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Szene aus "Kai und Opa".

© Helene Charlotte Sigal

„Kai zieht in den Krieg ...“ im Grips Theater: Geschossen? Gekämpft? Nein, weggerannt

Wie erzählt sich ein Leben? In „Kai zieht in den Krieg ...“ sitzen sich ein Großvater und sein Enkel gegenüber. Das Stück vom Grips Theater läuft Online.

Opa ist ein Held. Ein etwas schrulliger Held, zugegeben. Zum Beispiel fesselt er seinen elfjährigen Enkel Kai schon mal an den Schrankkoffer, weil er ihn für „den General“ gehalten hat. Aber der bedingungslosen Bewunderung des Jungen tut das keinen Abbruch. Immerhin ist der Großvater ja auch schon hundert Jahre alt, da sind solche Aussetzer und gelegentlichen Verwirrungen von Gegenwart und Vergangenheit nicht verwunderlich, im Gegenteil.

Kai liebt es, wenn Opa vom Krieg erzählt. Wie er mit bloßen Händen gegen zehn Männer angetreten ist (beflügelt vom Schlachtenmotto: „Fressen oder gefressen werden!“). Wie er für seinen Kameraden, den „dicken Tobi“, im Kugelhagel im wahrsten Sinne den Kopf hingehalten und dabei ein Auge verloren hat (egal, eins bleibt ja noch, „besser eins als keins“). Oder wie er dem Präsidenten am Telefon sofortigen Frieden befohlen hat. Ein Tausendsassa!

[Der Mitschnitt des Stückes ist noch bis Karfreitag, den 2. 4. 2021, auf dem Youtube-Kanal des Grips Theaters und auf der Blogseite (grips.online) abrufbar.]

Weil aber diese leuchtenden Erzählungen zunehmend von Auflösung bedroht sind, erklärt sich der Junge kurzerhand zu Opas Gedächtnis – und nimmt ihn mit auf eine Erinnerungsreise. Zurück an die Front. Zu den glorreichen Taten. Das Problem ist nur, dass dabei Station für Station mehr Illusionen platzen, und aus dem Gefechtsnebel der Verklärung immer realistischere Bilder aufsteigen.

Geschossen? Gekämpft? Nein, weggerannt. In die Flucht geschlagen. „Die Wahrheit ist, dass ich vom ersten Tag an enttäuscht war vom Krieg“, sagt der Großvater einmal. Und der enttäuschte Enkel fragt ihn schließlich: „War dein ganzes Leben ein Märchen, oder was?“

Frage nach Wahrheit, Lüge und Erinnerungen

Das Stück „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ von Zoran Drvenkar hätte in der Regie von Robert Neumann schon im November vergangenen Jahres am Grips Theater Premiere feiern sollen. Weil aber bekanntlich noch nicht abzusehen ist, wann die Bühnen zum Spielbetrieb zurückkehren können, hat sich das Haus am Hansaplatz nun entschlossen, einen Mitschnitt als Online-Premiere zu zeigen. Schön, das Grips wiederzusehen! Zumal das in Zusammenarbeit mit der Medienkünstlerin Katharina Tress entstandene Video einen überaus lebendigen Eindruck von der Qualität des Unternehmens gibt.

René Schubert als Opa, Helena Charlotte Sigal in der Enkelrolle und Matthias Bernhold als Soundmacher und Schattenmann treffen perfekt den zwischen Lakonie, Melancholie und Härte schillernden Drvenkar-Ton (vom Berliner Erfolgsautor waren am Grips ja schon „Cengiz und Locke“ sowie „Magdeburg hieß früher Madagaskar“ zu sehen).

Regisseur Neumann schlägt ohne großen Aufwand, mit wenigen klug gesetzten Projektionen (die Produktion ist auch als Klassenzimmerstück konzipiert) einen klaren Weg durch den Text ein, der immer wieder mit Zeitsprüngen die Chronologie zerschießt und bewusst in universeller Schwebe lässt, von welchem Krieg hier eigentlich die Rede ist. Das spielt auch keine Rolle. Die Fragen nach Wahrheit, Lüge und dem Wert von Erinnerungen, aus denen sich ein Leben zusammensetzt, gewinnen dadurch nur umso mehr an Dringlichkeit.

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