zum Hauptinhalt
Herrenreiterin. Karen Duve wurde 1961 in Hamburg geboren und lebt in der Märkischen Schweiz.

© Kerstin Ahlrichs/Galiani

Karen Duve über Droste-Hülshoff: Freigeist und frühe Feministin

Karen Duve erweckt in ihrem Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ das Schullektüre-Gespenst Annette von Droste-Hülshoff zum Leben.

Ach ja, Annette von Droste-Hülshoff. Von der war doch „Die Judenbuche“. Gab’s das nicht bei Reclam? Der Blick schweift vergebens über die gelben Heftrücken im Bücherregal. Aber gleich daneben, bei den Hamburger Leseheften, wird er fündig. Ein lila Einband mit biedermeierlich anmutender Zeichnung. Kein Wunder, dass die Novelle, die der Schriftstellerin 1842 den Durchbruch beschert, weiland im gymnasialen Deutschunterricht der Klasse zehn nicht gerade als Knaller galt. Die letzte Heftseite des „Sittengemäldes aus dem gebirgichten Westfalen“, wie „Die Judenbuche“ im Untertitel heißt, ist sogar mit dem krakeligen Kommentar „Endlich Schluß!“ verziert.

Doch dank Karen Duves bereits zum Bestseller avancierten Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ ist die Balladen dichtende, musizierende und komponierende Adelsfrau, die längst als eine der bedeutendsten Literatinnen des 19. Jahrhunderts gilt, nun der Mumifizierung entrissen. Die knapp 600 Seiten dicke, trotz diverser Längen überaus kurzweilige Schwarte widmet sich Droste-Hülshoffs Zeit und Leben. Und die einst verschmähte „Judenbuche“ entpuppt sich beim Wiederlesen als scharf beobachtete, dialogisch-lebendig beschriebene Provinzepisode mit zeittypisch erbaulicher Pointe.

Die 1797 auf Burg Hülshoff bei Münster geborene und 1848 auf Burg Meersburg am Bodensee verstorbene katholische Freifrau und ihre 1961 in Hamburg geborene belletristische Biografin passen bestens zusammen. Beide sind Nervensägen, Freigeister und Feministinnen, auch wenn Droste-Hülshoff von diesem Begriff im Biedermeier noch nichts weiß. Dazu literarisch und politisch interessiert, temperamentvoll, widerständig und mit Fabulierlust und Witz gesegnet. Mit dem Roman, der sich um die auch von Droste-Hülshoff-Deutern nicht gänzlich durchblickten amourösen Verstrickungen der Dichterin dreht, die im Sommer 1820 beginnen, stößt Karen Duve in wortselig-lakonischem Parlando in manchmal geradezu Thomas Mannsche Regionen bittersüßer Gesellschaftssatire vor. Ihre ausgiebigen Szenen aus der Lebenswelt des katholischen Landadels, die endlosen Salonratschereien, Verwandtenbesuche, Kutschfahrten und Kuraufenthalte haben einen Hauch von „Buddenbrooks“ und „Felix Krull“.

Immer ist klar, wo der feministische Hammer hängt

Mit bissigem Witz und ohne glättende Melancholie beschreibt sie eine Kaste, die sich dem ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeutungsverlust im heraufdämmernden Bürgertum durch romantische Zeitvertreibe wie Jagen, Poetisieren, Botanisieren und ländliche Brauchtumspflege entzieht. Und zugleich die Industrialisierung und Technisierung als „undeutsch“ verdammt. Die Haxthausens, Hülshoffs, Bocholtz-Asseburgs und Zydtwycks gleichen Fröschen im heißen Kochtopf.

Die stilistische Leichtigkeit mit der Duve den mit Details und Namen beladenen Historienstoff mit einem frischen heutigen Ton verwebt („Tatsächlich“, rief Annette, „wie ist Napoleon denn so?“), hätte man der Erzählerin fast nicht mehr zugetraut. Immerhin geriet die vor zwei Jahren erschienene Gender- und Klimawandel-Satire „Macht“, ihr erster Roman nach dem kämpferischen Sachbuch-Selbstversuch „Anständig essen“ (2011) und der Streitschrift „Warum die Sache schiefgeht“ (2014), zu einer plumpen Gesinnungsgroteske. Und auch in „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ merkt man überdeutlich, wo der frauenbewegte Hammer hängt. Doch angesichts der frauenfeindlichen Borniertheit zeitgenössischer Geistesgrößen, die in Gestalt von Friedrich Hebbel schon in einem dem Roman vorangestellten Zitat Hülshoffs Werke niedermachen, wirkt das nur zu gerechtfertigt.

Was hat das dünne, kränkliche und extrem kurzsichtige Fräulein nicht alles an familiärer Verachtung und männlicher Missgunst wegzustecken! Pausenlos überziehen ihre (nur einen paar Jahre älteren Onkel) August und Werner von Haxthausen die Nichte mit Hohn und Spott und kanzeln die begeisterte Dichterin, Pianistin, Sängerin und hammerbewehrte Mineralogin als vorlaut, untalentiert und unweiblich ab.

Die Gebrüder Grimm, Hoffmann von Fallersleben, Heinrich Heine ziehen vorbei

Wie alle Müßiggänger in ihren kunstsinnigen, sich nach nationaler Identität sehnenden Romantikerzirkeln dilettieren sie selbst als Poeten oder Herausgeber. Aus den Göttinger Studentenkreisen, die im ersten Buchdrittel seltsamerweise saftiger dargestellt sind, als Droste-Hülshoffs erzwungen züchtiges Damenleben, bringen sie befreundete Intellektuelle mit nach Hause. Die Gebrüder Grimm, Hoffmann von Fallersleben, Heinrich Heine, August von Kotzebue, Karl von Drais – fast zu viele Dichter, Denker und Erfinder des Biedermeier ziehen vorbei. Erhellend und aktuell sind die eingestreuten antisemitischen Dialogsätze und Episoden und die Schwärmerei für altdeutsche Lieder, Märchen und Sagen, die im Verein mit der antifranzösischen und antiaufklärerischen Stimmung dem deutschen Nationalismus den Boden bereitet.

Und dann sind da noch die beiden Verehrer, die Nettes Herz und Gemüt nachhaltig erschüttern: der ewige Student Heinrich Straube, den sein Mentor August von Haxthausen für genialer als Goethe hält, und der frömmelnde Schönling August von Arnswaldt, der beider wenig standesgemäße Seelenfreundschaft mit einer unchristlichen Intrige auseinanderbringt. Die 23 Jahre junge Nette, die ihr Leben lang unverheiratet bleibt, versetzt die Männer zwar in Panik, so klug und charakterstark wie sie ist, aber sie fasziniert sie auch. Wie schön, dass die Duve der Droste jetzt ein Denkmal setzt.

Karin Duve: Fräulein Nettes kurzer Sommer. Roman. Galiani Berlin 2018. 592 S., 25 €.
Die Autorin liest unter anderem am 5.11., 20 Uhr, im Schloss Schönhausen in Pankow und am 5.12., 19.30 Uhr, in der Humboldt-Bibliothek in Tegel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false