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Und irgendwo ein Schiffswrack: Caspar David Friedrichs "Eismeer".

© Hamburger Kunsthalle, Elke Walford

Katastrophen in der Kunst: Die Erde bebt, die Schiffe sinken

Von der Sintflut bis zu Martin Kippenberger: Die Ausstellung "Entfesselte Natur" in der Hamburger Kunsthalle zeigt Katastrophenbilder aus vier Jahrhunderten.

Auf einer endlosen Wasserfläche unter dräuendem Himmel klammern sich Menschen verzweifelt an Felsbrocken in den aufsteigenden Fluten. Ein versinkender Kahn und ein ertrinkendes Pferd signalisieren das nahe Ende. Bereits auf den ersten Schritten konfrontiert die epochen- und medienübergreifende Ausstellung „Entfesselte Natur“" in der Hamburger Kunsthalle programmatisch mit der beklemmenden „Szene einer Sintflut“ des französischen Romantikers Théodore Géricault von 1818. In der Schau zum Bild der Katastrophe seit 1600 geht es um Überschwemmungen und sinkende Schiffe, Vulkanausbrüche, Erdbeben und verheerende Brände.

Unermüdlich zischt, kracht und knirscht es in den zwölf schwarz gestrichenen Sälen im Untergeschoss der Kunsthalle. Wassermassen türmen sich, Sturmwinde heulen, Feuerflammen lodern in nachtschwarze Finsternis, und die Erde öffnet sich. Dazu Berge von toten Menschenleibern, schreienden Männern und Frauen, weinenden Kindern und irgendwo als Todesbote auch ein trauernder Hund wie einst bei Piero di Cosimos entseelter Prokris.

Die suggestive Kraft der Bilder

Bis auf einige Video-Clips und Filmsequenzen kommt das wilde Horror-Szenario der 201 Exponate ohne Geräuschkulisse aus. Allein die suggestive Kraft der Bilder jagt dem Betrachter kalte Schauer über den Rücken. Und das, obwohl Katastrophen durch die Inflation digital verbreiteter Bilder heute allgegenwärtig sind. Kunsthallen-Chef Professor Christoph Martin Vogtherr nennt Katastrophen denn auch „eine anthropologische Konstante“. Sie geschähen nicht einfach, sondern würden gemacht – mit Bildern: „Ohne Bilder gäbe es keine Katastrophen. Erst eine entfesselte Natur, bildlich dargestellt, gräbt sich ins öffentliche Bewusstsein ein.“ Bilder von Unglück, Tragik und Leid faszinierten seit eh und je. „Sie ziehen uns in ihren Bann, appellieren an unser Gefühl und regen zum Nachdenken an – über uns und über die Welt, in der wir leben,“ sagt Kurator Markus Bertsch.

Gezeigt werden in Hamburg Gemälde, Zeichnungen und Grafiken, aber auch Skulpturen, Fotografien, Filme und Videoarbeiten von insgesamt 101 Künstlern, die Bandbreite reicht vom niederländischen Historienmaler Jan Asselijn über den englischen Portraitspezialisten Joseph Wright of Derby bis zum Bilderstürmer Martin Kippenberger und dem jungen Berliner Katastrophenfan Julius von Bismarck. Ein Fünftel der Werke stammt aus Beständen der Kunsthalle. Spektakuläre Leihgaben kommen aus dem Pariser Louvre, dem Victoria and Albert Museum London und dem Amsterdamer Rijksmuseum.

Die Aufbereitung des Themas Katastrophe blieb über die Jahrhunderte erstaunlich ähnlich, auch wenn es Weiterentwicklungen und wie bei den niederländischen „brandjes“ sogar Spezialisten für das Genre gab. Wo Feuer, Wasser, Erde und Luft außer Kontrolle gerieten, setzten Künstler mit den Stilmitteln ihrer Gegenwart die Geschehnisse dramatisch in Szene und machten neue Mythen daraus. Zeitübergreifende Gemeinsamkeiten führt die Schau im unmittelbaren Nebeneinander von historischen und knapp 20 heutigen Werken reizvoll vor Augen.

So hängt der 2011 entstandene Leuchtkasten „Flood“ des deutsch-japanischen Computergrafikers Kota Ezawa mit einer im Wasser versunkenen Häusersiedlung aus dem US-Bundesstaat Georgia zwischen Sintflut- und Überschwemmungs- Ölgemälden des 18. Jahrhunderts. Und im Ambiente der vielen großformatigen Schiffsunglücke aus dem 19. Jahrhundert findet sich nicht nur ein 30-minütiger Stummfilm zum Untergang der „Titanic“, sondern auch Elger Essers 2007 entstandene Riesen-Heliogravure eines haushohen gestrandeten Wracks.

Erst ab dem 18. Jahrhundert wurden aktuelle Katastrophen abgebildet

Historische Unterschiede machen sich gleichwohl in der Konzentration auf bestimmte Motive bemerkbar. Jede Epoche habe die Kriterien neu definiert, nach denen einschneidende Ereignisse als Katastrophen zu etikettieren seien, erklärt Markus Bertsch. Anfangs hätten Künstler biblische und mythische Schreckensgeschichten abgebildet.

Mitte des 18. Jahrhunderts sei es dann zur eigentlichen Geburt des Katastrophenbildes mit immer stärkerem Blick auf aktuelles Geschehen gekommen. Als Paradebeispiel nennt Bertsch den Großen Brand in Hamburg. Die Ausstellung punktet dazu mit einer selten wahrgenommenen Rarität von lokalpatriotischer Bedeutung: Hermann Biows drei kleine innovative Daguerreotypien von Nikolaikirche, Börse und Adolphsplatz kurz nach dem Brand 1842 gingen als erste Katastrophen-Fotografien um die Welt.

Weitaus bekannter ist ein anderes Glanzstück der Hamburger Kunsthalle – Caspar David Friedrichs „Eismeer“ von 1823/24 mit solch monumentalem Eisgang auf der Elbe, dass man das sinkende Schiff rechts hinten kaum erkennt. Kunsthallen-Direktor Vogtherr meint, im aktuellen Zusammenhang lasse sich das Bild ganz neu betrachten. Auch hier erscheint der Mensch als hilfloser Spielball entfesselter Elemente, wenngleich noch ohne Hinweis auf Mitverantwortung an Naturkatastrophen auf dieser Erde.

Der Ausstellungsparcours schließt erwartungsgemäß mit Théodore Géricaults „Floß der Medusa“ von 1819. Das Großformat zeigt die letzten Schiffbrüchigen einer Fregatte kurz vor ihrer Rettung nach zwölftägigem Überlebenskampf auf offenem Meer. Das berühmte Gemälde, angesichts der Flüchtlingsdramen aktueller denn je, hat zahllose Nachempfindungen provoziert. Sieben allein 1996 von Martin Kippenberger, die jetzt in der Kunsthalle zu sehen sind. Géricaults Original schickte der Louvre nicht. So endet die Schau mit einem Foto von Thomas Struth aus dem Jahr 1989, auf dem ein staunendes Publikum vor diesem Schlüsselbild der Moderne steht.

Kunsthalle Hamburg, bis 14.Oktober, Katalog 29 €.

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