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Antonello Manacorda und die Kammerakademie im heimischen Nikolaisaal in Potsdam.

© N. Lund

Kammerakademie Potsdam im Boulez Saal: Befreiung mit Beethoven

Rauchige Idyllen: Die Kammerakademie Potsdam spielt sich im Boulez Saal durch die Epochen.

Selten erlebt man Abende, die ein so helles Licht auf ein altes Problem werfen. Wie legitim ist es, in einem Konzert gleich mehrere Epochen zu durchschreiten, auf demselben Instrument Musiken zu spielen, die einfach sehr verschieden voneinander sind? Schließlich hat man nur sich selbst und die eigene Tongebung zur Verfügung – so wie nun die Kammerakademie Potsdam unter ihrem Chefdirigenten Antonello Manacorda bei ihrem Einstandskonzert im Boulez Saal. Hörbar ist die Kammerakademie gewillt, die Dinge auf ihre Weise zu gestalten und den Kompositionen von Wagner, Schönberg und Beethoven ihr ganz eigenes Timbre zu geben.

Deswegen: Kein Parfüm für das „Siegfried-Idyll“, kein Schmonzettenton, in dem sich die großen Siegfried-Themen (des Musiktheaters) mit dem Bild der häuslichen Idylle (und des anderthalbjährigen Siegfried Wagner) verbinden. Herbheit stattdessen, ein bei aller Virtuosität geradezu ungeschliffener Ton. Und ganz viel Langsamkeit, weswegen dieses „Idyll“ anfangs auch fast rauchig klingt. Tatsächlich spielen die Streicher so vibratoarm und bedächtig, dass sie vermutlich alle umkippten, würden sie diesem Moment Fahrrad fahren. Immerhin halten Holz und Blech mit exquisiter Tongebung die Fahne hoch, und wie ein Engelsgesang erhebt sich die Flöte inmitten.

Eigenwille Kammermusik

Wagner legte das Stück, das so sehr nach Frühling klingen will, obwohl es im tiefen Winter uraufgeführt wurde, seiner zweiten Frau Cosima zum Geburtstag zu Füßen, und ungefähr so eng wie an jenem Dezembermorgen 1870 in der Villa Wahnfried sitzen auch im Boulez Saal Orchester und Zuhörende beieinander. Für eine Haus-Musik im Wortsinn mag das noch angehen. Konzertpädagogen mögen sogar glücklich sein über die unverhoffte Einladung zum Sit-in. Doch für die Kammersymphonie des jungen Schönberg bleibt das eine wenig ideale Lösung.

Symphonisch konzeptioniert, solistisch besetzt, harmonisch frei ausgreifend, sieht diese eigenwillige „Kammer“-Musik zwar nur 15 Instrumente vor, doch kann auch dieses gute Dutzend ordentlich Lärm machen, wenn es sich nur an die dynamischen Vorschriften des Komponisten hält. Halb (und mit klingelndem Ohr) denkt man da zurück an die feinnervigen Schönberg-Interpretationen, die bei anderer Gelegenheit im Boulez Saal zu hören sind, halb an die Unbedingtheit, mit der der Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt dem Werk einst attestierte, ein „Ferment“ für zukünftige Entwicklungen zu sein.

Beethoven bringt Stimmung

Stimmig wird der Abend erst mit der extra-träge eingeleiteten, dann stürmisch genommenen Vierten von Beethoven. Hier passt der Ton, hier klingt Musik. Das Orchester dreht sich einmal um 180 Grad, sodass nun von den Leistungen in Klarinette und Fagott zu berichten wäre, ihren staunenswerten schnellen Läufen und Alberti-Bässen. Vielleicht auch von der freundlichen Bitte um „mehr Licht“, mit der der Dirigent die Aufführung nach dem ersten Satz unterbricht. Auf jeden Fall aber vom Menuett mit Trio, einem tollen Finalsatz und Manacordas scharfem Atemzug kurz vorm Sturz in die Schlussakkorde.

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