit, doch wer nun Lust hat, auf eines der Werke zu bieten, wird spätestens beim langen Titel „Zu Gast bei Ketterer Kunst Berlin: Das Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt“ eines Besseren belehrt. Diese Schau ist museal und nichts davon verkäuflich – auch wenn die Bilder von Josef Albers, Max Bill, Günter Fruhtrunk oder Victor Vasarely in einem Auktionshaus hängen.

Wiechers, Direktorin der Dependance, hat schon häufiger für solche Highlights gesorgt. Die Räume des Ingolstädter Museums sind eher klein, viele Arbeiten des auf der Sammlung Eugen Gomringer fußenden Bestands im Depot verborgen. Welche Schätze diese Institution aus Oberbayern hegt, ahnt man angesichts der 30 ausgestellten Exponate, die die Möglichkeiten konkreter Kunst in alle Richtungen ausloten. Es reicht bis zu den „Paperpools“ (2013) von Rainer Splitt, der Papier faltet, mit flüssiger Farbe füllt und wieder abfließen lässt, so dass die schwappenden Pigmente eine Art abstrakte Farbfeldmalerei hinterlassen. Oder der „Vernetzung“ von Peter Weber, der 2003 eine monumentale Gitterstruktur aus grauem Filz faltete.

Formen beziehen sich allein auf sich selbst

Was konkrete Kunst sein soll, definierte der Maler und Theoretiker Theo van Doesburg 1930 in der Zeitschrift „Art Concret“. Ihm ging es um Motive „ohne jede Beziehung zur visuellen Wirklichkeit“. Vertreter des Konkreten bilden keine Natur ab, auch haben die Sujets null symbolischen Gehalt. Ihre Funktion soll vielmehr ein „Wechselspiel“ sein, bei dem sich die Formen allein auf sich selbst beziehen. Geometrisch, mathematisch, gut.

Fast scheint es, als habe Anton Stankowski als einer der wichtigsten konstruktiven Künstler der Nachkriegszeit in dem Bild „Aufgeklappt auf Weiß“ (1989) malend umgesetzt, was ihm Rahmen von Doesburgs Definition überhaupt möglich ist. Das Rechteck im Zentrum der Arbeit scheint aufgeklappt, daraus lappt eine zweite, identische Form, die sich wiederum in vier Dreiecke unterteilt. Die Spielformen des Konkreten wirken – trotz aller extremen Farbigkeit – eher reduziert. Doch Stankowski hat seine Berechnung ohne Künstler wie Beat Zoderer gemacht. Der Schweizer, Jahrgang 1955, bedeckt sein „Gummringbild“ mit bunten Haushaltsgummis aus der Küchenschublade. Tina Haase verwendet für ihr Hochformat „London“ von 2012 diverse Büromaterialien wie halb transparente Dokumentenmappen und lässt daraus ein geometrisches Schichtbild entstehen.

Konkrete Kunst ist vielseitiger als es scheint

Schon in den sechziger und siebziger Jahren überwanden viele Protagonisten die engen Grenzen einer rein geometrischen Gestaltung. Sergio Carmargos „Relief Nr. 4-342“ besteht aus zahllosen, weiß gefärbten Holzkegeln, die er scheinbar einfach auf die Leinwand hat fallen lassen: Ein Durcheinander, das dem Betrachter dann allerdings immer neue, planvolle Kreisformen suggeriert.

Ordnung im Chaos, winzige Irritationen in der Struktur, visuelle Täuschungsmanöver wie auf dem neongelben Acrylbild „613/71“ von Ruprecht Geiger, das ebenfalls 1971 entstanden ist. Wer glaubt, konkrete Kunst erschöpfe sich in der Wiederholung eines minimalen Repertoires, der sollte schnurstracks den Papier- und Plexi-Faltungen von Hermann Glöckner oder dem giftgrünen, tellerförmigen Bild mit psychedelischer Wirkung von Kuno Gonschior gegenüber treten.

Ketterer Kunst Berlin, Fasanenstr. 70; bis 30. 9., Mo–Fr 10–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr

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