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Frank-Sinatra-Fan: Der 33-jährige Justin Timberlake schwingt das Mikro. Am 6. Juni gibt er ein weiteres Konzert in der Berliner O2 World.

© dpa

Justin Timberlake live in Berlin: Stil, Welt, Meister

Pop und Perfektion: Justin Timberlake gibt mit seiner Band "The Tennessee Kids" ein großartiges Konzert in der Berliner O2 World.

Sich selbst zum Kaiser oder König ausrufen? Kann man eigentlich seit Napoleon nicht mehr bringen. Es sei denn, man macht es so geschickt wie Justin Timberlake auf seiner seit November laufenden Welttournee. Im letzten Konzertdrittel steht er irgendwann allein mit Akustikgitarre auf einer kleinen Zusatzbühne im hinteren Hallenteil und covert erst „Heartbreak Hotel“ von Elvis und kurz darauf „Human Nature“ von Michael Jackson, auf das er zudem in einem seiner Songs zurückkommt. Fertig ist die Ahnenreihe: King of Rock ’n’ Roll, King of Pop und jetzt Mister Timberlake.

Dass das weder anmaßend noch großkotzig wirkt, liegt an den 90 fantastischen Show-Minuten vor diesem Moment – und an Timberlakes Leistungen der letzten zwölf Jahre, in denen er nahezu alles richtig gemacht hat. Selbst die siebenjährige Pause vor den beiden im letzten Jahr veröffentlichten „The 20/20 Experience“-Alben, in der er sich aufs Schauspielern konzentriert hatte, sieht im Nachhinein wie ein genialer Verzögerungsmove aus. Auch mit witzigen TV-Auftritten etwa bei „Saturday Night Life“ baute er seine Reputation als selbstironisch-cooler Star aus. Die Anfangszeiten im Mickey-Mouse-Club, in der Boyband ’N Sync und als Britney Spears-Lover sind mittlerweile kaum mehr als eine Fußnote. Mit seinem zweiten Soloalbum „Futuresex/Lovesounds“ 2006 hat er sich endgültig davon emanzipiert.

So erlaubt er es sich nun auch wieder, bei Konzerten ausgiebig zu tanzen, was er bei seinem letzten Berlinbesuch vor knapp sieben Jahren noch auffällig vermieden hatte. Diesmal wirbelt er zusammen mit seinen drei Tänzerinnen und drei Tänzern entspannt und leichtfüßig über die glatte Bühne. Dabei sind die Choreografien nicht auf sportliches Spektakel angelegt, wie man es sonst von Konzerten dieser Größenordnung kennt. Es scheint eher darum zu gehen, dem Star ein bisschen Gesellschaft zu leisten und ihn vor der 15-köpfigen Band nicht verloren aussehen zu lassen. Klappt bestens.

Das Frauen dürfen angezogen bleiben

Die Optik ist angenehm klassisch, Rat-Pack-inspiriert: Alle tragen schwarzweiße Designeranzüge, vor den Backgroundsängern und den Bläsern stehen wie früher bei Jazzformationen Schilder mit den Initialen des Bandleaders. Und das weibliche Personal darf – bis auf ein kurzes Negligé-Intermezzo der Tänzerinnen – angezogen bleiben. Sieht man selten heutzutage. Passt aber gut, denn obgleich es in Timberlakes Songs häufig um Sex geht, hört es sich stets so an, als handele es sich um jugendfreie Aktivitäten.

Der blonde Mann aus Memphis ist eben der nette, skandalfreie Star – ähnlich wie sein ebenfalls gern im Falsett singender Kollege Pharrell Williams. Mit Williams und dessen Neptunes-Partner Chad Hugo hat Timberlake schon auf seinem Solodebüt zusammengearbeitet. Etwa bei „Rock Your Body“, das er gleich als zweiten Song in die mit 14 000 Besuchern ausverkaufte O2 World schleudert. Ein unzerstörbarer Hit – die funky Gitarre, der schiebende Bass, großartig. Bei „My Love“ kommt erstmals ein bisschen Farbe und Flackern in die schwarz-weiße Lichtwelt. Die Band steigert sich aus einer reduzierten Klavierballade in einen intensiven Rockfuror hinein, inklusive Gniedelsolo des kleinen Leadgitarristen.

Justin Timberlake rollt auf einem fahrbaren Steg durch die Halle.

Justin Timberlake, 33.
Justin Timberlake, 33.

© dpa

Die zweistündige Performance ist von hohem Perfektionismus geprägt, der jedoch nie zu einer angestrengten oder unterkühlten Atmosphäre führt. Die Lässigkeit und Stilsicherheit von Timberlake und seiner präzisen Band The Tennessee Kids verhindern das. Der Sänger präsentiert selbst einstudierte deutsche Sprüche („Das ist supergeil“) und tausendmal abgespulte Ansagen so charmant, dass sie wie Honig in den Flow der Show einfließen. Entertainment der Extraklasse. Las Vegas mit Stil. Für einen Song fährt sogar ein weißer Flügel aus der Versenkung, Timberlake spielt ihn souverän und mätzchenfrei.

Knalleffekt mit Kreischalarm

Nach einer Stunde gibt es eine kurze Umkleidepause; Timberlake wechselt in ein nachtblaues Sakko. Die Lederschuhe tauscht er gegen Turnschuhe, das Fliegenband liegt offen um den Hals. Wir machen uns jetzt mal richtig locker, heißt das wohl. Mit dem sägenden „Only When I Walk Away“ – quasi sein „Dirty Diana“ – erzeugt die Band sofort wieder mächtig Druck. Vier Songs später dann der Höhepunkt des Abends: Zu den Latin-Beats von „Let The Groove Get In“ schraubt sich der etwa fünf Meter breite vordere Bühnensteg inklusive Treppen langsam empor und rollt samt Timberlake und den vier Backgroundsängern in den hinteren Hallenteil. Ein Knalleffekt, der mit Kreischalarm belohnt wird und auf der Rückfahrt noch einmal dieselbe Freude entfesselt.

Während der rund 15 Minuten am Hallenende geht es etwas ruhiger zu – Erholung vom mitunter fast schmerzhaft lärmigen Sound. Besonders gelungen ist Timberlakes Idee, die Ballade „What Goes Around ... Comes Around“ in einer reduzierten Akustikversion zu spielen, was zudem den einzigen guten Mitsingmoment des Konzertes ermöglicht.

Zum Finale auf der Hauptbühne gibt es neben dem Stadionrock-Schmelz von „Mirrors“ ein aggressives „Sexy Back“, bei dem sich Timberlake nach der Zeile „I still run this, bitch“ in den Schritt fasst. Nicht nur ein Michael-Jackson-Zitat, sondern auch eine Warnung an seinen Epigonen Robin Thicke, der gerade arg in Timberlakes Gefilden wildert. Auch ein stilvoller König kann mal Kante zeigen.

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