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Der Strom für Katie Mitchells Inszenierung von "Kein Weltuntergang" wird per Pedalkraft erzeugt.

© Gianmarco Bresadola

„Kein Weltuntergang“ an der Schaubühne: Drei Billionen abgeholzte Bäume und eine tote Professorin

„Mensch gegen Natur, Wall Street gegen Gletscher, Amazonas gegen Amazon“: Katie Mitchell inszeniert an der Schaubühne Chris Bushs „Kein Weltuntergang“.

Die Farbe der Klimakrise ist Pink. Klingt gar nicht so bedrohlich. Und kann richtig schön aussehen. In den Alpen zum Beispiel, wo diese besondere, gegen so ziemlich alles resistente Algenart den Schnee verfärbt. Ganze Hänge leuchten im Zuckerwatte-Look. Was für ein Schauspiel!

Das Problem ist nur: Der pinke Schnee reflektiert weniger Sonnenlicht, also speichert er Wärme. Durch die Hitze schmilzt Schnee, was zu mehr blühenden Algen führt, die mehr Schnee verfärben, der wiederum mehr Wärme speichert. Man nennt das eine „Feedback-Schleife“. Überall auf der Welt sind solche Katastrophenphänomene zu erleben. Nur längst nicht immer mit schauprächtigem Mehrwert.

Die britische Dramatikerin Chris Bush umkreist in ihrem Stück „Kein Weltuntergang“ den mehr oder weniger unabwendbaren Kollaps unseres Planeten. Nicht nur am Beispiel der Algen. Immer wieder legt sie ihren Figuren Untergangsfakten in den Mund („Bei 1,5 Grad Erwärmung sterben 90 Prozent der Korallen“; „Seit Beginn der industriellen Revolution haben wir drei Billionen Bäume abgeholzt“).

Weil aber die bloße Bestandsaufnahme des Zerstörungswerks keinen erquicklichen Theaterabend ergeben würde, bringt Bush das Klimathema in experimentelle Form. (Wieder 6./7., 9. bis 11., 13., 27. bis 29. September, 20 Uhr, Schaubühne Globe).

Im Zentrum steht die junge Wissenschaftlerin Anna Vogel, die sich um eine Post-Doc-Stelle am Institut der Klima-Koryphäe Professor Uta Oberdorf bewirbt. Dabei werden fortwährend Varianten eines möglichen Gesprächsverlaufs durchgespielt. Mal ist Anna zu spät und mit dem Taxi gekommen, dann wieder Rad gefahren, mal klickt es zwischen den beiden Frauen, mal endet das Gespräch in schroffem Unverständnis.

Den Strom für Licht und Ton liefern zwei Fahrradfahrerinnen

Dagegengeschnitten ist eine Untersuchung in der Zukunft, bei der Anna zum rätselhaften Tod von Oberdorf befragt wird (vielleicht wurde sie von einem Bären gefressen). Währenddessen richtet eine dritte Frau namens Lena – deren Identität sich erst zum Schluss enthüllt – die Beerdigung ihrer Mutter aus und ergeht sich in philosophischen Betrachtungen zur Idee des Multiversums und zu den Millionen möglichen Auswirkungen, die unser Handeln im Hier und Jetzt hat.

An der Schaubühne hat Katie Mitchell – zuletzt mit der „Anatomie eines Suizids“ zum Theatertreffen eingeladen – „Kein Weltuntergang“ jetzt zur Premiere gebracht (bei der sie wegen einer Covid-Erkrankung nicht anwesend sein konnte). Vielleicht das Bemerkenswerteste des Abends: Es ist eine grüne Inszenierung. Das Bühnenbild von Choe Lamford besteht aus recyceltem Material (eine Wand mit drei Türen), Kostüme und Requisiten stammen aus anderen Produktionen.

Und den Strom für Licht und Ton liefern zwei Fahrradfahrerinnen, die links und rechts der Bühne kräftig in die Pedale treten und so 120 Watt erzeugen. Vielleicht ist das ein guter Gradmesser für zukünftige Theaterproduktionen: Lohnt es sich, dafür zu strampeln?

Mitchell setzt die szenische Splittercollage sehr vorlagentreu und mit drei tollen Schauspielerinnen ins Bild. Alina Vimbai Strähler (neu vom Grips ins Schaubühnen-Ensemble gekommen) spielt mit ungekünstelter Präsenz Anna Vogel, eine Idealistin, die den Naturraubbau als großes Ganzes zu fassen versucht, verbunden mit Fragen nach Kolonialismus, Klasse und Privilegien.

Jule Böwe gibt mit verhaltenem Witz eine schroffe Professorin, die sich in vielen Forschungsjahren mit Pragmatismus gepanzert hat. Veronika Bachfischer schließlich steht dazwischen als ätherische Lena, die beim Arrangieren von Bestattungsblumen den gedanklichen Überbau besorgt. Ihnen sieht man anderthalb Stunden gern zu beim Tür-auf-Tür-zu-Spiel.

Allerdings verliert sich „Kein Weltuntergang“ bisweilen in den eigenen Feedback-Schleifen. Wo will Chris Bush hin mit ihrem Multiversums-Motiv, das sie am Ende selbst als „wissenschaftliche Variante der Gutenacht-Geschichte“ bezeichnet? „Es gibt unendliche Möglichkeiten, aber nur eine Wirklichkeit“, heißt es da.

Die Frage, welchen Einfluss jede und jeder Einzelne auf deren Gestaltung hat, bleibt die spannendste. Da scheint ein Kampf auf, den Bush wiederum sehr schön auf den Punkt bringt: „Mensch gegen Natur, Wall Street gegen Gletscher, Amazonas gegen Amazon“.

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