zum Hauptinhalt
Zeitunglesen im Romanischen Café. Nachkolorierte Zeichnung von 1930.

© Abbildung: Ullstein

Kaffeehaus-Kultur: Espresso mit Kafka

Das Hotel Waldorf-Astoria eröffnet ein neues Romanische Café, das Haus Cumberland das Grosz – Berlin will an die goldene Zeit der Kaffeehäuser anknüpfen. Was sie einst waren und was sie heute sind.

Das Kaffeehaus ist eigentlich ein etwas angejahrtes Wort. Es klingt nach österreichischer K.u.K.-Kultur, nach Wien, Salzburg, Prag oder dem habsburgischen Triest. Zugleich duftet das Kaffeehaus nach Bohnen und Bonmots, nach Tabak, Parfüm und Schnaps im Dunstkreis literarisch-künstlerischer Boheme – das führt ebenso nach Berlin oder München, zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik. Wird das Kaffee gar zum Café, kriegt die Sache noch mehr vom romanischen Flair: à la Paris, Rom, Venedig.

Aus all dem probieren nun ein paar ambitionierte Unternehmungen in Berlin eine frische Melange. Soeben hat am mittleren Kurfürstendamm, im neugestalteten Cumberlandhaus, das „Grosz“ eröffnet: ein Ganztagescafé plus Patisserie, Bar und Restaurant, innenarchitektonisch retrochic zusammengemixt aus Antiquitäten und Nachempfundenem, viel dunkles Holz und Vergoldung, ein Hauch von Paris, Belle Epoque und der Touch des Demi-Mondänen und Parvenühaften, der zum Berliner Westen schon seit seiner Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts gehört. Auch die Namensanspielung an den Maler und Karikaturisten George Grosz ist geschickt gewählt.

Der wahre Grosz, 1893 in Berlin geboren und und erst wenige Wochen vor seinem Tod 1959 (ein Treppensturz im Alkoholrausch) aus dem amerikanischen Exil in seine Geburtsstadt zurückgekehrt: Er hat während der katzengoldenen Zwanzigerjahre in den Cafés, Bars und Tanzpalästen Berlins expressionistisch grell die protzgeilen Kriegsgewinnler, fette Männerfratzen und die sich inflationär prostituierenden Frauen gezeichnet, die krass Verzweifelten oder schräg Verwegenen. Stammgast war er selber im Romanischen Café, von 1916 bis zur Nazi-Machtergreifung 1933 Berlins berühmtester Künstler- und Literatentreffpunkt. Auch am Kurfürstendamm, Ecke Auguste-Viktoria-Platz gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Heute ist dort der Breitscheidplatz, und das Europacenter steht an der Stelle des 1943 zerstörten Hauses im trutzig neoromanischen Stil (daher der Name des Cafés). Schräg gegenüber eröffnet demnächst der Tower des neuen Waldorf-Astoria-Hotels und in seinem Erdgeschoss dann ein ganz neues „Romanisches Café“. Heller, moderner, neben dem Namen werden wohl nur ein paar Dekobücher daran erinnern, dass in der Nachbarschaft einst von Else Lasker-Schüler bis Lotte Lenya, von Brecht, Kisch, Tucholsky, Remarque, Alfred Kerr und Erich Kästner tutti quanti der Berliner Szene verkehrten.

Übrigens nicht nur Künstler. Siegfried Kracauer, einer der frühen Soziologen unter den Großstadtflaneuren, merkte in seinem vor 1933 entstandenen Feuilleton „Café im Berliner Westen“ einmal an, dass sich nach Börsenschluss einfach das Café in eine Börse verwandle. In den Ort der Geschäfte und Gerüchte, des Gefallens und der Gefälligkeiten. Kracauer hat es freilich viel dezenter, viel liebenswürdiger ausgedrückt als der heftige Grosz, der in den Chor-Girls aus den populären Tanzrevuen (man nannte sie wirklich Girls) eher Notnutten sah.

Berlins Romanisches Café hatte mindestens einen Vorläufer: das zwei Jahrzehnte früher, Ende des 19. Jahrhunderts, nicht weit entfernt am Kurfürstendamm eröffnete Café des Westens. Dort, wo heute das moderne Café Kranzler steht, gab es Wiener Küche und den kleinen und großen Braunen, dazu die Dichter und Künstler – wie schon früher in der Hauptstadt des Habsburgerreichs. Eines der berühmtesten war und ist in Wien, heute voll kalter Neorenaissancepracht restauriert, gleich hinter der Hofburg und nahe am Bundeskanzleramt das Café Central. 1876 eröffnet in einem ehemaligen Bank- und Börsenpalais. Hier tranken, rauchten, räsonierten Arthur Schnitzler, Hofmannsthal, Sigmund Freud, Karl Kraus und, längst vor der Russischen Revolution, auch Leo Trotzki.

Was der wunderbare Feuilletonist und Theaterkritiker Alfred Polgar vor seinem Umzug von Wien nach Berlin über jenen Ort geschrieben hat, gilt gewiss für mehr als ein Etablissement dieser Art: „Das Central ist kein Caféhaus wie andere Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung. Seine Bewohner sind größtenteils Leute, deren Menschenfeindlichkeit so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen“ – auch damit ihnen im Kopf und auf dem Papier etwas einfalle.

Berühmter unter Dichtern und Denkern, berüchtigter auch und weniger feudal war in Wien allerdings das Café Griensteidl, das nur bis Ende des 19. Jahrhunderts bestand, aber seit 1990 am alten Michaelerplatz neu eröffnet wurde. Über das Griensteidl spotteten die braven Bürger der rumorenden Künstler wegen: „Café Größenwahn!“ Das ist ein Begriff geworden, auch in Berlin für das Café des Westens und danach fürs Romanische Café, dessen tagnächtliche Bewohner den Titel als Auszeichnung trugen. Über ein modernes Café mit Laptop-Anschluss, in dem als digitale Bohème auch junge Finanzjongleure in Jeans und T-Shirt arbeiten, die von Künstlern oder Studenten äußerlich nichts unterscheidet, würde man zum möglichen Wahn nun kaum mehr die unheimliche Größe addieren.

Das alte Café Einstein mit Salon, holzgetäfelter Bibliothek und Garten in Berlin-Tiergarten – die ehemalige Villa des Stummfilmstars Henny Porten – gleicht am ehesten noch dem Wiener Caféhaus. In Stil und Kundschaft, zu der tatsächlich überdurchschnittlich viele Autoren, Intellektuelle, Kreativunternehmer zählen, neben einzelnen Politikern. Wirklich besetzt von der politischen und journalistischen Klasse der Berliner Republik ist dagegen das Einstein Unter den Linden. Weniger ein Ort der Dichter als der Lenker. Doch ein Attribut wie „Größenwahn“ wäre fürs Café Grosz oder das neue deutsch-russische Ku’damm-Publikum ebenso wenig angemessen wie für die beiden Einsteins.

Den Zusammenhang zwischen Café und Größenwahnsinn dokumentiert indes eine wahre Anekdote aus dem München des Jahres 1932. Dort saß Thomas Manns eleganter, junggenialischer Sohn Klaus in der feinen Brienner Straße im einst sehr berühmten „Carlton Tearoom“. Die Teestube, in den 1970er Jahren der Immobilienspekulation zum Opfer gefallen, war ebenso auch ein Café, und gegenüber gibt es immer noch das Café Luitpold. Das war damals offenbar ein Lieblingslokal der aufstrebenden Nazis. Klaus Mann also saß im Carlton, wie am Nebentisch mit seinem engeren Kreis eines Nachmittags auch: Adolf Hitler, einst ein abgebrochener Wiener Caféhauskünstler.

In seiner zeitgeschichtlich tollen Autobiografie „Der Wendepunkt“ hat Mann das beschrieben: „Der Führer ... teilte meine Aversion gegen seine tapferen Mannen; auch er bevorzugte die Intimität des distinguierten ,Tea-Room‘.“ Worauf Mann den Hitler aus nächster Nähe dabei beobachtet, wie er nach und nach mehrere Erdbeertörtchen isst, mit Sahne, die „obszöne Nase“ und das „komische Schnurrbärtchen“ im Schlagrahm, ein kleiner Mann mit „hysterisch getrübtem Blick in der bleich gedunsenen Visage“. Klaus Mann nennt Hitler nun mit dem ursprünglichen Namen seines (unehelich geborenen) Vaters Alois Schicklgruber und glaubt aus der ihm so lächerlich-abstoßend erscheinenden Begegnung schließen zu können: „Schicklgruber ... Du kommst nie zur Macht!“ Mag das Café- und Teehaus auch immer ein Ort der süßen sanften Droge, eine Stätte der Betäubung, der Belebung und mancher Illusionen sein – einen groteskeren Irrtum als den des super gescheiten Ästheten Klaus Mann hat es wohl nicht gegeben.

In England und in den USA existiert keine ursprüngliche kontinentaleuropäische Kaffeehaus-Tradition. Dort gab es stattdessen die Clubs und die Bars. In London fand der aus Deutschland emigrierte Schriftsteller Hermann Kesten, Autor des Klassikers „Dichter im Café“, immerhin ein „Café Royal“, und Egon Erwin Kisch schrieb eine Reportage über ein galizisch-jiddisches Café im ärmsten Londoner East End, das sich hoffnungsvoll „Newyorker Restaurant“ nannte.

Den lustigsten, merkwürdigsten Café-Namen gab es freilich auf Capri, zwischen 1870 und 1929. Einst hatte der postromantische Dichter Victor von Scheffel auf der Insel im Golf von Neapel gelebt, ihm zu Ehren wurde (von deutschen und deutschfreundlichen Gästen) das örtliche Café Morgano nach einer Figur aus Scheffels „Trompeter von Säckingen“ umbenannt in: Café „Zum Kater Hiddigeigei“. Das war für Italiener unaussprechlich, aber Capri-Liebhaber wie Maxim Gorki und Lenin, der Stahlmagnat Friedrich Alfred Krupp, Joseph Conrad, D. H. Lawrence und Walter Benjamin waren Stammgäste.

Im barocken Café Florian am Markusplatz von Venedig oder im Café Greco in Rom tranken im 18. Jahrhundert schon Goethe und Mozart flüssige Schokolade und Bohnenextrakt aus Südamerika. Und für die Nordamerikanerinnen, für die Frauen überhaupt, die lange keinen seriösen öffentlichen Ort haben durften, waren Europas Cafés eine Befreiung. Vor allem in Paris. Nicht nur die Herren, von Picasso bis Sartre oder Beckett und heute noch Bernard-Henri Lévy, auch Dichterinnen und Künstlerinnen wie Gertrude Stein, Djuna Barnes, Janet Flanner und natürlich Simone de Beauvoir saßen auf der linken Seine-Seite in den Deux Magots, im Café Flore oder im Dôme. Wie in Wien dann Thomas Bernhard im völlig unmondänen Café Bräunerhof.

Berliner Künstler und Autoren tagen oder nächtigen heute verstreut in kleineren Cafés in Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg, Neukölln, Charlottenburg und Schöneberg. Ein Romanisches Café als romantische Renaissance? Das ist erst mal nur ein Label. Mit Leben füllen es heute und morgen wohl Kunden, die mehr als nur Ketten-Coffee-Shops suchen. Aber denen George Grosz oder Else Lasker-Schüler nicht mal Hiddigeigei sind. In Prag gibt es ein Café Kafka, in dem der Namensgeber naturgemäß nie war. Dafür prangt auf jedem Zuckertütchen Kafkas Gesicht. Man zerreißt es, und der Inhalt löst sich auf, Kafka im Kaffee.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false