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Ihm fehlen die Worte nicht. Marcus Wiebusch (Mitte) besingt mit seiner Band gewöhnliches Pärchenglück in ungewohnten Bildern.

© Andreas Hornoff/promo

Kettcar: Und hier kommen die Geigen

Romantischer wurde nie über Körperausscheidungen geschrieben: Der Hamburger Band Kettcar ist mit „Zwischen den Runden“ ein hinreißendes Popalbum gelungen.

Igitt, weiche Männer. Ständig hadern sie mit sich, über alles wollen sie reflektieren, immerzu müssen sie sich irgendwo einfühlen. Arg kompliziert sind sie und auf Dauer furchtbar unsexy, schreibt die „Zeit“. Der „Spiegel“ weiß gar von einer „Schluffi-Krise“. Ausgerechnet jetzt, da der softe Mann im Feuilleton als Feindbild verhandelt wird, veröffentlichen Kettcar ihr neues Album. Diese Hamburger Ober-Schluffis, die dermaßen hadern und reflektieren und sich einfühlen, dass Kritiker ihnen das Etikett „befindlichkeitsfixiert“ aufzwangen. Die schon melancholisch werden, wenn im Kühlschrank das Bier alle ist. Die den Vorzug von Reichtum vor allem darin sehen, dass man dann wenigstens im Taxi weinen könne anstatt im Bus.
Allein der Titel: „Zwischen den Runden“. Klingt nach Boxkampf, aber eben nicht nach austeilen und einstecken, sondern nach Wunden lecken, dem Innehalten und Kräftesammeln, bevor es irgendwie weitergehen muss. Da wird doch schon wieder heftig reflektiert, oder?
Man kann sich wirklich Mühe geben, man kann kleinlich sein und auch böswillig: Auf diesem neuen Album wird man kein schlechtes Lied finden. Zwölf sind es, keines dauert länger als vier Minuten. „Zwischen den Runden“ ist das musikalisch reifste, facettenreichste, kompletteste Werk einer Band, die auf Amazon fälschlicherweise immer noch unter der Rubrik „Punk“ geführt wird, obwohl sie doch Pop sein will und ist. Mit Streicherarrangements, mit Bläsern und Klatschen, mit herrlichem Quietschen beim Griffwechsel auf der Akustikgitarre.

„Jetzt liegst du da, und ich puhl Essen aus deinem Haar.“ So besingt Frontmann Marcus Wiebusch, Jahrgang 68, den intimen Moment eines Pärchens, in dem einer von beiden dringend würgen muss, es noch ins Bad schafft, aber nicht mehr zum Klo. „Als die Sabberfäden zart mein Ohr streiften“, romantischer hat keiner je über Körperausscheidungen geschrieben, und nie wird es vulgär. Wenn sich Kettcar der Liebe zuwenden, und das tun sie häufig auf „Zwischen den Runden“, dann klingt es nicht abgegriffen, weil sie Floskeln und naheliegende Metaphern vermeiden. Da tanzen keine Schnee-, sondern Staubflocken, und wenn die Sonne aufgeht, ist es bloß die auf dem Display eines Glücksspielautomaten.
Als Kettcar vor Jahren ihr erstes Liebeslied wagten, variierten sie im Refrain die Bauanleitung für Molotowcocktails („Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin“). Jetzt, in der hinreißenden Ballade „Weil ich es niemals so oft sagen werde“, inszenieren sie Zweisamkeit als Kopfkino, Regieanweisungen aus dem Off inklusive: „Von vorne mehr Licht auf die beiden. Und bitte, wo bleiben die Geigen?“ Das haben Kettcar allen Tim Bendzkos der Republik voraus: Ihnen fehlen die Worte nicht.

Nach den Regeln der Musikindustrie dürfte es diese Karriere gar nicht geben. Vor zehn Jahren fand sich kein Label, das ihr Debüt „Du und wieviel von deinen Freunden“ veröffentlichen wollte. Häufigste Absagegründe: Wer will so was hören? Und: Ihr seid ganz schön alt! Sie haben dann ihre eigene Plattenfirma gegründet, das „Grand Hotel van Cleef“ – gemeinsam mit Tomtes Thees Uhlmann, dem es ähnlich erging. Es war der Beginn eines Rachefeldzugs gegen das Business.
Weil damals keine Bank Geld leihen wollte, sprang Mutter Wiebusch ein. Die Summe haben sie längst beglichen, sagt der Sohn heute. Es ist Samstagnachmittag in einer Hotelbar in Berlin-Mitte, Marcus Wiebusch hat sich entschuldigt, weil er drei Minuten zu spät kam. Jetzt versinkt er in den viel zu weichen Polstern eines goldfarbenen Designersessels, aber er überragt trotzdem alles, er ist ja zwei Meter groß. Die erste Frage möchte der Musiker selbst stellen: „Wie gefällt Dir das Album?“ Man ist besorgt um die journalistische Distanz und lügt: „so mittel“. „Oh“, macht Wiebusch.

Viel Liebe und eine Kampfansage

Eigentlich gibt es nur zwei Themen, die Menschen wirklich interessieren, sagt er. Liebe und Freiheit. Und dass er mit seinen Texten berühren wolle, ohne den Zuhörer intellektuell zu beleidigen. Die vielen erzählten Geschichten auf dem Album, das Pärchenglück im Erbrochenen, die Rückkehr des Bruders aus dem Krankenhaus, der Tod eines aus den Augen verlorenen Freundes – die seien alle frei erfunden.
„Authentizität interessiert mich einen Dreck.“ Noch so ein Missverständnis, das diese Band seit Jahren begleitet.
Marcus Wiebusch trägt ein schlichtes, schwarzes Hemd, das überrascht nicht, das trägt er auch bei Fernsehauftritten und Fotoshootings. Glamour und Posertum sind Kettcar fremd, das hört man, etwa bei den wunderbar reduzierten Songs „Schwebend“ und „Erkenschwick”. Die Drums werden oft nur gestreichelt, im hymnischen, an Arcade Fire erinnernden „Rip.“ trägt eine Geige die Melodie kraftvoller, als es jede Gitarrenwand könnte. Ein Stück ist deutlich anders auf diesem Album: „Schrilles buntes Hamburg“ heißt es und ist nicht als lokalpatriotische Liebeserklärung gemeint, sondern als Kampfansage an neoliberale Zumutungen. An Stadtplaner und Kulturpolitiker, die Kunst und ihre Förderungswürdigkeit ausschließlich danach bewerten, ob sie Touristen und Kaufkraft anzieht, egal ob in Hamburg oder Berlin oder sonst einer Metropole, die sich im Städtewettbewerb positionieren will. „Es muss immer alles komplett verwertet werden, wenn es komplett verwertet werden kann“, geht der Refrain, der leicht im Ohr hängen bleibt. Kettcar pflegen ihre Feindbilder. Im Hamburger Kontext sind das Leuchtturmprojekte wie die Elbphilharmonie, die inzwischen eine halbe Milliarde kostet, und die schick-steril hergerichtete Hafencity, laut Wiebusch „ein Paradebeispiel für eine abgeleckte, durchgestylte Tourismus-Abzockhölle“. Gleichzeitig blieben „die Hungerkünstler“ auf der Strecke, Institutionen wie das „Altonaer Museum“ müssten um hart erkämpfte Etats fürchten. Ganz schön wütend kann er werden, der weiche Mann.
Er selbst zählt nicht mehr zu jenen Hungerkünstlern, er verdient genug, um seine Familie zu ernähren und Miete für die Altbauwohnung in Ottensen zu bezahlen. Doch das Label, sagt er, sei ökonomisch nicht die Erfolgsgeschichte, für die es gern gehalten werde. Tatsächlich wäre es längst bankrott, hätten sie nicht als weiteres Standbein eine Booking-Agentur gegründet. Vor vier Jahren behauptete Wiebusch schon einmal, dass es bald keine kleinen Plattenfirmen mehr geben werde. Heute in seinem Goldsessel sagt er, nun sei es aber wirklich bald so weit, in drei bis fünf Jahren. Bis dahin gilt: irgendwie weitermachen. Auch wenn es wehtut.

„Zwischen den Runden“ erscheint am 10.2. bei Grand Hotel von Cleef. Am 11.3. spielt die Band in der Columbia-Halle.

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