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Der amerikanische Sänger,Songschreiber und Musiker Matthew E. White.

© Shawn Brackbill

"K Bay" von Matthew E. White: Mit Gott im Wimmelbild

Ein gewaltiges Werk, voller Ideen und musikalischer Raffinessen: Matthew E. White und sein Soul-Pop-Album „K Bay“.

Matthew E. White ist ein gemütlicher Typ. Marke: Brummbär. Groß, schwer, mit freundlichem Lächeln. Er lässt sich gerne Zeit. Seine Songs wuchern wie sein Haar und sein langer Bart. Sie fransen aus, finden ihren Groove und wagen sich unbekümmert in die Überlänge.

Sein Sinn fürs Langwierige zeigt sich auch darin, dass seit seiner letzten Soloplatte sechs Jahre vergangen sind. Zwischen den ersten beiden Alben gab es immerhin eine Wartezeit von drei Jahren, aber das fühlte sich für White noch allzu gehetzt an.

Nun ist er mit genügend Muße an die Arbeit an „K Bay“ gegangen, seinem dritten Solo-Album, das am Freitag erscheint (Domino Records). Es ist ein gewaltiges Werk geworden, vollgepackt mit Ideen und musikalischen Finessen, dass es einen fast überfordert.

Wiederum scheut White das Epische nicht: Vier der elf Songs knacken die Sechs-Minuten-Schallgrenze. Ebensowenig scheut er neue Einflüsse. Wer die Platte ein erstes Mal auflegt und seine bisherigen Arbeiten mochte, könnte überrascht sein, um nicht zu sagen: irritiert.

Bislang ist er für einen betont handgemachten Mix aus Soul, Gospel und Pop bekannt. Er hat vor rund zehn Jahren eine eigene Plattenfirma mitsamt Studio und Hausband gegründet, um diesen Sound, wie bei Motown in den Sechzigern, verlässlich entstehen zu lassen.

White wurde 1982 in Virginia Beach geboren

Spacebomb heißt sie und ist im beschaulichen Richmond zu finden, in Whites Heimatbundesstaat Virginia. Hier ist er 1982 am Ufer des Atlantiks, in Virginia Beach, zur Welt gekommen. Als Kind eines Missionaren-Paares, das ihn früh mitnahm auf die Philippinen und nach Japan, wo sie ihren evangelikalen Glauben verbreiten wollten. White selbst ist ebenfalls ein gläubiger Mensch, liebt den Gospel, geht dem eigenen Bekunden nach jedoch nur selten in die Kirche.

Nach Richmond, der Heimat von Spacebomb, hat es ihn für ein Musik-Studium verschlagen. Die Plattenfirma wiederum ist der Grund, warum White 2012 überhaupt als Frontmann in Erscheinung trat. Alle Zutaten waren da, die Band, das Studio, da fehlte nur noch ein Album, das man herausbringen konnte.

Diese Platte sollte „Big Inner“ werden, seine erste Soloarbeit. Sie erscheint wie aus dem Nichts, White war vorher nur Eingeweihten als Gitarrist des Jazz-Kollektivs Fight The Big Bull ein Begriff. Das Album wird gefeiert für seinen Sound, der die wohlbekannten Zutaten auf frische Weise verquickt. Es landet am Ende des Jahres auf etlichen Bestenlisten – und Spacebomb auf der Landkarte der Musikindustrie.

Es klingt nach Barry White und Steely Dan

Dort nimmt White sein zweites Solowerk „Fresh Blood“ (2015) auf, produziert unter anderem die Alben von Natalie Prass, spielt 2017 mit der Engländerin Flo Morrissey eine Sammlung von Cover-Versionen ein und bringt im vergangenen April mit dem Allroundkünstler Lonnie Holley eine Platte mit vertonter Impro-Poesie heraus.

So entspannt White die Sache mit den eigenen Alben angeht: Untätig ist er in der Zwischenzeit gewiss nicht gewesen. In „Nested“, einem seiner neuen Stücke, bringt er den Widerspruch auf den Punkt: „Boy, I'm lazy, but hard to tell it 'cause I work too much.“

An dem Song hört man gut, wie White auf „K Bay“ seine Bezugspunkte neu gewichtet. Er lässt deutlichere Jazz- und Krautrock-Einflüsse zu, wagt sogar eine Nähe zu Seventies-Pop und brasilianischem Tropicália. Die Zartheit, die auf den früheren Alben bestimmend war, ist nur noch punktuell herauszuhören.

Sie weicht einem massigen Sound, in dem das Schlagzeug von Pinson Chanselle wummern und zugleich tänzeln darf. So klingt auch der Bass von Cameron Ralston: dick, aber dennoch dynamisch. Sie verleihen dem Stück bei aller Schwere einen ordentlichen Groove. Dazu singt White seine wortreichen Texte mit einer gewissen Abgeklärtheit. Von der Qualität seiner Stimme war er nie vollends überzeugt. Deswegen legt er sie doppelt auf die Tonspur, was zur Wimmelbild-Anmutung des Sounds noch beiträgt.

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Auf seinen ersten beiden Platten hat er in den Texten ausgiebig Gott gepriesen, auf „K Bay“ huldigt er lieber seiner Frau. Die Platte ist durchdrungen von Liebeserklärungen an eine gewisse Judy – ein Pseudonym für Merry, wie sie eigentlich heißt. Doch die Betrachtungen zum Zusammenleben sind auffallend differenziert. So zum Beispiel beim Song „Take Your Time (And Find That Orange To Squeeze)“, ein Abgesang auf die wilden Jahre des Heranwachsens und gleichzeitig Hohelied auf die süße Intensität des Erwachsenseins. „Baby, ripest fruits have shed their youth“, singt White. „You and I will do it too, taste that fruit that's sweeter still.“

Dabei kommt er seinem alten Sound so nahe wie sonst nirgends auf „K Bay“: Er lässt den Beat fett aus den Boxen tropfen und legt seinen bewährten Sirup-Bariton auf, der ein paar Kellertreppen tief ansetzt und dann emporquillt wie die Synthies, die um ihn herum wie Vogelschwärme aufsteigen.

Das Ganze klingt, als würde Barry White Steely Dan covern – ziemlich klasse also.

Ein Epos gegen den Rassismus in den USA

Um auf Soundideen wie diese zu kommen, musste Matthew E. White auf Distanz zur Spacebomb-Routine gehen. Er hat sich zusätzlich ein Heimstudio eingerichtet und dort die Arrangements für das Album geschrieben sowie die Gesangspartien eingesungen.

Der Name dieses Studios: Kensington Bay oder kurz K Bay. Es heißt wie die Platte, die Frucht dieses Refugiums geworden ist.

Doch das Album ist nicht nur Zeugnis von Liebesglück und einer ausgeprägten Freude am Tüfteln. White erdet „K Bay“ durch ein zentrales Epos, dem fast siebenminütigen „Only In America/When The Curtains Of The Night Are Peeled Back“.

Er bedient sich Randy Newmans trocken-sarkastischen Tonfalls, wenn er über den Rassismus in der US-Gesellschaft singt: „We set aside all that's right, and we left behind in the darkest night all the folks we didn't want next to us“. Darunter wallen die Streicher und dräuen die Bläser. Erst wirkt das Pathos bitter, dann, in der zweiten Hälfte des Songs, tönt White die Wucht herunter. Das Stück wird zu einer Elegie für die Opfer. Der Sänger nimmt sich die Zeit, ein Dutzend von ihnen zu benennen: von Walter Scott über Rodney King bis zu Martin Luther King.

Der Name George Floyd fehlt in der Reihe. Er war zum Zeitpunkt, als White den Song aufnahm, noch am Leben.

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