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Dresdens Schatzkammer. Das Grüne Gewölbe ist nach der grünen Ausmalung eines Teils der Räume benannt.

© imago stock & people

Juwelenraub im Grünen Gewölbe: Was ist der Wert von kulturellem Erbe?

Der große Wert des gestohlenen Schmucks ist vor allem immateriell – er gehört der gesamten Gesellschaft. Die Lehre des Verlustes: das Vorhandene zu schützen.

Gold glänzt, Diamanten funkeln und Juwelen glitzern allenthalben in Dresdens Grünem Gewölbe. Ein einziges Leuchten, vielfach zurückgeworfen und verstärkt von Spiegeln, die auf altertümliche Weise mit Quecksilber hinterlegt sind.

Dutzende Techniken, die Handwerksmeister nicht mehr oder gerade eben noch beherrschten, die aufs Neue erfunden und gelernt werden mussten, waren nötig, um die Schatz- und vormalige Wunderkammer im Dresdner Residenzschloss wieder im sprichwörtlichen alten Glanz erstrahlen zu lassen. Die Besucher stehen Schlange, sie drücken sich die sprichwörtliche Nase platt, es ist alles so klischeehaft wie in einem schlechten Roman.

Doch ist es wahr, und es ist in einem tiefen Sinne staunenswert. Denn vom üblichen, gerade in Dresden üblichen Touristenrummel abgesehen, schauen die Besucher, diejenigen aus Dresden und ganz Sachsen zumal, gewissermaßen durch den blendenden Glanz hindurch den Objekten auf den Grund.

Der aber liegt nicht in ihrer physischen Beschaffenheit als Gold und Edelstein, sondern in dem, was kunstvolle Hofschmiede daraus geformt haben. Und auch das ist es nicht ganz; nicht die Gehänge und Spangen und Ringe und edelsteinbesetzten Degenknaufe. Es ist dieses schwer fassbare und doch so präsente kulturelle Erbe.

Ein Teil unseres kulturellen Erbes

Es sind Leistungen des Menschen, sie mögen kurios sein oder aberwitzig und uns ebenso zum Staunen verleiten wie zum Sichwundern. Aber es sind Leistungen, in denen sich das Streben nach Dauerhaftigkeit und Vollkommenheit verwirklicht hat – nach Kultur –, in eben den Formen, die in diesem Falle im 18. Jahrhundert in Europa als vorbildlich und erstrebenswert galten und die denen, auf deren Geheiß sie entstanden und in deren Genuss sie kamen, Rang und Würde, neudeutsch sozialen Status verliehen.

Alle diese Dinge Teil des kulturellen Erbes. Wessen Erbes? Das ist eine schwierige Frage. Im Falle des bestohlenen Dresdner Museums-Schlosses liegt es auf der Hand zu sagen, dass es das Erbe Sachsen ist und also solches dem heutigen Bundesland „gehört“. Tatsächlich ist das nur die juristische Oberfläche.

Die UN-Kulturorganisation Unesco verleiht ihren Titel des „Weltkulturerbes“ an Stätten –Orte, Bauten, Ensembles –, die sie als „Erbe der Menschheit“ klassifiziert. Das ist eine europäisch-universalistische Perspektive, mehr Behauptung als belegbare Wirklichkeit, mehr erhofft als schon erreicht.

Es gibt keinen finanziellen Wert

Nun aber hat Dresden diesen furchtbaren Verlust erlitten. An dieser Stelle soll nicht darüber spekuliert werden, was mit der Diebesbeute geschehen könnte. Der Schock aber, der – man meint es zu spüren – die ganze Republik durchzuckt, gilt nicht dem Geglitzer und Geklunker, so oft auch Medien-Kollegen bei der eilig abgehaltenen Pressekonferenz am Montag nach dem „materiellen Wert“ gefragt haben.

„Es gibt keinen finanziellen Wert, mit dem wir arbeiten“, hielt die Dresdner Museum-Generaldirektorin Marion Ackermann tapfer entgegen. Sie ließ sich keine Summe, keinen Mondpreis entlocken. Museums-Chef Dirk Syndram bekräftigte: Es sei „ein unschätzbarer kultureller Wert, ein Weltkulturerbe, das wir haben.“

Ein Weltkulturerbe: Das ist die gewissermaßen höchste Stufe, die ein Kulturgut erreichen kann. Aber das Weltkulturerbe unterscheidet sich nicht prinzipiell von einem, sagen wir regionalen oder lokalen Erbe. Alle Objekte, denen Menschen besondere Aufmerksamkeit als Erinnerungsstücke widmen, enthalten eben dies: die in einem Objekt verkörperte Erinnerung, Überlieferung, Geschichte.

Gewiss nicht jeder Besucher des Grünen Gewölbes kann etwas mit der nun so brutal zerrissenen „Brilliantgarnitur“ anfangen. Aber jeder Besucher sieht, dass dies ein Erbstück ist, und spürt, dass die darin aufgehobene Geschichte auch ein Teil seiner selbst ist. Oder umgekehrt er selbst ein Teil der Geschichte, die vor ihm lag und liegt und durch ihn hindurchgeht in eine Zukunft, an der er teilhaben mag oder nicht.

Dieses Erbe transzendiert die Gegenwart, in der es, beispielsweise, in einer Dresdner Vitrine ruhte. Es kommen einem die ägyptischen Pyramiden in den Sinn, errichtet, um in ihrem Inneren die wundervollsten Gegenstände zu bewahren, die Menschen zu dieser Zeit überhaupt erschaffen konnten, ohne sie im Nachhinein jemals zu sehen oder überhaupt an spätere Sichtbarkeit zu denken, es sei denn im Jenseits. Mit der Öffnung der Pharaonengräber ist ihre Geschichte erneut gegenwärtig geworden, und sie ist, ob sie nun in Gestalt der altägyptischen Objekte in den Museen von Kairo, Paris oder Berlin ausgestellt wird, zur Menschheitsgeschichte geworden, zu unserer wie zu der aller anderen Erdbewohner.

Gewiss, Zeitgenossen fragen auch nach dem „Wert“ der Goldgegenstände Tut-enchamuns, viele berauschen sich an den Fantsasiezahlen, die irgendwer in den Raum wirft, als seien die Objekte käuflich. Menschen haben Gold geschürft und verarbeitet, weil es wertvoll ist, das wohl; aber wertvoll war und ist es, weil es selten ist zum einen, zum anderen aber unendlich dauerhaft.

Byzantinische Ikonen wurden auf Goldgrund gemalt, gotische Heiligendarstellungen mit goldenem Schimmer umgeben. Das Lächeln der Mona Lisa bedarf keines Goldes mehr, um im Betrachter etwas auszulösen, das man als eine Ahnung von Transzendenz wohl bezeichnen darf. Das ist, was der Bergiff des Erbes meint: etwas, das dauert, das von weither zu uns herüberreicht und von uns nur treuhänderisch bewahrt wird.

Das Vorhandene schützen

Es gibt andere Objekte in der Sammlung des Dresdner Grünen Gewölbes, die den Zusammenhang von Gegenwart und Geschichte, von zu einer bestimmten Zeit Geschaffenem und dann über sie Hinausweisenden weit stärker verkörpern als die – wenn man so will – protzige Zurschaustellung materiellen Reichtums, die die Juwelen Augusts des Starken und seiner Nachfolger eben auch sind (und zu ihrer Zeit erst recht waren).

Es gibt zauberhafte Objekte wie die tausendfigurige Miniaturwelt „Der Thron des Großmoguls“ von 1708 oder feingliedrige Schnitzereien wie die Fregatte aus Elfenbein von 1620. In ihnen steckt die Geschichte ihrer selbst, ihrer Herkunft und Herstellung, und ebenso diejenige, die sie erzählen oder imaginieren. In ihnen stecken Wissen und Träume gleichermaßen.

Solches Erbe, gleichermaßen sächsisch wie universell, ist am Montagmorgen fürchterlich beschädigt worden. Es hat etwas vom Phantomschmerz: Es tut weh, wo nichts mehr ist. Er ist eine Mahnung, ein innerer Aufschrei, das Vorhandene zu schützen. Weil es so wenig „uns“ gehört, wie es je denjenigen gehört hat, die es gesammelt haben. Es gehört allen, vor uns, jetzt und hoffentlich auch nach uns.

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