zum Hauptinhalt
Prunk und Macht. Das Reiterstandbild Augusts des Starken in Dresden.

© Michael/dpa

Juwelenraub aus dem Grünen Gewölbe: Am Dresdner „Staatsschatz“ kleben Schweiß und Blut

Der Dresdner Schatz war ein Raub am Volk – und wird betrauert. Derweil sind unsere Museen voll kolonialen Diebesguts. Eine globale Perspektive.

Schon kurz nach der unglaublichen Nachricht vom Einbruch ins Grüne Gewölbe meldete sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer zu Wort. Er sagte: „Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen!“

Eine merkwürdige Formulierung – als gehörten die Dresdner Sammlungen irgendwie nicht zu seinem Bundesland. In seiner Erschütterung fuhr er fort: „Die Werte, die im Grünen Gewölbe und im Residenzschloss zu finden sind, sind von den Menschen im Freistaat Sachsen über viele Jahrhunderte hart erarbeitet worden.“ Das stimmt. Aber es geht auch wieder an der Realität vorbei.

Natürlich haben die Menschen in Sachsen im 17. und 18. Jahrhundert nicht die „Werte“ der Monarchie erarbeitet. Jedenfalls nicht direkt und sicher auch nicht freiwillig. Sie haben geschuftet, ob Bauern oder Handwerker, zahlten hohe Steuern und standen unter der Knute ihres von sich selbst berauschten Herrschers.

August der Starke (1670-1733) liebte den Protz und den Prunk, gab sündhaft teure Festivitäten und genoss jenes unfassbar luxuriöse Leben, das später in Frankreich seinesgleichen unter die Guillotine brachte. Für seine Extravaganzen musste das Volk enorme Summen aufbringen.

Und so ist es richtig: Die Menschen damals in Sachsen und Polen, dessen König August ebenfalls war, haben mit ihrem Schweiß und Blut das Grüne Gewölbe gefüllt. In diesem „Staatsschatz“ stecken absolutistische Verhältnisse.

Die Preziosen gehören ihnen und ihren Nachfahren, also uns. Man könnte auch sagen: Was Monarchen dem Volk damals raubten an Geld und Zeit und Gesundheit, wurde zur Kunst, auf die man heute mit Recht stolz ist.

Darin steckt Geschichte und Identität, harte Fron. Und das erklärt auch, warum in Frankreich so viele dieser „Werte“ in der Revolution untergingen oder verschwanden. Der Zorn der Menschen richtete sich gegen sie, die Symbole der Unfreiheit und Unterdrückung.

Auch das macht den Mehr-Wert der unersetzlichen Museumsstücke aus. Sie bergen kollektive Erinnerungen. Selbstverständlich gehören die Sammlungen in Dresden, die Alten Meister, die Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die bayerischen Pinakotheken usw. der Gemeinschaft.

Das ist die Begründung dafür, dass der Staat, also wir, die Steuerzahler, Millionen und Milliarden Euro für die Museen aufbringen: für ihren Betrieb, die Forschung, die bauliche Unterhaltung, für Renovierungsmaßnahmen wie auf der Berliner Museumsinsel oder am Dresdner Zwinger und Neubauten wie das geplante Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum und das Humboldt Forum.

Raubkunst ist ein vielschichtiger Begriff. Man kann die eigene Bevölkerung ausplündern oder, wie die Russen nach dem Zweiten Weltkrieg, als Sieger Kunstschätze abtransportieren; da wurde das meiste wieder zurückgegeben. In unseren Museen lagern aber auch zig Tausende Objekte, die auf fragwürdige oder kriminelle Art und Weise hierher gelangt sind, in kolonialen Zusammenhängen.

An Bronzen aus Afrika oder Masken aus Lateinamerika zeigt sich besonders deutlich, was den „Wert“ von Kunst und Objekten ausmacht. Zumal, da die europäische Unterscheidung von Kunst und Kunsthandwerk nicht greift.

Während bei den gestohlenen Juwelen aus dem Grünen Gewölbe sächsische Geschichte beschworen wird, weiß man bei außereuropäischen Artefakten oft nicht einmal, worin genau ihre kulturelle, religiöse Bedeutung für die Menschen besteht, denen sie weggenommen oder abgepresst wurden.

Wenn es um Raubkunst geht, wird immer mehr geraubt als Kunst. Zur Beute gehören dann die Werte, die der sächsische Ministerpräsident im ersten Moment des Schocks zu beschreiben versuchte. Mit den Dresdner Juwelen verschwand fürs erste tatsächlich ein Stück Geschichte. Und es verschwand die Gewissheit, dass die Kostbarkeiten im Grünen Gewölbe sicher seien.

Wenn man es selbst erlebt, versteht man die Demütigung besser

Dresden lebt von seiner Kultur und Geschichte, darauf gründet der Tourismus dort. Das Image der Stadt hat schon arg gelitten durch Pegida und die rechte Szene. 2026 will Dresden den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt erringen. All das vergrößert das Gefühl des Verlustes und der Verwundbarkeit.

Wie aber, und das könnte eine Lehre aus dem Dresdner Drama sein, empfinden Menschen in ehemaligen deutschen oder französischen Kolonien, deren kulturelles Erbe großräumig gestohlen und in ferne Länder verbracht wurde?

Wenn man es selbst erlebt, versteht man die Demütigung besser. Der Unterschied zu heutigen Museumsdiebstählen aber ist makaber genug: Der koloniale Kunstraub damals landete zumeist in unseren Museen, er existiert noch und wird bewahrt. Diese Objekte und Werte können zurückgegeben werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false