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© Hamburger Kunsthalle/bpk

Karikaturen: Verspotten und umhauen

Die Urform des Comics: Die Hamburger Kunsthalle zeigt noch bis Monatsende englische Karikaturen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert.

Kein Wunder, dass Napoleon vor Wut schäumte, wenn ihm die bissigen Karikaturen von James Gillray unter die Augen kamen. Auf dessen Aquatinta-Radierung von 1803 hält der Briten-König George III. den großen Korsen wie einen Spielzeugsoldaten auf der ausgestreckten Hand und inspiziert ihn angelegentlich durch ein Fernglas. Sein ätzender Kommentar: „... eines der verderblichsten, abscheulichsten Reptile, dem die Natur je erlaubt hat, auf der Oberfläche der Erde herumzukriechen“. Auf einer anderen Zeichnung aus dem gleichen Jahre spießt „John Bull“, die Personifizierung des englischen Volkes, Napoleons abgeschlagenen Kopf bluttriefend auf eine Mistgabel, angefeuert von begeisterten Zuschauern. Weniger aggressiv stellt Gillray Bonaparte als unersättlichen Vielfraß dar – an der Tafel neben ihm seine aus dem Leim gegangene Gemahlin Josephine, dahinter ein Reigen barbusiger Gespielinnen und an der Wand ein unheilvolles Menetekel, das mit Tod und Untergang droht. Das Bild dürfte vor allem das geschulte Auge gebildeterer Kreise entzückt haben, weil es sich an Rembrandts „Gastmahl des Belsazar“ anlehnt.

James Gillray (1757–1815), einer der berühmtesten englischen Polit-Karikaturisten um 1800 und Wegbereiter dieser neuen künstlerischen Bildform, ist jetzt mit 18 exzellenten kolorierten Blättern in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Sieben weitere Landsleute, darunter Gillrays Zeitgenosse Thomas Rowlandson und seine Nachfolger Isaac und George Cruikshank, Richard Newton sowie William Heath, bestücken die zumeist hauseigene Selektion von 41 amüsanten englischen Karikaturen zu Politik und Gesellschaft.

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Gezeichneter Spott. James Gillrays "The King of Brobdingnag, and Gulliver" von 1803

© Hamburger Kunsthalle/bpk

Alle datieren aus der Geburtsstunde und Blütezeit dieser Kunstgattung, die sich zwischen 1780 und 1830 mit schonungslosem Blick auf den Staat und das menschliche Zusammenleben als Gegenbewegung zur traditionellen „Hochkunst“ etablierte.

Anders als heute wurden Karikaturen damals nicht in der Presse abgedruckt, sondern als Einzelblätter in der Größenordnung von 100 bis 500 Exemplaren aufgelegt. Oft reagierten prägnante Satirezeichnungen schon im Verlauf von ein bis zwei Tagen auf tagespolitische Ereignisse. Für die ubiquitäre Verbreitung der häufig mit scharfzüngigen Sprechblasen betexteten frühen Comics sorgten in den 1790er Jahren etwa 70 über ganz London verbreitete Printshops. Deren Abnehmer waren Pubs und Kaffeehäuser, die ihr Publikum mit aktuellen Bildern lockten, vor allem aber zahlungskräftige Privatleute. Doch auch Interessenten mit kleinstem Geldbeutel konnten sich an der lustvollen Schmäh delektieren. Denn die Grafikhandlungen legten stets ihre neuesten Drucke zur kostenlosen Besichtigung ins Schaufenster, wo sich regelmäßig dichte Menschentrauben bildeten. Wer wollte, durfte gegen geringes Eintrittsgeld im Inneren der Galerien weitergucken. Zudem konnten Sammelmappen für den Abend oder den Sonntag gegen Gebühr ausgeliehen und zu Hause allein oder mit Freunden betrachtet werden. Dorothee Gerkens, die Kuratorin der Hamburger Schau, sieht darin eine Analogie zur heutigen Praxis, sich für die Freizeit Spielfilm-DVDs aus Videotheken zu holen.

Ohne die Abschaffung der Vorzensur in Großbritannien im Jahre 1695 und die damit früh erkämpfte Meinungs- und Pressefreiheit hätte die neue elaborierte Kunst scharfer politischer und gesellschaftlicher Karikaturen kaum boomen können: Die prächtig bunten Blätter vom Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts spiegeln nicht nur den wachsenden Einfluss öffentlicher Meinung in der englischen Metropole, sondern den sich selbst nährenden Prozess politischen Eigenverständnisses von immer breiteren Bevölkerungsgruppen. Die Satirezeichner trugen diesem Umstand Rechnung: Mit Blick auf ein spöttisches Publikum aller Schichten nahmen sie erbarmungslos, zugleich aber auf ästhetisch hohem Niveau aktuelle Missstände in der sich wandelnden Gesellschaft unter die Lupe. Bissig persiflierten sie vor allem Politiker und Privatpersonen bei Auftritten im Gemeinwesen. Mit expressiver, oft drastischer Bildsprache wurden dabei außenpolitische Ängste, innenpolitische Skandale sowie Moden, Marotten und öffentliche Selbstinszenierungen von Adel und prosperierendem Bürgertum demaskiert und verlacht.

Dass seine süffisanten Spottzeichnungen nichts ahnende Bürger glatt umhauen konnten, hat der Doyen der neuen Disziplin selbst zu Papier gebracht: 1808 zeigte James Gillray auf seinem Blatt „Very Slippy-Weather“ einen Mann, der just vor dem belagerten Schaufenster von Mrs. Humphreys Karikaturenladen auf dem glitschigen Pflaster ausrutschte und dabei Spazierstock, Tabakdose, Hut und Perücke verlor. Nur ein Thermometer blieb beim Sturz in seiner Hand und zeigte demonstrativ auf die ausgestellten Karikaturen, die alle von Gillray stammten.

Hamburger Kunsthalle, bis 27. September, Katalog 9,80 Euro

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