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Szene aus "Keine Zeit für Piccolo"

© Jacqueline Wiesner

"Keine Zeit für Piccolo" im Stream: Wie ein Theater dem Lockdown trotzt

Das Berliner Prime Time Theater wurde mit "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" bekannt. Jetzt entstand eine neue Folge - als Film.

Eine alte Lebensweisheit besagt: „Intelligente suchen in Krisenzeiten nach Lösungen. Idioten suchen nach Schuldigen.“ Oliver Tautorat will kein Idiot sein, so viel steht fest. Natürlich, der Intendant und Schauspieler des Prime Time Theaters könnte in den Chor der vergrätzten Künstler einstimmen.

Oder gegen die Corona-bedingte Schließung der Theater klagen, so wie Kollege Dieter Hallervorden, der damit vor Gericht gescheitert ist und hernach grimmig verkündete: „Als demokratisch gesinnter Staatsbürger habe ich diese Entscheidung zu respektieren.“ Tautorat hat sich mit seinem Team für einen anderen Weg entschieden.

Zu dem gehört beispielsweise, dass sein Weddinger Amüsierbetrieb schon drei Tage vor Inkrafttreten des aktuellen Kultur-Lockdowns freiwillig die Pforten geschlossen hat. Und schon in der vergangenen Woche verkündete, dass bis Ende des Jahres keine Vorstellung mehr stattfindet. Ohne erst die Entscheidung der Politik abzuwarten. Warum? „Weil es eine ernste Krise ist, die uns alle betrifft.“

Deswegen bringt Tautorat auch null Verständnis für Verschwörungsfantasten auf, die etwa vor der Grundschule seiner Tochter raunende Flyer verteilen: „Die Regierung lügt euch an!“ Der Theatermann hat betagte Eltern, Freunde, die zu Risikogruppen zählen, Stammzuschauer, auf die das Gleiche zutrifft. Schon als im März der erste Lockdown angekündigt wurde, verzichtete er darauf, noch schnell die Wochenendvorstellung mitzunehmen: „Wie schäbig wäre das? Leute in Gefahr zu bringen, nur wegen der Einnahmen?“

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Wieder auf die Füße gekommen

Nun ist es nicht so, dass das Prime Time Theater im Geld schwimmen würde, im Gegenteil. Das Haus, an dem als Dauerbrenner die Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ läuft, hat holprige Zeiten hinter sich. Inklusive einer Insolvenz im vergangenen Jahr. Der Senat hatte Subventionen zurückgefordert, die Zuschauerzahlen waren gesunken, und es breitete sich auch ein kreatives Vakuum aus, das durch den Weggang der Mitgründerin Constanze Behrends 2015 entstanden war.

Aber ein echter Weddinger wie Oliver Tautorat lässt sich eben auch nicht hängen, sondern schaut, wie er wieder auf die Füße kommt. Im Sommer 2019 übernahm Tomislav Bucec, Gründer der im Kiez ansässigen Großdruckerei Laserline und dem Prime-Time-Team schon länger verbunden, das Theater als Geschäftsführer. Der investierte in neue Technik, krempelte ein paar Strukturen um und brachte das Haus mit seinen 15 festen Mitarbeitern wieder auf Kurs.

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Tautorat, der jetzt als Betriebsleiter angestellt ist, sagt: „Das Schöne am Wedding ist die gute Nachbarschaft.“ Die sollte sich auch im Corona-Sommer 2020 bewähren. Zum Beispiel, als ein Freund, Sebastian Wischmann, ihn mit dem Betreiber des neu eröffneten Strandbads Plötzensee zusammenbrachte – die perfekte Location für Open-Air-Theater.

An fünf Wochenenden spielten die Prime-Time-Macher dort „Miss Wedding Undercover“, mit Tautorat in der Rolle der Kiezbraut Tina, die zur Schönheitskönigin gekrönt wird. Sie holten sich auch Musiker aus dem Viertel dazu, die sonst keine Auftrittsmöglichkeiten hatten, luden sich eine Westberliner DJ-Legende ein, gaben am See eine kostenlose Danke-Vorstellung für Corona-Helden aus dem Viertel. Kurzum: „Plötze passt zu uns wie Arsch auf Eimer.“

Noch so eine glückliche Fügung war Tautorats Zusammentreffen mit Hanna Dobslaw, der Betreiberin des Cineplex Alhambra im Wedding. Die klagte, dass sie zwar ihr Kino im Sommer wieder öffnen dürfe, aber die Verleiher all die zugkräftigen Filme zurückhielten. Was tun, wenn kein neuer Bond kommt? Einfach selbst einen zünftigen Agententhriller drehen.

Gastauftritt von Dieter Hallervorden

Für 28 000 Euro Produktionskosten entstand in drei Wochen der Theaterfilm „Keine Zeit für Piccolo“, ursprünglich geplant als Folge 127 von „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Eine liebenswerte Trash-Extravaganza, gefilmt im Theater und in rumpelnden Autos vor dem Greenscreen, mit Gastauftritten von Gayle Tufts, Nina Queer und Dieter Hallervorden. Eine Null-Null-Nonsens-Kanonade, die im schönsten „Wo drückt denn die Adilette“-Sound zwischen St. Petersburg und Weddinger Wurstbude hin und her schießt.

„Keine Zeit für Piccolo“ hatte immerhin 800 Zuschauer im Cineplex. Der Film von Regisseur Julian Mau ist jetzt auf der Homepage des Theaters abrufbar, zwei Euro Miete, drei Euro Kaufpreis. Außerdem laufen Verhandlungen, ihn auf Amazon Prime zu zeigen.

„Niemals stillstehen“, das hat Oliver Tautorat als unternehmerisches Credo von seinem Geschäftsführer Tomislav Bucec mitgenommen. Also versucht das Prime Time Theater, das momentan mit Kurzarbeitergeld und Soforthilfe IV des Berliner Senats über die Runden kommen muss, sich so gut es geht zukunftsfit zu machen.

Aus dem Programm „Neustart Kultur“ der Bundesregierung wurden gerade 128 000 Euro bewilligt, die zu einem Großteil in gutes Klima fließen. Wiederum über Kontakte hat Tautorat einen renommierten Lufthygieniker gewonnen, Rüdiger Külpmann, der mit ein paar einfachen Kniffen ein neues Zirkulationssystem erfand. Der Rest der Förderung wird in Equipment fürs Streaming und Open-Air-Technik investiert.

Oliver Tautorat weiß, dass er sich mit diesem Vorschlag nicht beliebt macht. Aber wenn es nach ihm ginge, würden die Theater erst im März wieder öffnen. Wenn er hört, dass Künstler unter Auftrittsentzugserscheinungen leiden und sich ein Leben ohne Bühne gar nicht vorstellen können, entgegnet er schulterzuckend: „Ich bin auch in vier Monaten noch witzig.“

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