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Mark Gergis bei einer Konferenz.

© Macba

Kassetten aus Syrien: Dieser Mann will den Soundtrack des Nahen Ostens bewahren

Was bleibt nach Krieg und Flucht von der Musik Syriens? Mark Gergis stellt in der Berliner Akademie der Künste seine „Syrian Cassette Archives“ vor.

Leiernde Synthie-Sounds und torkelnde Drum-Beats bilden das Fundament auf dem sich Hochzeitssänger und -sängerinnen austoben. Mark Gergis bietet einen Mix an ziemlich roher und energetischer Musik auf seiner Website „Syrian Cassette Archives“. Der soll aber nicht viel mehr sein als ein erster Höreindruck für das, was bald kommen wird. Denn noch in diesem Jahr soll man hier zumindest den Kern seiner Sammlung von hunderten Kassetten mit syrischer Musik hören können.

Schon seit Monaten ist Gergis dabei, diese zu digitalisieren und Informationen über die Veröffentlichungen und die beteiligten Musiker und Musikerinnen zusammenzutragen. Ein öffentlich zugängliches Archiv wird so entstehen, das die Musik eines Landes dokumentiert, das durch den tragischen Krieg in den letzten Jahren kaum noch existiert. Es soll die reichhaltige Musikkultur eines einstigen ethnischen Melting-Pots von den Siebzigern bis zum Jahr 2010 dokumentieren, den es so heute nicht mehr gibt.

Viele Musiker und Musikerinnen sind aus Syrien geflohen und leben nun in Europa. Durch den Terror des IS in ihrem Land waren besonders religiöse Minderheiten und bestimmte Ethnien zur Flucht gezwungen und hinterließen ein kulturelles Vakuum in ihrer einstigen Heimat. „Werden bestimmte musikalische Stile jemals wieder existieren in diesem oder jenem syrischen Dorf?“, fragt Mark Gergis, „und wie viele Assyrer mussten das Land verlassen? Wird es in Zukunft überhaupt noch assyrische Musik aus Syrien geben?“

Mark Gergis wird an diesem Samstag in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg bei einer Veranstaltung vorstellen, was er genau vorhat mit seinem Online-Archiv syrischer Kassettenmusik. Es soll eine Diskussionsrunde geben, eine Ausstellung mit Teilen seiner Sammlung, DJ-Sets und Live-Musik. Es werden einige Musiker und Musikerinnen auftreten, die nun in Berlin leben und deren Musik Gergis in den Jahren vor dem Krieg gesammelt hat. Unterstützt wird das Event – so wie Gergis gesamtes Projekt – vom Berliner Hauptstadtkulturfonds.

Und der Kassettensammler, Musiker, Produzent und Archivar wird dabei sicherlich ein paar der Anekdoten erzählen, die er einem bereits im Gespräch, kurz nach seiner Ankunft in seinem Hotel im Tiergarten, preisgibt. Gergis kam schon als Kind mit der Musik Syriens und der umliegenden Region in Berührung. Sein Vater ist Iraker, seine Mutter US-Amerikanerin.

Am laufenden Band. Kassetten-Kiosk in Damaskus im Jahr 2006.
Am laufenden Band. Kassetten-Kiosk in Damaskus im Jahr 2006.

© Mark Gergis

„Auf diversen Hochzeiten lief immer solche Musik“, sagt er. In den Neunzigern hat er dann in den USA in Shops der syrischen und irakischen Diaspora Kassetten mit Musik aller Art aus dem Nahen Osten gekauft. Auch auf Reisen besuchte er solche Läden, nicht zuletzt in Berlin, wo vor allem aus der Türkei stammende Menschen Kassetten anboten. Tatsächlich waren es fast immer Kassetten, die er erwarb – das war das bevorzugte Medium für Musik aus dem Nahen Osten, auch noch in Zeiten, in denen im Westen längst die CD dominierte. Die Kassette war billig, leicht zu vertreiben und einfach zu produzieren: wichtige Faktoren in einer nicht besonders reichen Region.

„Irgendwann wurde mir jedoch klar, dass ich in den Shops der Diaspora nur die Spitze des Eisbergs bekommen würde“, so Gergis, „die Kassetten etwas randständigerer Musiker und Musikerinnen aus Syrien werden gar nicht exportiert, und da wusste ich, dass ich selbst die Region bereisen müsste.“

[Mark Gergis präsentiert die Syrian Cassette Archives, unter anderem mit Ahmad El Mad und Mamoun Hamada am 9. Oktober ab 18 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10.]

Der Irak kam für ihn als Ziel nicht in Frage, als Halb-Iraker bestand für ihn unter anderem die Gefahr, vom dortigen Militär eingezogen zu werden, erzählt er. Also bereiste er Syrien, wo vor allem im Nordosten des Landes viele Iraker lebten, die vor dem Regime Sadam Husseins geflohen waren und ihre eigene Musik mitgebracht hatten.

1997 besuchte er erstmalig Syrien und fand dort eine Kassettenkultur vor, die er sich nicht einmal erträumt hätte. Klassische und moderne Musik von Armeniern, Kurden, syrischen Arabern. Patriotische Musik, Kindermusik, Volksmusik und vor allem sehr viel Dabke und Shaabi, ziemlich überdrehte Party- und Hochzeitsmusik, die es ihm besonderes angetan hat.

Seine Kassetten sind nun kulturelles Erbe

„Viele meiner Kassetten sind mit Live- Musik von Hochzeiten bespielt“, sagt er, „die Hochzeitsmusiker nahmen teilweise jede Woche ein Tape bei einem Auftritt auf, das dann in den speziellen Kassetten-Kiosken verkauft wurde.“ Einer dieser Hochzeitsmusiker war Omar Souleyman, dessen Kassetten Gerges kaufte. Der Sammler, der inzwischen in London lebt, war es dann auch, der den Musiker an das amerikanische Plattenlabel Sublime Frequencies vermittelte. Heute ist Souleyman, der einstige Dienstleister für Party-Events in Syrien, ein gefeierter Star, der auf internationalen Popfestivals auftritt.

Die Kassettenkioske in Syrien waren teilweise mobil, erzählt Gergis. „Sie waren mit Boomboxen bestückt, aus denen die Musik der neusten Tapes plärrte und bis oben hin mit Kassetten vollbepackt.“ Die meisten dieser Kioske gibt es heute nicht mehr, sagt er. Wie überall in der Welt werde auch in Syrien inzwischen Musik bevorzugt über das Handy oder via Stream gehört. „Mit dem Krieg ging die sehr lange währende Kassetten-Ära in Syrien vorbei.“

Und dann wird er leicht sentimental. „Was mit Syrien passiert ist, bricht mir das Herz“, sagt er, „schon bei meinem ersten Besuch habe ich mich in das Land verliebt, ich habe dort gearbeitet und sogar eine Zeit lang gelebt.“ Die gewaltigen Umbrüche in Syrien haben aber auch dazu geführt, dass man seine Sammlung mit einzigartigen Tapes und teilweise wirklich fantastisch überdrehter Musik ganz anders bewerten muss.

Aus seinem Bestand an obskuren und raren Kassetten wurde ein Schatz, ein kulturelles Erbe. Und das möchte er nun teilen. „Ich will, dass man mit Hilfe des Archivs auf eine Kultur schauen kann, über die noch nichts erzählt wurde. Niemand hat vorher die Kassettenzeit in Syrien näher betrachtet“, sagt er.

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