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Glanz, Galopp und Gastfreundschaft. Käthe Kruse in der Moabiter Schau. Ihre performative Lesung läuft jetzt online.

© Veronika Witte

Käthe Kruses Schlagzeilenkunst: Wörter mit Wumms

Vom Pop zur Malerei: Käthe Kruse, einst Schlagzeugerin Der tödlichen Doris, macht Kunst aus Zeitungsüberschriften.

Das G ist ein kriegerischer Buchstabe. Und noch dazu häufig in Zeitungsschlagzeilen zu finden. Verteilt auf fünf Leinwände schwanken von Hand gemalte schwarze Substantive über weißen Grund. Darunter sind freundliche Wörter wie „Glanz“, „Galopp“ und „Gastfreundschaft“. Aber eben auch: Gift, Gewalt, Gewehre, Granate, Grabenkämpfe, Großangriff.

Beim M sieht’s nicht viel besser aus. Auf einer Bildzeile versammeln sich „Material“, „Mordserie“, „Meer“ und „Massengrab“. Da lobt man sich schon fast das P mit der alphabetischen Reihung „Penis, Pandemien, Punkte, Prozessionen“.

Wobei der Blick an den nur zwei Schritte voneinander getrennten Begriffen „Pandemien“ und „Quarantäne“ momentan ebenso sicher kleben bleibt wie er sie vor sechs Monaten noch überlesen hätte. So wirken die 80 in der Ausstellung „Ich sehe“ gezeigten Wörtertableaus wie von selbst relevant.

Spracherforschung per Doppelschau – das ist das fünf Jahre lang vorbereitete Projekt der Berliner Künstlerin Käthe Kruse. Es findet zeitgleich in der kommunalen Galerie Nord des Kunstvereins Tiergarten in Moabit und der Zwinger Galerie in Schöneberg statt.

Und bei aller Missgunst des Corona-Schließung- Schicksals hat Kruse trotzdem Glück. Beide Schauen lassen sich auch von draußen betrachten. Von der bevorstehenden Wiedereröffnung und dem auch jetzt möglichen Einlass für Einzelbesucher in der Ladengalerie ganz zu schweigen.

Die Auswahl folgte keinem Plan, nur künstlerischer Intuition

In Moabit läuft der ellenlange Fries auf streng schwarzem Grund über die Wände einer aus mehreren Räumen bestehenden Flucht. Die Wörterbilder sind sogar abends lesbar, wenn die Fensterfronten der Galerie hinaus auf die Turmstraße leuchten.

Von A wie „Abstiegsangst“ bis Z wie „Zuwanderungsrekord“ hat Käthe Kruse 3 927 Nomina aus den Überschriften von Zeitungen extrahiert, alphabetisch geordnet und zu Tableaus gruppiert. Die Auswahl folgte keinem Plan, nur künstlerischer Intuition.

Je nach Häufigkeit der Buchstaben gibt es eine Tafel für das X, auf der zufällig nur „Xenophobie“ steht, oder sogar acht für den Spitzenreiter, das S. Grundlage für die Sammlung gemalter Wörter, die in der Zufallskombination mal Aggression, mal dadaesken Witz verströmen – wenn „Höllenkreise“ direkt neben „Hurra“ steht –, ist eine chronologische Kollektion von Schlagzeilen.

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Die wiederum sind unter dem Titel „366 Tage“ in der Zwinger Galerie zu sehen. Vom 1. April 2015 bis 22. Juni 2016 versammelt Käthe Kruse in diesem Werk gedruckte und gerahmte Headlines von Tagesspiegel über „taz“ bis „Neue Zürcher Zeitung“.

Dieses begehbare Archiv klebt mehr an der Nachrichtensprache und der jüngsten Historie als die abstrahierte Essenz des zweiten Verarbeitungsschritts in Moabit. Dort entwickeln die Wörter ein überraschendes Eigenleben und wirken befreit von der Syntax wie Konkrete Poesie. Hier drängen sich zwei Eindrücke auf: Einmal, wie limitiert und stereotyp doch Überschriftensprache ist. Und zweitens, dass sich schlechte Nachrichten besser verkaufen als gute.

Wörter wirken befreit von der Syntax wie Konkrete Poesie

Das wäre eher schlicht als Medienkritik und damit nicht Käthe Kruses Ding. Die Frau ist Avantgardistin. Im guten alten West-Berlin der Achtziger wirkte die Schlagzeugerin des exzentrischen Trios Die Tödliche Doris als interdisziplinärer Motor der Popkunst. Seit 25 Jahren ist sie als Solistin unterwegs.

Beim Freilufttreffen auf ihrer Dachterrasse erzählt sie lebhaft von ihrer seriellen Sprachforschung.

Mit erhebendem Blick aufs Engelbecken und die Michaelkirche und nach einer Atelierrunde durch Werke aus vier Jahrzehnten. Sprechen mit Maske im Gesicht ist eine leichte Übung für die 1958 in Bünde/Westfalen geborene Performance- und Konzeptkünstlerin, die 1981 nach Berlin kam und als Hausbesetzerin des „Bauhofs“ in der Manteuffelstraße in die inzwischen kultisch verehrte Achtziger-Subkultur rutschte.

Dem Gemeinschaftswohnen ist sie 33 Jahre treu geblieben, bis sie dann 2014 mit der Familie doch ein paar Straßen weiter von Kreuzberg nach Mitte zog.

Innenansicht von Käthe Kruses Ausstellung „Ich sehe“ in der Galerie Nord in Moabit.
Innenansicht von Käthe Kruses Ausstellung „Ich sehe“ in der Galerie Nord in Moabit.

© Christine Fenzl

Im Jahr darauf sei dann das Gefühl erwacht, negative politische Veränderungen im Land zu erleben. „Der Rechtsruck machte sich bemerkbar.“ Bestimmte Begriffe seien wieder salonfähig und sogar geläufig geworden. Die manipulatorische Kraft des von Politikern Gesagten und von Journalisten Geschriebenen schien sich zu verstärken.

„Ich wollte überprüfen, ob man sich als Bürgerin anhand von Tageszeitungen einen Eindruck verschaffen kann, ob und wie sich die Sprache der Politik verändert. Und man kann es.“ Inwiefern? Da möge man sich nur die dem Buchstaben N gewidmeten Tableaus mit den Wörtern „Nazi-Untergrund, Nazi-Jargon, Nazisprüche, Nazipelz“ anschauen, empfiehlt Kruse. Den ursprünglichen Arbeitstitel „Ich sehe schwarz“ mochte sie dann aber doch nicht verwenden. „Ich vermeide Zeigefinger.“

Die Kunst zeigt, die die Sprache der Politik sich verändert

Die bedrohliche Stimmung, die selbst die Headlines seriöser Presseerzeugnisse in den ersten beiden Jahren der Flüchtlingswelle verbreiten, wird in der strengen Listen-Lakonie wie nebenbei deutlich. Richtig fett kommt er auf der Doppel-LP rüber, die Käthe Kruse – ebenso wie einen mit Wörtern bedruckten Schal – für die Katalogbox produziert hat.

Im Studio 65 ihres alten Kumpels Axel Hacke. Untermalt von einem treibenden, betont monotonen Piano- und Schlagzeug-Sound, rattert Käthe Kruse alle Wörter runter. Hart und hip ist der Puls der Zeit. Statt der ursprünglich in der Galerie Nord geplanten Livelesungen und Konzerte liest sie außerdem auf Facebook und Instagram.

Der erste Frust über die Nicht-Eröffnung der Ausstellungen hat sich bei Käthe Kruse schnell in eine Aktionswelle verwandelt. „Ich finde es spannend, Sachen nicht zu können und sie dann trotzdem zu machen.“ So arbeitet sie schon seit den seligen Doris-Zeiten.

Mit verschiedenen künstlerischen Techniken. Musikerin ist sie nie gewesen. Schlagzeugerin wohl. Schließlich könne sie einen Rhythmus 20 Minuten lang druchtrommeln. „Durchhaltevermögen, das ist meine Stärke.“ Bei der körperlichen Herausforderung, die 80 Schriftbilder zu malen, ist ihr das wieder zugute gekommen. Die Tableaus zu drucken kam nicht infrage. „Ich will diese Schmerzen auch körperlich spüren.“

Sie hätte gern Schöneres aus den Zeitungen gelesen

[Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten, Turmstr. 75, 12. Mai bis 4. Juli, Di-Sa 12-19 Uhr. Und Zwinger Galerie, Mansteinstr. 5, Di-Sa 12-18 Uhr, ebenfalls bis Juli]

Ihre Vorliebe für Zahlen, Kolonnen und Listen hat ihr schon im Berliner Underground gute Dienste geleitet – als Finanzfrau des „Bauhofs“ und der Tödlichen Doris. Auch in der Afghanischen Botschaft hat sie neun Jahre lang die Bücher geführt.

Inzwischen lebt sie aber nur noch von der Kunst, was auch auf ihrem Konto zu einer Corona-Flaute führt. Mit der Katalogförderung durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa hat es jedoch erfreulich zügig geklappt. Dass die Wörtersammlung so politisch geraten ist, hat Käthe Kruse selbst überrascht.

Sie hätte gerne Schöneres aus den Zeitungen gelesen. Half aber nichts. Wenn ein toter Rabe am Boden liege, könne sie keine Rose malen, sagt sie. „Ich bin keine Blümchenmalerin.“

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