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Seit dem Frühjahr prangt ein aufgesprühter Häftling auf einer Gefängnismauer im britischen Reading.

© imago images/Pro Sports Images

Kaufangebot für Gefängnis in Reading: „Banksy will mit seiner Kunst die Welt zum Guten verändern“

Streetart-Künstler Banksy will eine Haftanstalt in ein Kunstzentrum verwandeln. Banksy-Versteher Ulrich Blanché erklärt, wie dieser Vorstoß zum Gesamtwerk des Briten passt.

Banksy macht wieder Schlagzeilen: Der Streetart-Künstler will ein leerstehendes Gefängnis im britischen Reading zusammen mit dem Stadtrat in ein Kunstzentrum verwandeln. Sein Gebot: 10 Millionen Pfund. Mit dem Geld der Stadt liegen insgesamt 12,6 Millionen Pfund (umgerechnet 14,8 Millionen Euro) für das Projekt auf dem Tisch.

Besonders die 500 Meter lange bemalbare Gefängnismauer hat es dem weltbekannten Künstler angetan. Dort prangt bereits seit dem Frühjahr ein Werk von ihm: Das Bild zeigt einen Häftling, der sich mit geknotetem Papier aus einer Schreibmaschine von der Gefängnismauer abseilt.

Für den Banksy-Experten und Kunsthistoriker Ulrich Blanché von der Universität Heidelberg fügt sich das Angebot des Künstlers in sein Gesamtwerk ein. „Banksy will mit seiner Kunst die Welt zum Guten verändern. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn er ein solches Projekt in Reading nun zu einem Großteil selbst sponsern möchte.“

Blanché erinnert an ein ähnlich monumentales Werk von Banksy: Das „Walled Off Hotel“ im palästinensischen Bethlehem, direkt an der 760 Kilometer langen Sperranlage. 

Die Befestigung trennt die Palästinenser und Israelis durch Beton und einen elektrisch gesicherten Zaun – und Gäste des kontroversen Kunsthotels haben wegen der Mauer den „hässlichsten Ausblick der Welt“. Die provokante Aktion sollte mehr Aufmerksamkeit auf den Nahost-Konflikt lenken.

Kunst zeigt Flucht aus Zwängen

Mit Blick auf das Bild des fliehenden Häftlings an der Gefängnismauer in Reading erklärt der Kunsthistoriker Blanché: „Dieses Banksy-Werk soll nicht nur als Lockdown-Karikatur gesehen werden, sondern auch einen zeitloseren Gedanken vermitteln. Kunst – ob geschrieben oder gemalt – soll demnach eine Möglichkeit sein, Zwängen aller Art zu entkommen und ein stückweit auszubrechen.“

Ulrich Blanché ist Banksy-Experte und Forscher am Institut für Europäische Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg.
Ulrich Blanché ist Banksy-Experte und Forscher am Institut für Europäische Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg.

© Universität Heidelberg

Der aufgesprühte Häftling spielt damit auf historische Begebenheiten an: In dem Readinger Gefängnis saß einst der irische Schriftsteller Oscar Wilde ein, nachdem ihn ein Gericht 1895 wegen seiner Homosexualität zu zwei Jahren Haft und schwerer körperlicher Arbeit verurteilte. 

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Er kam als kranker Mann aus dem Gefängnis, schrieb nur noch die „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ und starb drei Jahre später im Alter von 46 im Pariser Exil.

Readinger Gefängnis steht für historische Ungerechtigkeit

Banksy erklärte bei seinem millionenschweren Gebot für einen möglichen Ankauf des ehemaligen Gefängnisses: „Den Ort in eine Zuflucht für Kunst zu verwandeln, der ihn [Oscar Wilde] zerstört hat, fühlt sich so richtig an, dass wir es tun müssen.“

Am Beispiel von Oscar Wildes Schicksal thematisiert Banksy unter anderem Homofeindlichkeit in seiner historischen und gegenwärtigen Ungerechtigkeit. 

Bis Banksy an diesen Punkt gelangte, war es laut Blanché jedoch ein langer Weg: „Banksy begann in den 1990ern als Graffiti-Writer und verbreitete dann auch politische Inhalte. Die Graffiti-Szene hat eine sehr männlich dominierte Geschichte und war lange nicht gerade als queerfreundlich bekannt.“ Street Artists seien in der Graffiti-Szene in der Vergangenheit teils als „art fag“ beschimpft worden, also als „Kunstschwuchteln“.

Bereits 2004 sprühte Banksy queere Motive wie dieses küssende Polizistenpaar auf eine Wand in Brighton.
Bereits 2004 sprühte Banksy queere Motive wie dieses küssende Polizistenpaar auf eine Wand in Brighton.

© imago/United Archives International

„Gerade Schablonengraffiti wurde in dieser Subkultur als etwas Verweichlichtes gesehen, und teils daher als ‚schwul‘ abgewertet. Schon 2005 hat Banksy zwei küssende Polizisten oder Queen Victoria als Lesbe dargestellt. Unter ihrer Herrschaft wurden besonders schwulenfeindliche Gesetze erlassen, die auch Oscar Wilde zerstörten.“

Gezerre um Gefängnis zieht sich schon Jahre

2013 wurde das ehemalige Gefängnis geschlossen, seitdem hat das britische Justizministerium zwei Kaufangebote des Readinger Stadtrats abgelehnt. Das historische Gebäude wollte in der Vergangenheit auch ein Immobilienentwickler kaufen – auf dem Gelände sollten neue Wohnungen entstehen.

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Ein entsprechender Deal platzte jedoch in letzter Minute. Das Gezerre um das ehemalige Gefängnis zeigt deshalb laut Blanché ein Spannungsfeld auf: „Seit Jahren diskutieren Kritiker und Fans von Banksy, ob seine Streetart die Gentrifizierung in den Vierteln befeuert und damit die falschen Leute anzieht.“

Dass er durch ein neues Kunstzentrum in Reading den Bau von Luxusapartments an derselben Stelle verhindern könnte, sei möglicherweise auch als Botschaft gegen Verdrängung zu lesen.

Britisches Justizministerium reagiert zurückhaltend

Besonders sei auch, wie der Künstler das Geld für das ehemalige Gefängnis auftreiben will. „Banksy will die Schablone für das Bild auf der Gefängnismauer verkaufen. Für einen sehr kontrollbedürftigen Künstler wie Banksy ist das ungewöhnlich.“

Mit diesem Werk verspottet Banksy die rigide Homophobie von Queen Victoria.
Mit diesem Werk verspottet Banksy die rigide Homophobie von Queen Victoria.

© imago/UPI Photo

Ob Banksy und der Stadtrat von Reading das ehemalige Gefängnis auch kaufen können, hängt ganz vom britischen Justizministerium ab – es entscheidet über den Verkauf. Ein Sprecher reagierte reserviert gegenüber britischen Medien: „Die Frist für Gebote ist bereits verstrichen, und wir erwägen bereits die Gebote, die wir bekommen haben.“

Starker Rückenwind für das Projekt kommt vom künstlerischen Leiter des Readinger Theaters, Toby Davies. Er sagte gegenüber der BBC: „Banksy bietet eine unglaubliche Geldsumme, die direkt an das Justizministerium geht und gemeinnützigen Zwecken dient.“ Sein Gebot sei phänomenal, und „wenn das Justizministerium ein solches Angebot ausschlagen würde, käme das einem Verbrechen gleich.“

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