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Kat Válasturs "Ah! Oh! - A Contemporary Ritual"

© Dorothea Tuch

Kat Válastur im HAU: Techno kann helfen

Gemeinschaft und Exstase: Kat Válasturs Tanzstück „Ah! Oh! A contemporary Ritual“ im Hebbel am Ufer.

Von Sandra Luzina

Die sechs Gestalten, die sich aus dem Dunkel schälen, könnten frierende Berliner Nachtstreuner sein. Geduckt, lauernd, die Hände in die Taschen vergraben, stehen sie abwartend da. Bewegen sich schiebend-rempelnd vorwärts, um dann wieder förmlich zu erstarren. Sie muten wie Comicfiguren an – und erinnern ein wenig auch an den Windgott Zephyr. Die gebürtige Griechin Kat Válastur hat ja eine Vorliebe für Mythen. So ließ sie sich von Homers Odyssee zu ihrem Zyklus „Oh! Deep Sea“ anregen. Ihr neues Stück „Ah! Oh! A contemporary Ritual“ handelt von der Sehnsucht nach gemeinschaftstiftenden, neue Räume öffnenden Ritualen für die postreligiöse Gesellschaft.

Über den Tänzern befindet sich ein Kreis aus Neonröhren, die einzeln aufflackern, bis eine Scheibe aus Licht die Suchenden erhellt. Ob gleich ein Ufo auf der HAU-2-Bühne landet? Oder versammelt hier ein Techno-Hohepriester seine Anhänger? Doch die Verwandlung ist nicht leicht zu haben. Válastur lässt ihre Performer gegen Vereinzelung und Entfremdung antanzen, hütet sich aber zum Glück vor esoterischem Geschwurbel.

Die Techno-Bässe werden regelmäßiger. Und aus ersten zaghaften Ahs und Ohs wird ein mehrstimmiger, zwischen Verwunderung und Verzückung changierender Chor. Vorsichtig nähern sich die Elementarteilchen an. Die Tänzer strecken die Hand nacheinander und zucken zurück. Berühren sich nur für eine Sekunde mit spitzem Ellenbogen. Doch immer wieder bilden sie einen Halbkreis oder deuten einen Reigen mit gekreuzten Schritten an. Es hat den Anschein, als ob die alten Ritualmuster tief in der Erinnerung stecken und verschüttete kollektive Erfahrungen mühsam reanimiert werden müssen. Überraschend ist es nicht, dass die Akteure sich schließlich zu stroboskopischem Flackern in eine Art Trance tanzen. Die wogenden Bewegungen bekommen durch die Zeitlupe etwas Weiches und Gelöstes. Klar, dies ist eine Ästhetisierung und Überhöhung der Clubkultur mit ihrem Versprechen auf Ekstase und Entgrenzung. Doch Kat Válastur lässt es dabei nicht bewenden.

Am Ende senkt sich die Lichtscheibe. Die Tänzer ziehen Jacken und Schuhe aus und greifen in eine Tüte. Nein, sie nehmen keine Drogen, sondern sitzen im Kreis und knabbern an Apfelspalten. Dass dies eine körperliche Verwandlung herbeiführt, trägt schon wieder märchenhafte Züge. Doch über weite Strecken ist diese Suche nach einem zeitgenössischen Ritual durchaus fesselnd.

noch einmal heute, 7.12., 17 Uhr

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