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Durchblickerin. Kelela Mizanekristos war früher Jazzsängerin. Jetzt zählt sie zu den aufregendsten Stimmen des R’n’B.

© Campbell Addy/Warp

Kelelas Album "Take me apart": Auf den Körper geschrieben

Die amerikanische R’n’B-Sängerin Kelela und ihr schillerndes Debütalbum „Take Me Apart“.

Ein Liebesparadox: Wir müssen uns voneinander entfernen, um uns wieder näherzukommen. Die Beziehung ist kaputt, aber unsere Liebe nicht. Hat dich die Trennung nicht besser gemacht? Geht es uns nicht beiden besser jetzt? Wer wollte bei dieser von violetter Bittersüße erfüllten Zaubermelodie widersprechen? Gebettet auf eine flauschige Keyboard-Harmonie klingt es auch gar nicht mehr so schlimm. Ist es natürlich trotzdem, weshalb nach drei Minuten in Kelelas Song „Better“ doch noch ein Beat hinzukommt, der das einstige Paar mit seinem stumpfen Pulsen in der Spur hält. Und ja, es ist wirklich besser jetzt – wir können endlich wieder miteinander reden, statt immer nur zu streiten.

Das Lied, das die 34-jährige Sängerin zusammen mit dem Musiker und Produzenten Mocky sowie Romy Madley Croft von The XX geschrieben hat, gehört zu den Höhepunkten ihres gerade erschienenen und von der Pop-Presse zu Recht gefeierten Debütalbums „Take Me Apart“. Brennglasartig bringt es dessen charakteristische Mischung aus Verletzlichkeit, Zärtlichkeit und Stärke auf den Punkt. Wobei dies alles stets gleichzeitig präsent ist und sich gegenseitig bedingt. Dass etwa Unterwerfung auch Dominanz sein kann, lotet der Titeltrack in eindrucksvoller Weise aus. Denn so sehr Kelela darin ihre Hingabe beteuert und ihren Lover dazu auffordert, sie auseinanderzunehmen, während ihre Stimme tatsächlich unter den grollenden, stolpernden Beats zersplittert und verweht, so sehr sie also ihre Verletzlichkeit auch ausstellt, behält sie doch die Kontrolle über das Entscheidende: ihr Herz. So schärft sie ihrem Bettgenossen am Ende ein: „Don’t say you’re in love baby/ Don’t say you’re in love/ Until you learn to take me apart.“ Bevor er ihr mit Liebe kommen darf, muss er also erstmal die Überwältigung nach ihren Vorstellungen erlernen.

Auf höchste Intimität folgt maschinelle Distanziertheit

Sexuelle Metaphern und Fantasien sind zahlreich auf der Platte. Besonders explizit etwa in „Truth Or Dare“, das mit der Zeile „T-shirt off, tease me“ beginnt und nicht nur mit seinem Titel, sondern auch mit einem kurz aufflackernden Achtziger- Synthie an Madonna anspielt. Oder besser gesagt: An das, was sich die Queen of Pop beim afroamerikanischen R’n’B abgeschaut hat. An Aaliyah und Janet Jackson muss man bei den 14 Songs ebenfalls denken, wobei die Retroelemente niemals dominieren. Dafür sind Kelela und ihre Mitstreiter – allen voran Sound-Dekonstruktivist Arca – zu gegenwarts- und zukunftsverliebt. Allein schon das quecksilbrigere Schillern, das der Gesang durch Hall, Autotune, Vervielfältigung und zahllose zusätzliche Ahs und Ohs bekommt, ist atemberaubend. Auf höchste Intimität folgt maschinelle Distanziertheit, ein ewiges Warm-Kalt-Wechselspiel. Groovende Rhythmen werden von nervösen Zuckbeats attackiert, darunter liegt ätherisches Keyboardwabern, das sich plötzlich zu düsteren Wolken zusammenziehen kann, um dann wieder von Kelelas strahlendem Gesang erlöst zu werden.

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Kelela verfeinert damit einen Soundentwurf, den sie schon auf ihrem 2013 veröffentlichten Mixtape „Cut 4 Me“ und noch deutlicher vor zwei Jahren auf der EP „Hallucinogen“ verfolgt hat. Etablierte sich die in Washington D.C. geborene, in Maryland aufgewachsene und heute in Los Angeles lebende Sängerin damals neben FKA Twigs als eine wichtige R’n’B-Avantgardistin, festigt sie diese Position nun.

R'n'B hat sich wieder stärker politisiert

Das Genre hat in den USA genau wie der Hip-Hop zuletzt eine (Re-)Politisierung erfahren. So war etwa Solanges „A Seat At The Table“ im vergangen Jahr ein herausragendes Beispiel für die Feier weiblichen und schwarzen Selbstbewusstseins. Kelela, die darauf als Gastsängerin zu hören ist, sah es erst als ein Manko ihrer eigenen Songs an, dass die Texte nicht ebenfalls in eine solche Richtung gehen. „Es fühlte sich an, als würde ich mich selbst betrügen“, sagte die Sängerin kürzlich im Gespräch mit dem „Missy Magazin“. Doch dann habe sie erkannt: „Egal, was ich mache, meine Musik entsteht aus der Erfahrung heraus, eine schwarze Frau zu sein.“ Bei der Tochter äthiopischer Einwanderer verhält es sich ähnlich wie bei den Platten von Solanges älterer Schwester Beyoncé oder dem neuen Album der Kanadierin Cold Specks: Diese Werke haben bereits durch die Minderheitenperspektive ihrer Schöpferinnen eine politische Dimension. Sie bestärken andere schwarze Frauen, geben ihnen das Gefühl gesehen und gehört zu werden. Empowerment zum Tanzen – Kelelas Trap-infizierte Single „LMK“ ist dafür ein Musterbeispiel. Und ja, es geht wieder um Sex. Warum auch nicht?

Kelela: „Take Me Apart“ erscheint bei Warp. Konzert: 7. Dezember im Berghain

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